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European Focus #47: Im Kampf gegen Rechts braucht es mehr als Slogans 

Bier, Party, Rechtsradikalismus +++ Zahl der Woche: 4 +++ Verschwörungsfans an der Staatsspitze +++ Marode Brandmauer +++ „In Frankreich gibt es keine Maßnahmen gegen Rechtsradikalismus an sich“

Hallo aus Târgu Mureș/Marosvásárhely,

als wir vom European Focus-Team uns an die Arbeit für diesen aktuellen Newsletter machten, stand die Frage im Raum: Wie kann der wachsenden Gefahr von rechts in Europa begegnet werden? Wir unterhielten uns über die sehr unterschiedlichen – mal geradezu grotesken, mal überaus bedrohlichen – Gesichter des Rechtsradikalismus von Bukarest bis Tallinn, von Bratislava bis Berlin, von Warschau bis Paris.

Wir sprechen hier von globalen Entwicklungen und globalen Gefahren, doch wir müssen die für uns in Europa passenden Taktiken zur Gegenwehr verstehen. Nicht umsonst wird seit dem Zweiten Weltkrieg auf unserem Kontinent immer wieder betont: nie wieder.

Seit eineinhalb Jahren verfolgen wir das schreckliche Geschehen in der Ukraine. Als wir am Wochenende an dieser Newsletter-Ausgabe arbeiteten, kamen immer neue Bilder der Gewalt aus Israel hinzu. Wir müssen uns eingestehen, dass die rhetorische Wiederholung der Aussage „nie wieder“ nicht ausreichend ist, um Hass und Krieg zu verhindern.

Es braucht mehr als Slogans; es braucht ernsthafte Schutz- und Gegenmaßnahmen. Das bedeutet auch, die sozialen Krisen, die die rechte Bedrohung weiter anfachen, unverzüglich und konsequent anzugehen.

Wir sehen uns in diesem Newsletter an, wo und wie die radikale Rechte in ganz Europa agiert und damit erfolgreich ist.

Boróka Parászka, dieswöchige Chefredakteurin


Bier, Party, Rechtsradikalismus

Er ist jung, scheut sich nicht vor Kontroversen und gewinnt zunehmend neue Wähler für sich. Der 37-jährige Slawomir Mentzen ist der neue aufsteigende Star der rechtsradikalen Konfederacja in Polen. Laut Prognosen wird diese Partei bei den anstehenden Wahlen am kommenden Sonntag etwa zehn Prozent der Stimmen erhalten.

Sollte es dazu kommen, hat die Konfederacja vor allem Mentzen zu danken, der die Umfragewerte der Partei in den vergangenen Wochen deutlich verbessert hat.

Besonders beliebt ist er bei Männern in der Altersgruppe der 18- bis 39-Jährigen. Während des Wahlkampfs standen hunderte junge Männer in ganz Polen für Treffen mit ihm Schlange. Diese öffentlichen Auftritte zelebriert er unter dem Titel „Bier mit Mentzen“.

Bei den Veranstaltungen steht er mit einem Bierglas in der einen und einem Mikrofon in der anderen Hand auf der Bühne und legt seine Ansichten zu Steuern, Migranten und dem Sozialsystem dar. Alle drei möchte er in Polen nicht mehr sehen.

Offenbar kommen diese Ideen bei einigen jungen Polen gut an: Im Gegensatz zu älteren Bürgern sind sie nicht so stark auf das staatliche Gesundheitssystem angewiesen und betrachten die Steuern, die sie zahlen, als (im besten Falle) notwendiges Übel. Sie erwarten einfache Antworten auf komplexe Fragen.

Mentzen selbst besitzt eine Anwaltskanzlei, die sich mit sogenannter „Steueroptimierung“ beschäftigt, und eine Brauerei. Mit seinen Bier-Treffen (bei denen sich Mentzen zunehmend betrinkt, was das Publikum besonders feiert) soll der Politiker ein freundlicheres Gesicht der rechtsradikalen Partei zeigen. Tatsächlich wurden radikaler auftretende Politiker der Konfederacja für die Dauer des Wahlkampfs auf das mediale Abstellgleis gestellt.

