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China wirbt offensiv um den Globalen Süden. Hier ein Projekt zum Ausbau der medizinischen Infrastruktur im Irak.

© imago images/Xinhua/Zhang Miao

Kampf um den Globalen Süden: Wie China in die Offensive geht

China will in den internationalen Organisationen die „Vorherrschaft“ der USA beenden. Der Westen darf dabei nicht zusehen, fordert Peter Wittig.

Der Multilateralismus ist in Gefahr. Die Großmachtrivalität von USA und China, epochale globale Krisen wie Pandemie und Klimawandel, vor allem aber Russlands Krieg gegen die Ukraine haben die multilateralen Institutionen geschwächt – von den G20 bis zu den Vereinten Nationen.

Nicht Kooperation, sondern Fragmentierung ist heute das Kennzeichen der globalen Ordnung. Nächste Woche wird die jährliche UN-Generalversammlung eröffnet – eine Gelegenheit zur Bestandsaufnahme. Besonders der Sicherheitsrat, das oberste Organ der Weltpolitik, ist durch die eklatante Charta-Verletzung Russlands und seine Entscheidungsblockade hart getroffen. Wenn auch nicht komplett dysfunktional, betreibt er lediglich unkontroverses Routinegeschäft.

Wichtige Peacekeeping-Operationen – lange Zeit die größte Errungenschaft des Sicherheitsrates – treten in den Hintergrund. Der Rat ist fast nur noch Plattform zum Austausch von Positionen, nicht mehr Krisenbewältigungsorgan.

China buhlt um den Globalen Süden

Mit dem Ausfall des Sicherheitsrats in der Ukraine-Frage ist der Globale Süden in den Vereinten Nationen erstarkt. Die Generalversammlung hat das Heft in die Hand genommen. Und dort hat der Globale Süden die Mehrheit. Gemeinsam ist den verschiedenen Staaten der Widerwille, von einem der Lager vereinnahmt zu werden. Viele der 152 Entwicklungsländer stimmten zwar den Resolutionen der Generalversammlung zu, die den russischen Krieg verurteilten, doch offene Kritik an Russland blieb selten.

China hat den Anspruch, ein anti-westliches Gegengewicht zur G7 zu schaffen.

Peter Wittig, ehemaliger deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen

Auffallend offensiv umwirbt China den Globalen Süden. Peking lancierte in jüngster Zeit drei sogenannte globale Initiativen: Versprochen werden multilaterale Entwicklungsprogramme und die Stärkung der Vereinten Nationen in allen Sicherheitsfragen. China stellt den Ländern eine „post-westliche Welt“ mit neuen multilateralen Strukturen in Aussicht.

Peking hat faktisch die Führung der BRICS-Staatengruppe übernommen

Peking hat unterdes auch faktisch die Führung der BRICS-Staatengruppe übernommen, zu der Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gehören. Die jüngste Erweiterung um sechs Staaten (Saudi-Arabien, Iran, Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien) unterstreicht den Anspruch Chinas, ein anti-westliches Gegengewicht zur G7 zu schaffen.

Die Bedeutung der erweiterten BRICS sollte nicht überschätzt werden, denn politische Gegensätze und die Machtrivalität zwischen China und Indien setzen Grenzen. Doch man sollte sich nicht täuschen: China verfolgt eine klare Strategie, in multilateralen Institutionen ein Alternativmodell zur sogenannten „US-Hegemonie“ herauszubilden.

Peking nennt das „einen wirklichen Multilateralismus auf der Basis von Gleichheit“. Die universellen Menschenrechte kommen darin allerdings nicht vor.

Eine neue globale Ordnung ist nicht absehbar

Der Westen und seine Partner müssen sich stärker um Einfluss beim Globalen Süden bemühen, und ihn für eine internationale Ordnung auf Grundlage von Völkerrecht, UN-Charta und universeller Menschenrechte gewinnen.

Wäre es für Deutschland daher nicht klüger, behutsam auf eine schrittweise „Europäisierung“ des französischen ständigen Sitzes hinzuarbeiten? 

Peter Wittig, ehemaliger deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen

Deutschland spielt dabei eine wichtige Rolle, genießt es doch in den Vereinten Nationen einen guten Ruf. Es gilt, gezielt Partnerschaften mit Schlüsselländern einzugehen und gemeinsam mit ihnen multilaterale Kooperation auszubauen.

Werte-Missionierung und eurozentrische Bevormundung sind dabei hinderlich. Vielmehr ist Offenheit für berechtigte Anliegen des Globalen Südens angezeigt, etwa für die Reform der internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank.

Reform des Sicherheitsrates tritt auf der Stelle

Ein wichtiges, komplexes Sonderthema ist die Reform des Sicherheitsrates, in dem der Süden keinen ständigen Sitz hat. Die jahrzehntelange Diskussion ist durch Russlands Veto in der Ukraine-Frage wieder aufgeflammt.

Es besteht Einigkeit, dass der Sicherheitsrat reformiert werden muss – er spiegelt noch die Ordnung von 1945 wider. Doch zur Frage seiner Erweiterung, insbesondere der mit Veto ausgestatteten ständigen Mitglieder, stehen sich konträre Modelle unversöhnlich gegenüber.

Abstimmung über einen Resolutionsentwurf zur Erneuerung der Sanktionen gegen Mali während einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats im UN-Hauptquartier in New York am 30. August.
Abstimmung über einen Resolutionsentwurf zur Erneuerung der Sanktionen gegen Mali während einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats im UN-Hauptquartier in New York am 30. August.

© dpa/XinHua/UN/Manuel Elias

Die nötige Reform der UN tritt seit Jahren auf der Stelle. Die ständigen Mitglieder, die den Status-Quo bewahren wollen – vor allem Russland, China, aber auch die USA –, verhindern einen Fortschritt in der Sache.

Großer „Zukunftsgipfel“ der Vereinten Nationen 2024

Deutsche Regierungen haben stets Anspruch auf einen ständigen Sitz erhoben – jüngst in der Nationalen Sicherheitsstrategie. Europa ist im Rat jedoch bereits überrepräsentiert.

Wäre es für Deutschland daher nicht klüger, behutsam auf eine schrittweise „Europäisierung“ des französischen ständigen Sitzes hinzuarbeiten? Das Beharren auf einem ständigen Sitz für ein weiteres europäisches Land wirkt nicht mehr zeitgemäß.

Für 2024 planen die UN einen großen „Zukunftsgipfel“, um Reformen des multilateralen Systems zu beschließen. Realismus ist angesagt.

Die eine globale Ordnung wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Eher eine Pluralität unterschiedlicher Ordnungsvorstellungen und Formate. Aber als universelles institutionelles Gerüst sind die UN unentbehrlich. Deshalb lohnt der Einsatz für ihre Funktionsfähigkeit und Weiterentwicklung. Eine Welt ohne sie wäre noch weniger sicher.

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