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Migranten in Sfax in Tunesien.

© Reuters/Jihed Abidellaoui

EU-Migrationsdeal mit Tunesien: Nicht nur „schmutzig“, sondern nutzlos?

EU-Kommissionschefin von der Leyen lobte das Abkommen mit Tunesien als Meilenstein. Doch nun brüskiert das Land die Europäer. Und Migranten werden direkt zu Flüchtlingsbooten transportiert.

Die Bilder waren so schön: Im Juli hatten sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Tunesiens Präsident Kais Saied in Tunis die Hände geschüttelt.

Im zweiten Anlauf hatten sie eine Absichtserklärung unterzeichnet, die dem nordafrikanischen Land fast bedingungslos knapp eine Milliarde Euro in Aussicht stellte, wenn es denn die Migranten an der Überfahrt nach Europa hindere.

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Umstritten war der Deal in Europa und im Europaparlament von Anfang an. Kaum an Bedingungen geknüpft, keine Garantien für eine menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge. Doch nun stellt sich die Frage, ob der Deal nicht nur „schmutzig“ ist, sondern auch nutzlos. Denn Partnerschaft sieht anders aus.

Russland wichtiger als EU?

Mitte September hat Tunis einer europäischen Parlamentarierdelegation um den deutschen EVP-Abgeordneten Michael Gahler die Einreise verweigert. Am Montagabend ließ Präsident Kais Saied nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates mitteilen, sein Außenminister Nabil Ammar werde den Besuch einer Delegation der EU-Kommission zu Migrationsfragen verschieben.

Ammar reiste stattdessen zu einem zweitägigen Besuch nach Russland, um mit dem Amtskollegen Lawrow über die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Länder zu diskutieren. 

Tunesiens Präsident brüskiert die EU damit nur wenige Tage, nachdem die Europäische Kommission am 22. September erste Hilfszahlungen an Tunesien in Höhe von 127 Millionen Euro freigegeben hatte. Ein Teil davon, 42 Millionen Euro, stammen aus dem Topf des im Juli beschlossenen Memorandums mit Tunesien, mit dem irreguläre Migration und Schmugglernetzwerke bekämpft werden sollen.  

Nachdem innerhalb von Tagen mehr als zehntausend Geflüchtete auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa angekommen waren, brüsteten sich die tunesischen Behörden damit, in nur vier Tagen 2500 Menschen davon abgehalten zu haben, mit dem Boot das Mittelmeer gen Italien zu überqueren.

Videos mit Musik sollen Europa überzeugen

Vorausgegangen war ein Crackdown der Sicherheitskräfte gegen mutmaßliche Schlepper und kriminelle Netzwerke. Er wurde aufwendig in den sozialen Medien in Szene gesetzt, etwa in Form von Videos von Spezialeinheiten in Kampfmontur, die sich von Hubschraubern abseilen, das Ganze mit rhythmischer Musik unterlegt. Dafür gab es im Internet viel Applaus, und auch in Europa wurden die Anstrengungen Tunesiens wahrgenommen. 

Doch kritische Stimmen fragten, wie viel solche Aktionen wirklich bewirken. Denn bei den Schleppern in Tunesien handelt es sich nicht um Mitglieder großer Strukturen. Vielmehr gibt es dezentrale, lokal organisierte Netzwerke, die sich der jeweiligen Situation anpassen. Entsprechend viele Menschen verdienen im Kleinen mit, wenn Boote gebaut, Motoren verkauft und Transportwege beobachtet werden.

Im Alltag gelingt es kaum, die irreguläre Migration einzudämmen.

Sarah Mersch, Korrespondentin in Tunis

Und entsprechend schwierig sind diese Strukturen zu kontrollieren und aufzubrechen. Spärlich besetzte und ausgestattete sowie schlecht bezahlte Einheiten der Polizei und der Küstenwache tun ihr Übriges, dass es Tunesien im Alltag kaum gelingt, die irreguläre Migration einzudämmen.   

Wenige Tage nach dem robusten Polizeieinsatz gegen Schlepper räumten die Behörden das Zentrum der Hafenstadt Sfax und vertrieben alle Migranten. Die 900.000-Einwohner-Stadt war in den vergangenen Jahren eine Zwischenstation für all diejenigen geworden, die nach Europa wollen, seien es Tunesier, die ob der schlechten wirtschaftlichen Lage und der Perspektivlosigkeit ihrem Land den Rücken kehren wollen, oder aber Migranten aus Afrika südlich der Sahara.

Afrikanische Migranten in Sfax: Sie werden von Tunesiens Behörden entweder in die Wüste oder zu Abfahrtsorten der Flüchtlingsboote transportiert.
Afrikanische Migranten in Sfax: Sie werden von Tunesiens Behörden entweder in die Wüste oder zu Abfahrtsorten der Flüchtlingsboote transportiert.

© Reuters/Jihed Abidellaoui

Nach wiederkehrenden Angriffen aus der Bevölkerung und Deportationen durch Sicherheitskräfte ins libysche und algerische Grenzgebiet im Sommer hatten zuletzt immer mehr Migranten, die Wohnung und Arbeit verloren hatten, in öffentlichen Parks gelebt. Notdürftig versorgt wurden sie durch den tunesischen Roten Halbmond. Dem wurde dies durch die Behörden jetzt untersagt, berichteten lokale Medien.  

Die in Parks und auf öffentlichen Plätzen gestrandeten Migranten wurden diesmal nicht etwa mitten in der Wüste ausgesetzt wie im Sommer; stattdessen brachten die Behörden sie direkt dorthin, wo die Boote nach Europa ablegen: Mindestens acht Busse mit Flüchtlingen kamen in der Kleinstadt El Aamra an, nördlich von Sfax an der Mittelmeerküste gelegen.

Der Ort ist einer der wesentlichen Ausgangspunkte für die Überfahrten, denn von dort sind es nur gut 150 Kilometer nach Lampedusa. „Deutlicher kann man der EU eigentlich nicht zeigen, was man von ihrem Deal hält“, so ein migrantischer Aktivist aus Sfax. 

Dabei war der Migrationsdeal von Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen zunächst als Meilenstein der Zusammenarbeit präsentiert worden. Rund eine Milliarde Euro, unter anderem zur Unterstützung der Küstenwache, hatte sie dem finanziell angeschlagenen Tunesien insgesamt in Aussicht gestellt.

Darunter ist auch eine Soforthilfe von 105 Millionen Euro zur Stärkung des Grenzschutzes. Doch so einfach, wie sich einige in Brüssel die Zusammenarbeit mit Tunesien erhofft hatten, gestaltet diese sich nicht.  

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