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Frauen in Kabul warten auf Lebensmittelrationen.

© dpa/Ebrahim Noroozi

Im zerrütteten Afghanistan: Droht ein Abzug der UN-Hilfsorganisationen?

Unter Leitung der UN berät die internationale Gemeinschaft heute über die Lage in Afghanistan. Dort ist die immer dringendere humanitäre Hilfe in Gefahr. Nicht zuletzt, weil die Taliban ihr Arbeitsverbot gegen Frauen auf die UN ausgeweitet haben.

In weniger als einem Jahr sind die Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan drastisch reduziert worden - was nun auch die Arbeit der Vereinten Nationen im Land gefährdet. Kürzlich nämlich weiteten die islamistischen Taliban das Arbeitsverbot für Frauen auf die Vereinten Nationen aus. Ohnehin ist Mädchen der Schulbesuch über die sechste Klasse hinaus untersagt, Frauen sind seit Ende vergangenen Jahres von den Universitäten verbannt.

Insgesamt beschäftigen die Vereinten Nationen 3.300 afghanische Mitarbeiter:innen im Land, davon 600 afghanische Frauen, die nach Angaben des UN-Sprechers Stéphane Dujarric trotz des Verbots weiter arbeiten und bezahlt werden.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte einstimmig die Einschränkung und forderte eine dringende Aufhebung. Die Taliban wiesen diesen Aufruf des UN-Gremiums zurück und bezeichneten das Verbot als eine „interne soziale Angelegenheit Afghanistans“.

Immer weniger Hilfe möglich

Die jüngsten Einschränkungen behindern nach Aussagen von Hilfsorganisationen die Bemühungen, die afghanische Bevölkerung inmitten einer zusammenbrechenden Wirtschaft und einer Hungerkrise zu unterstützen. Doch die Arbeit auszusetzen oder Afghanistan zu verlassen, kommt für Organisationen wie die WFP, das UN-Welternährungsprogramm, bislang nicht in Frage.

Solange wir in der Lage sind zu helfen, werden wir das auch weiterhin tun.

Hsiao-Wei Lee, WFP-Landesdirektorin in Afghanistan

Der Bedarf an humanitärer Hilfe in Afghanistan sei so groß und die Menschen so verzweifelt darauf angewiesen, dass die internationale Hilfsorganisation es sich nicht leisten könne, zu gehen, sagt Hsiao-Wei Lee, die Landesdirektorin des WFP in Afghanistan gegenüber dem Tagesspiegel.

„Überall, wo ich in Afghanistan hingehe, werden wir gebeten, unsere Hilfe fortzusetzen. Solange wir dazu in der Lage sind, werden wir das auch weiterhin tun.“ Die humanitäre Lage habe sich in den letzten anderthalb Jahren drastisch verschlechtert.

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Während die Organisation noch im März 13 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelsoforthilfe versorgen konnte, sank die Zahl im April auf 9 Millionen. Im Mai, befürchtet Lee, werden es nur noch 5 Millionen sein. „Unsere Rettungsleine, die die Menschen in Afghanistan am Leben erhält, werden wir nicht mehr halten können. Über den Mai hinaus haben wir nicht mehr die Mittel, um weiterzumachen.“

„Frauen sind ein integraler Teil unserer Belegschaft“

Seit das Verbot am 24. Dezember erlassen wurde, habe sie eine Reihe von Verhandlungen und Gesprächen mit den Behörden geführt, um Ausnahmeregelungen für ihr weibliches Personal in Afghanistan zu finden, sagt Lee. „Was ich zu Protokoll geben kann, ist, dass wir als UNO und als internationale Gemeinschaft weiterhin dafür eintreten werden, dass unsere Mitarbeiterinnen arbeiten können. Sie sind ein integraler Bestandteil unserer Belegschaft.”

Auch Naturkatastrophen wie Sturzfluten oder die Dürre, von der besonders der Norden Afghanistans stark betroffen sei, machen laut Lee Hilfen der humanitären Gemeinschaft weiterhin „zwingend notwendig.”

Von Sturzfluten betroffene Afghanen bergen ihre Habseligkeiten aus beschädigten Häusern im Bezirk Kuz Kunar im Osten des Landes.

© picture alliance / AA/Wali Sabawoon

Afghanistan muss zumindest die Dürre überwinden, unter der es drei Jahre lang stark gelitten hat. Die Landwirte brauchen Hilfe, damit sie wieder eine gesunde Ernte einfahren können.” Auch der Bau von Hochwasserschutzmaßnahmen sei wichtig, um Ackerland und Dörfer zu schützen.

Der Westen trägt eine Verantwortung

Der österreichisch-afghanische Journalist Emran Feroz sieht die Verantwortung der desolaten Situation auch beim Westen. „Dass die afghanische Wirtschaft immer noch nicht kollabiert ist, grenzt an ein Wunder“, sagt er dem Tagesspiegel gegenüber.

Die westliche Staatengemeinschaft hätten in den zwei Jahrzehnten ihrer Präsenz keinen wirtschaftlich unabhängigen Staat geschaffen. „Stattdessen wurde Afghanistan stets von Hilfsgeldern und einer kurzsichtigen Kriegswirtschaft abhängig gemacht, von der nur wenige Menschen profitierten.“

Humanitäre Hilfe darf nicht als politisches Druckmittel missbraucht werden.

Hila Limar, Vorsitzende von Visions for Children e.V.

Wegen des Arbeitsverbots für Frauen hat sich die Welthungerhilfe dazu entschieden, ihre Arbeit in Afghanistan auszusetzen. Man wolle eine „prinzipientreue, bedarfsgerechte“ Programmarbeit erst wieder aufnehmen, wenn das Berufsverbot der Taliban zurückgenommen wird. Für Hila Limar, Vorsitzende der NGO Visions for Children e.V., ist das zwar nachvollziehbar, dennoch sieht sie den Rückzug von NGOs als Reaktion auf die Taliban-Verfügung als kritisch.

„Aus unserer Sicht ist die humanitäre Unterstützung jenseits politischer und ethischer Werte und Ziele aufrechtzuerhalten, um Leben zu retten“, sagt die gebürtige Afghanin in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Humanitäre Hilfe dürfe nicht als politisches Druckmittel missbraucht werden, das schade am Ende nicht den Verantwortlichen in der Regierung, sondern der einfachen Bevölkerung – insbesondere den Frauen und Mädchen, die damit doppelt bestraft seien.

Am 1. Mai wird der UN-Generalsekretär Antonio Guterres in Katar ein internationales Treffen zur Situation in Afghanistan abhalten. Laut UN-Sprecher Dujarric wird das Treffen hinter verschlossenen Türen stattfinden, um unter anderem die Restriktionen der Taliban gegenüber Frauen zu diskutieren, mitunter das Verbot weiblichen UN-Personals. Ob die Taliban-Führung an den Gesprächen teilnehmen wird, ist noch unklar.

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