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Ein deutscher Soldat 2005 in Kabul. Mehr als 20 Jahre dauerte die humanitäre Intervention der westlichen Koalition in Afghanistan.

© Reuters/Ahmad Massod

Trotz wachsender Zahl von Krisen: Der Westen wird künftig weniger eingreifen

Somalia, Irak, Afghanistan – die Bilanz der humanitären Interventionen des Westens in den vergangenen Jahrzehnten ist negativ. Die Bereitschaft zum Eingreifen sinkt.

Ein Gastbeitrag von Almut Wieland-Karimi

Es gibt eine internationale Interventionsmüdigkeit. Das Scheitern in Afghanistan, in Libyen und im Irak hat bei den USA und ihren westlichen Partnerstaaten, gleich welcher politischen Weltanschauung, zu großer Ernüchterung geführt. Islamistische Gruppierungen haben triumphiert und die Fehlschläge als Ende der westlichen Vorherrschaft gefeiert. 

In den 1990er und 2000er Jahren gab es so viele humanitäre Interventionen wie niemals zuvor, darunter Somalia, Bosnien, Kosovo, Afghanistan, Irak. Ihre Bilanz fällt unter dem Strich eher negativ aus.

Obwohl Bosnien und Kosovo wegen der Eindämmung von Gewalt als Erfolg gelten, sind die Konfliktursachen weiterhin ungelöst. Irak und Libyen bleiben instabil. Die gewaltsamen Tode von Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi haben nicht die erhoffte Freiheit und Sicherheit gebracht.

Die amerikanische Interventionsmüdigkeit hat zum tragischen Ende des Afghanistaneinsatzes im August 2021 geführt. Nach einem 20-jährigen Einsatz mit Tausenden von Toten, Kosten von einer Billion Dollar allein auf US-Seite sowie strategischen Fehleinschätzungen haben die USA im Jahr 2020 das Doha-Abkommen mit den Taliban geschlossen.

Weder die damalige afghanische Partnerregierung noch westliche Verbündete waren daran beteiligt. Die Machtübernahme wurde den Taliban praktisch auf dem Silbertablett serviert. So groß war der Wunsch, die Intervention nur irgendwie zu einem Ende zu bringen.

Sind Interventionen also überhaupt ein wirksames Mittel? Auf Seiten der Intervenierenden gibt es oft zu große Hoffnung und Hybris, Wunschdenken und moralische Überhöhung. Das hat im Fall Afghanistan dazu geführt, dass Herausforderungen unterschätzt und die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung vernachlässigt wurden.

Humanität ist meist der Beifang

„Humanitäre Intervention“ – das ist ein schwieriges Begriffspaar. Gemeint sein kann ein großer militärischer Einsatz, mit zivilen Helfern und humanitärer Unterstützung. Aber auch Drohnenangriffe gelten als Intervention, wie die Tötung des Al-Qaida-Anführers Aiman Az-Zawahiri in Kabul 2022. Peacekeeping- und politische Missionen der UN werden hingegen nicht als humanitäre Interventionen bezeichnet.

Technologische Innovationen wie der Einsatz von Drohnen, künstlicher Intelligenz und Big Data könnten die Wirksamkeit von humanitären Interventionen erhöhen.

Almut Wieland-Karimi, Politikberaterin

Die Verbindung der beiden Worte „humanitär“ und „Intervention“ ist auch irreführend. Denn solche Interventionen sind vor allem dann erfolgt, wenn geopolitische Interessen dahintersteckten. Beispielsweise die Bekämpfung von Terrorismus. Oder die Herstellung von Stabilität in einem Land, um Migration zu verhindern und Rohstoffe auszubeuten. Sicherlich gab es auch eine humanitäre Komponente dieser Einsätze. Sie war jedoch eher Beifang als Hauptziel.

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Im internationalen Recht gibt es eine Widersprüchlichkeit zwischen dem Grundsatz der Nichteinmischung in die Souveränität eines Staates und der Achtung von Menschenrechten. Es soll einerseits nicht in die Hoheitsgewalt von Staaten eingegriffen werden. Andererseits soll die internationale Gemeinschaft, vertreten durch die Vereinten Nationen, das Recht haben, einen Genozid oder andere Gräueltaten gegen Bürgerinnen und Bürger eines Staates zu verhindern – auch dann, wenn diese von der eigenen Regierung verübt werden.

Aktuell droht die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS den Putschisten in Niger mit einer Intervention, wenn nicht die verfassungsmäßige Ordnung wieder eingesetzt werde. Die Afrikanische Union erlaubt grundsätzlich Interventionen in anderen Staaten. Doch so weit wird es wohl nicht kommen. Denn mehrere Mitgliedstaaten der ECOWAS wollen nicht mitmachen.

Humanitäre Krisen werden künftig aufgrund des Klimawandels massiv zunehmen. Technologische Innovationen wie der Einsatz von Drohnen, Künstlicher Intelligenz und Big Data könnten die Wirksamkeit von Interventionen erhöhen. Werden im Vorfeld eines Einsatzes frühere Erfahrungen ausgewertet, führt das zu besseren realpolitischen Einschätzungen.

In den nächsten zwei Jahrzehnten wird es wohl nicht zu größeren Interventionen seitens westlicher Staaten kommen. Der politische Wille fehlt schlicht. Allein die Ukraine wird zudem große politische und finanzielle Ressourcen des Westens binden.

Allerdings: Sollte ein Terroranschlag wie 9/11, ein Genozid in einem multiethnischen Staat oder ein massiver Vormarsch des IS erfolgen, könnte die Stimmung schnell umschlagen. Es ist zu hoffen, dass sich die Geschichte dann nicht wiederholt, sondern die Lehren berücksichtigt werden.

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