Dabei ist es kein Geheimnis, dass Mentzen selbst extrem rechte Positionen vertritt. Im Jahr 2019 sagte er beispielsweise: „Wir wollen keine Juden, keine Homosexuellen, keinen Schwangerschaftsabbruch, keine Steuern und keine Europäische Union.“ Auf diese Liste sind inzwischen auch Ukrainerinnen und Ukrainer gekommen, die Mentzens Ansicht nach die polnischen Sozialkassen plündern, weil sie zu großzügige Leistungen vom Staat erhalten.

Dieser anti-ukrainische Wahlkampf der Konfederacja ist auch der Grund, warum die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sich seit einigen Wochen verstärkt gegen die Ukraine wendet: Die Rechtskonservativen wollen mit diesem Ansatz auf den letzten Metern noch Wähler vom rechten Rand „abwerben“.

Michał Kokot arbeitet im Auslandsressort der Gazeta Wyborcza und befasst sich dort mit Politik und Gesellschaft Mitteleuropas.

Zahl der Woche: 4

Die rechte Eesti Konservatiivne Rahvaerakond (Estnische Konservative Volkspartei – EKRE) ist inzwischen die beliebteste Partei in Estland. Doch sie hat ein Problem: Es mangelt ihr offensichtlich an talentiertem Personal.

Als die EKRE in den Jahren 2019 bis 2021 Teil der Regierungskoalition war, schaffte sie es, in weniger als zwei Jahren vier Minister zu verbrennen. Marti Kuusik war zunächst verantwortlich für Unternehmertum, Außenhandel und Informationstechnologie, doch bereits nach einem Tag im Amt wurden Vorwürfe wegen häuslicher Gewalt gegen ihn laut und er trat umgehend zurück.

Seine Nachfolgerin Kert Kingo vermied es tunlichst, ins Ausland zu reisen und sprach nur höchst widerwillig Englisch – wohlgemerkt als Ministerin für Außenhandel. Wenig später wurde sie aufgrund ihrer hohen Auslagen- und Spesenabrechnungen sowie anderer Kosten angeklagt.

Die EKRE schickte also den nächsten Kandidaten ins Rennen, Kaimar Karu, der allerdings kein Parteimitglied war. Von außerhalb der Partei wurde Karu als kompetent erachtet. Da er sich aber weigerte, der EKRE-Truppe beizutreten, wurde er bald mit dem loyalen Parteimitglied Raul Siem ersetzt. Dieser konnte sich immerhin die verbleibenden neuen Monate halten, bis die Regierung Anfang 2021 geschlossen zurücktrat und Neuwahlen ausgerufen wurden.

Herman Kelomees ist Redakteur im Ressort Politik bei Delfi und Eesti Päevaleht aus Tallinn.

Verschwörungsfans an der Staatsspitze

Die Slowakei steht kurz vor der Ernennung einer neuen populistisch-nationalistischen Regierung. Der Ex-Premier Robert Fico und seine Smer-Partei hatten die Wahlen Anfang des Monats klar für sich entschieden. Fico hat nun Verhandlungen über eine Koalition mit der am stärksten prorussischen politischen Kraft in der Slowakei – der SNS (Slowakische Nationalpartei) – sowie der sozialdemokratischen Hlas aufgenommen. Sollte es zu dieser Koalition kommen, dürfte sich die außenpolitische Ausrichtung der Slowakei ändern, vor allem im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine.

Wie kam es dazu, und warum hat die nationalistische SNS bei den Wahlen so gut abgeschnitten? Die SNS von heute ist eine ganz andere SNS als die bisherige: Von den zehn Personen auf ihrer Liste, die nun ins Parlament eingezogen sind, ist nur der Vorsitzende Andrej Danko Mitglied der Partei. Der Rest sind diverse Anhänger von Verschwörungserzählungen sowie veritable „Stars“ der regionalen Desinformationsszene.

