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Vor allem Frauen und Kinder sind von der fehlenden Unterstützung betroffen.

© REUTERS/Ali Khara

Einschnitte bei der Afghanistan-Hilfe: „Wir müssen zwischen Hungernden und Verhungernden wählen“

Das Welternährungsprogramm muss wegen fehlenden Geldes seine Hilfe für Afghanistan drastisch verringern. Hier erklärt die Landesdirektorin der Organisation, welche Folgen das hat.

Frau Hsiao-Wei Lee, das Welternährungsprogramm der UN muss seine Hilfe für Afghanistan ab sofort aus Geldmangel drastisch einschränken. Welche Auswirkungen hat das konkret?
Die Folgen sind verheerend. Wir haben in den vergangenen fünf Monaten insgesamt zehn Millionen Menschen von der Unterstützung ausschließen müssen. Was letztlich bedeutet, dass wir nur noch einen von fünf Menschen versorgen können, die jeden Abend hungrig schlafen gehen. Noch besorgniserregender ist, dass wir nicht über die Mittel verfügen, den Afghaninnen und Afghanen zu helfen, den kommenden Winter zu überstehen.

Wer ist am stärksten von den Kürzungen betroffen?
Frauen und Kinder leiden besonders unter der fehlenden Hilfe. Sie gehören ohnehin schon zu den Ärmsten und Bedürftigsten. Das sind zum Beispiel Witwen und Mütter, die zugunsten ihrer Töchter und Söhne auf Mahlzeiten verzichten und uns um Nahrungsmittel bitten. Für sie sind wir oft die letzte Rettung. Jetzt kommt auch noch der Winter, der in Afghanistan besonders kalt und entbehrungsreich sein kann.

Das bedeutet?
Ich befürchte, dass dem Land eine humanitäre Katastrophe bevorsteht, wenn unsere Arbeit nicht mit einer Milliarde US-Dollar unterstützt wird. Das Geld benötigen wir, um den Menschen zu helfen, die Wintermonate zu überstehen.

Wir können nur noch einen von fünf Menschen versorgen, die jeden Abend hungrig schlafen gehen.

Hsiao-Wei Lee, Landesdirektorin des Welternährungsprogramms in Afghanistan

Heißt das, Ihre Organisation muss letzten Endes zwischen Hungernden und Verhungernden wählen?
Leider ja. Es ist sehr, sehr schwierig und belastend, wenn wir uns zwischen zwei Familien entscheiden müssen: Beide wissen nicht, woher ihre nächste Mahlzeit kommen soll. Aber nun können wir durch die Kürzungen eine Familie nicht mehr versorgen, weil es ihr nicht ganz so schlecht geht wie der anderen. Oder: Wie sollen wir einer Mutter erklären, dass sie nichts bekommt, obwohl sie ein hungerndes Kind in den Armen hält?

Wie kann unter diesen schwierigen Bedingungen überhaupt noch Hilfe geleistet werden?
Zum Glück gibt es nach wie vor sehr großzügige Spender, die dafür sorgen, dass das Welternährungsprogramm seine Arbeit in Afghanistan machen kann. Wir müssen einen Weg finden, um vor allem Frauen und Kinder beizustehen. Es geht darum, ein Desaster zu verhindern.

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Millionen Afghaninnen und Afghanen leiden akut unter Hunger.

Warum ist die internationale Gemeinschaft nicht bereit, die notwendigen Mittel bereitzustellen, um die Afghanen mit dem Nötigsten zu versorgen?
Das hat mehrere Gründe. Ein wichtiger ist sicherlich, dass der Bedarf an humanitärer Hilfe weltweit ein Rekordniveau erreicht hat. Das schränkt den finanziellen Spielraum der Geber – Regierungen und Einzelpersonen – erheblich ein. Dennoch müssen wir einen Weg finden, das fehlende Geld herbeizuschaffen. Afghanistan hat so viel gelitten, das Land darf nicht im Stich gelassen werden.

Die finanzielle Hilfe ist auch deshalb zurückgegangen, weil die Regierungen die Taliban-Machthaber nicht anerkennen. Haben Sie dafür Verständnis?
Wir vom Welternährungsprogramm betonen immer, dass bei allen Überlegungen das Leid und die Not im Vordergrund stehen sollte. Ich habe Mädchen und junge Frauen gesprochen, die gerne Pilotin oder Ärztin werden wollen. Wenn sie mit leerem Magen aufwachsen müssen, kann ihr Traum ganz sicher nie in Erfüllung gehen.

Die Taliban unterdrücken Frauen, wollen nicht, dass ausländische Organisationen weibliche Mitarbeitende beschäftigen. Wie kommt Ihre Organisation im Alltag mit der Regierung zurecht?
Wir reden mit allen, die für unsere Arbeit wichtig sind. Dazu gehören die Behörden auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Wir versuchen, ihnen klarzumachen, wie wichtig humanitäre Hilfe für das Land ist. Und dass sie letztendlich selbst davon profitieren, wenn die Afghaninnen und Afghanen versorgt werden.

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