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© Verena Schulz für den Tagesspiegel

Warum sind rechte Parteien so erfolgreich?: Ohnmacht ist der Zwilling von Wut

Terror, Finanz- und Flüchtlingskrise: Drei Ereignisse haben bei einem Teil der Bürger das Vertrauen in den Staat zerstört. Reparieren lässt es sich nur schwer.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Das sind ein paar Schlaglichter der vergangenen Wochen. Spanien: Nach den Kommunal- und Regionalwahlen steht das Land vor einem Rechtsruck. Die Konservativen haben zugelegt, vielerorts brauchen sie die rechtspopulistische Vox-Partei zum Regieren. Türkei: Präsident Recep Tayyip Erdogan triumphiert erneut, nach zwanzig Jahren an der Macht. Deutschland: In einer Umfrage liegt die AfD bundesweit bei 18 Prozent. Gleichauf mit der SPD. Das ist ein Allzeithoch. Im Osten des Landes ist die AfD weiterhin stärkste Partei.

USA: Donald Trump habe eine reale Chance, Amerikas nächster Präsident zu werden, schreibt der „Economist“ in seiner Titelgeschichte. Die Überschrift lautet: „Seriously? Yes.“ Israel: Wieder gehen Zehntausende gegen die Justizreform der ultrarechten Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf die Straße. Die Demonstranten werfen der Regierung vor, die Justiz schwächen und die Demokratie im Land aushöhlen zu wollen.

Nun gleicht kein Land dem anderen. Doch jenseits der Besonderheiten gibt es einen Trend. Wer geglaubt haben mag, dem Aufstieg der illiberalen, autoritären, rechtspopulistischen Bewegung folge auch deren Abstieg, sollte in sich gehen und bekennen: Nein, diese Bewegung wird eher stärker und präsenter. Siehe auch Italien, Ungarn, Schweden.

Sind sie frustriert, abgehängt, verführt, autoritätsfixiert?

Auffallend ist auch: Die Vertreter der rechtspopulistischen Parteien scheinen immun gegen Skandale zu sein – Trump etwa kokettiert mit seiner besonderen Beziehung zu Wladimir Putin, erkennt das Ergebnis freier Wahlen nicht an, lässt seine Anhänger das Kapitol stürmen, und es laufen diverse Ermittlungen gegen ihn. Trotzdem befürwortet eine große Mehrheit der Republikaner dessen erneute Kandidatur um die Präsidentschaft. Auch von Orban, Meloni und Netanjahu prallt erstaunlich viel ab.

Wer das Phänomen verstehen will, darf sich nicht in Psychologismen flüchten. Sind die Wähler der rechten Parteien frustriert, abgehängt, verführt, autoritätsfixiert? Mag sein, doch solche Charakteristika verdunkeln mehr, als sie erhellen. Zuschreibungen dieser Art haben weder Überzeugungskraft, noch fördern sie die Erkenntnis. Sie lösen bei den Angesprochenen allenfalls Trotzreflexe aus. Jetzt erst recht.

Manchmal indes verrät der Name einer Partei, worum es deren Wählern im Kern geht. Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen vor gut zwei Wochen kam die Vereinigung „Bürger in Wut“ auf landesweit 9,4 Prozent. Dass sich eine Partei programmatisch auf ein starkes Gefühl wie Wut bezieht, ist kein Zufall. Vielmehr drückt sich darin eine emotionale Konstante innerhalb der rechtspopulistischen Bewegung aus, jedenfalls in Bezug auf Europa und die USA.

Im Jahr 2010 wurde der Begriff des „Wutbürgers“ geprägt. Damals ging es um die Fans von Thilo Sarrazin und die Gegner des Bahnhofsprojektes „Stuttgart 21“. Wutbürger waren alt, weiß, reich und ewig gestrig. Der Duden definiert sie als „aus Enttäuschung über bestimmte politische Entscheidungen sehr heftig öffentlich protestierende und demonstrierende Bürger“. Zu der Zeit galt die Wut als Antriebsmotor als unschicklich. Inzwischen haben sich die Wütenden den Begriff zu eigen gemacht. 

Auch irrationale Ängste sind – Ängste

Wenn Menschen anhaltend wütend sind, fehlt ihnen ein Ventil. Ohnmacht ist der Zwilling der Wut. Drei Ereignisse, die bis heute nicht verarbeitet wurden, haben in den vergangenen gut zwei Jahrzehnten Erschütterungen ausgelöst.

Da sind zum einen die Terroranschläge vom 11. September 2001. Was tun gegen den militanten Islamismus? Afghanistan- und Irakkrieg wurden zum Debakel. Stattdessen kamen die Bedrohungen immer näher. London, Madrid, Brüssel, Paris, Berlin. Was hat das mit dem Islam zu tun, mit Kopftüchern, Moscheen, Einwanderung? Auch irrationale Ängste sind – Ängste.

In Amerika entstand als Reaktion auf die Finanzkrise die Tea Party

Durch die globale Finanzkrise geriet ein weiteres Grundvertrauen ins Wanken. Politiker schauten in Abgründe, nannten Banken systemrelevant, retteten sie mit Milliardensummen an Steuergeldern, die Bosse, die sich verzockt hatten, wurden zum Teil großzügig abgefunden. Gerechtigkeit? Pah! In Amerika entstand als Reaktion darauf die Tea Party, die ein Vorläufer des Trumpismus war.

Schließlich der Herbst 2015, als Hunderttausende von Zufluchtsuchenden nach Europa strömten, viele von ihnen unkontrolliert. Die Dublin-Regeln wurden außer Kraft gesetzt, weder einigte man sich auf Obergrenzen noch auf ein europäisches Quotensystem. Die Politik wirkte hilf- und wehrlos. Substanzielle Kritik an Angela Merkels „Wir schaffen das“-Diktum kam von keiner der im Bundestag vertretenen Parteien.

Ob Afghanistankrieg, Bankenrettung oder Flüchtlingsaufnahme: Alle Maßnahmen galten als „alternativlos“. Wer sie kritisierte, sah sich parlamentarisch kaum repräsentiert. Das trug zur Verbitterung erheblich bei. Dasselbe Muster – eine Bevölkerung, die einer politischen Entwicklung in Teilen skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, trifft auf großkoalitionäre Geschlossenheit – findet sich auch in Debatten über Corona und Waffenlieferungen an die Ukraine. 

Vor einem Irrtum sei allerdings gewarnt: Der Rechtspopulismus ist kein nationales Phänomen. Er reicht von Amerika bis Ungarn, von Schweden bis Italien. Ihn vornehmlich als Reaktion auf spezifische Regierungsentscheidungen zu verstehen, greift zu kurz. 

Das ist, grob skizziert, der Resonanzboden rechtspopulistischer Ressentiments. Daraus folgt: Auf den Gebieten Terror- und Verbrechensbekämpfung, Einwanderung und Integration, Verschuldung und soziale Gerechtigkeit dürfen sich die Parteien der Mitte keine Fehler erlauben. Da sind sie verwund- und angreifbar.

Die Entfremdungsprozesse eines Teils der Menschen vom Staat und seinen Institutionen lassen sich nicht einfach rückgängig machen. Die Mechanismen, die sie verursachen, müssen thematisiert werden. Das ist im Kampf gegen rechtspopulistische Parteien essenziell. Denn Wut und Ohnmacht können sehr hartnäckig sein.

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