Einige von ihnen waren zuvor auf Wahllisten der faschistischen „Volkspartei Unsere Slowakei“ (ĽSNS) zu finden; andere waren beim pro-russischen Online-Sender TV Slovan tätig.

Eine gewisse Nähe zu Russland ist nicht das einzige Band, das die Truppe zusammenhält. So wollen sie alle Desinformations-Websites entsperren sowie die Dekrete über Transgender-Personen aufheben. Gleichzeitig ist auch ein Arzt an Bord, der sich gegen Covid-Impfungen ausgesprochen hatte und sich nun vor allem mit Chemtrails befassen möchte.

Dank dieser „interessanten“ Truppe konnte SNS-Chef Danko ins Parlament einziehen und nun wohl auch an der Regierung beteiligt werden. Es ist jedoch fraglich und bleibt abzuwarten, ob er die parteilosen Abgeordneten unter Kontrolle halten kann – oder ob er letztlich den Preis dafür bezahlt, eine nationalistische Partei in ein Sammelbecken für Verschwörungsfans verwandelt zu haben.

Die einzige Person, die in der Lage gewesen wäre, die Aluhut-Koalition zu stoppen, hätte Peter Pellegrini ein können, Vorsitzender von Hlas, der sich selbst als proeuropäisch sieht und bei den Wahlen den dritten Platz belegte. Pellegrini hatte aber nach dem Mord am Journalisten Ján Kuciak im Jahr 2018 die Smer verlassen und seine eigene Partei gegründet.

Von ihm und seiner Partei hing nach den Wahlen alles ab: Angesichts der Sitzverteilung im Parlament hätte Hlas auch eine Regierung mit der liberalen Allianz unter der Partei Progressive Slowakei sowie den Christdemokraten bilden können. Stattdessen entschied man sich für die populistische und nationalistische Alternative.

Mirek Tóda ist Journalist und Chef der Auslandsredaktion der slowakischen Tageszeitung Denník N.

Marode Brandmauer

Wenn die AfD auf kommunaler Ebene Wahlsiege einfährt, müsse man dies „akzeptieren“, hatte Friedrich Merz im ZDF-Sommerinterview im Juli erklärt. „Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet,“ fügte der CDU-Chef hinzu.

Mit diesem Eingeständnis weichte er den Beschluss seiner Partei von 2018 auf, auf keiner Ebene – auch nicht in den Kommunalvertretungen – mit der AfD zusammenzuarbeiten. Nach harscher Kritik sogar aus der eigenen Partei relativierte Merz seine Aussagen nur wenige Stunden später.

Dennoch: Mitte September verabschiedete die CDU gemeinsam mit der FDP und der AfD ein Gesetz zur Senkung der Grundsteuer in Thüringen – gegen die Minderheitsregierung von Linken, SPD und Grünen. Innerhalb der CDU gab es dieses Mal keinen nennenswerten Aufschrei.

Derweil legt die AfD kräftig zu. Bei den Wahlen in Hessen und Bayern am vergangenen Sonntag erzielte sie in beiden Bundesländern ihre bisher besten Ergebnisse. In Hessen ist die rechtsextreme Partei nun die zweitstärkste Partei. In den östlichen Bundesländern sieht es noch besser für sie aus. 2024 finden in Thüringen, Sachsen und Brandenburg Landtagswahlen statt. In allen drei Ländern liegt die AfD in aktuellen Umfragen vorn.

Teresa Roelcke ist Journalistin beim Tagesspiegel aus Berlin.

„In Frankreich gibt es keine Maßnahmen gegen Rechtsradikalismus als solchen“

Im Interview spricht Bénédicte Laumond über die unterschiedlichen Ansätze in Deutschland und Frankreich im Kampf gegen rechtsradikale Bewegungen und Parteien. Laumond ist Professorin für Politikwissenschaft and der Universität Versailles-Saint-Quentin-en-Yvelines.

Welche Maßnahmen werden in Frankreich im Kampf gegen Rechtsradikalismus eingesetzt?
In Frankreich gibt es keine wirklichen Politikmaßnahmen gegen Rechtsradikalismus als solchen. Die Behörden ergreifen jedoch Schritte gegen einzelne rechtsradikale oder rechtsextreme Gruppen, insbesondere wenn diese als gewalttätig eingeschätzt werden. Hinzu kommt: Wenn die Justiz rechtsradikale Aktivisten beispielsweise wegen Hate Speech verurteilt, kontrolliert sie anschließend auch die weiteren Aktivitäten der politischen Gruppe oder Fraktion – sofern es eine solche Gruppe gibt.

Was könnte der Staat diesbezüglich besser machen?
Man könnte einige Ansätze aus Deutschland übernehmen. Diese müssten aber an die politische Kultur Frankreichs angepasst werden. Denn hier gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung eine glasklare Trennung zwischen rechtsradikalen Parteien wie Rassemblement National und nicht in Parteien organisierten radikalen Gruppen, die gegebenenfalls auch Gewalt anwenden.

Für die meisten Franzosen wäre es inakzeptabel, erstere einzuschränken oder gar zu verbieten, während gegen zweitere durchaus repressive Maßnahmen durchgesetzt werden könnten und dies auch begrüßt würde. So wäre es beispielsweise interessant, präventive Initiativen einzuführen, die den Einfluss der radikalen Gruppen außerhalb von Parteien schon im Ansatz begrenzt.

Wie unterscheidet sich der deutsche Ansatz vom französischen?
In Deutschland wird der Rechtsradikalismus immer als potenzielle Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstanden. Dadurch lässt sich eine Reihe von koordinierten Repressions- und Präventionsmaßnahmen rechtfertigen. Seit 1949 ist im deutschen Grundgesetz verankert, dass der Staat sich vor sogenannten extremistischen Bewegungen schützen muss, also vor solchen, die aktiv gegen die besagte freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes agieren.

Infolgedessen haben die Deutschen zahlreiche miteinander verknüpfte Maßnahmen entwickelt, um den Einfluss extremistischer Gruppen einzudämmen. In den vergangenen 20 Jahren haben die deutschen Behörden, unterstützt von einer mobilisierten Zivilgesellschaft, viel in die Entwicklung von Bundes-, Landes- und Kommunalprogrammen zur Prävention gegen Rechtsradikalismus investiert.

Diese Programme finanzieren zivilgesellschaftliche Initiativen zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus vor Ort. Das reicht von Programmen, die rechtsradikalen Aktivisten beim Ausstieg helfen, bis hin zu Bildungsprojekten und kulturellen Veranstaltungen zur Toleranzförderung.

Léa Masseguin ist Journalistin in der Auslandsredaktion der französischen Zeitung Libération aus Paris.


Danke, dass Sie die 47. Ausgabe von European Focus gelesen haben.

Wenn Sie, werte Leserinnen und Leser, deprimiert sind angesichts der zahlreichen wirtschaftlichen, politischen sowie kriegerischen Krisen in Europa und der Welt, war dieser Newsletter vermutlich nicht aufheiternd.

Allerdings zeigt diese Ausgabe auch auf, dass es Gegenwehr gibt, wie diese organisiert werden kann – und vor allem: dass der oder die Einzelne nicht allein ist.

Wir brauchen eine gemeinsame europäische Perspektive für den Kampf gegen den Rechtsradikalismus.

Bleiben Sie aufmerksam. Bis nächste Woche!

Boróka Parászka

Der Newsletter European Focus wird von der Europäischen Union finanziert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind ausschließlich diejenigen der Autor:innen und spiegeln nicht notwendigerweise die der Europäischen Union oder von „Creative Europe“ wider. Weder die EU noch die ausstellende Behörde können für sie zur Verantwortung gezogen werden.

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