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Demonstration gegen den immer autoritärer regierenden Präsidenten Saied.

© REUTERS/ZOUBEIR SOUISSI

Repression in Tunesien: Wenn das Mittagessen beim Botschafter zur Gefahr wird

Die Festnahme bekannter Vertreter der Zivilgesellschaft steht in Zusammenhang mit ihren Kontakten zu westlichen Botschaften. Die USA sind „alarmiert“.

Die jüngste Repressionswelle in Tunesien muss die Europäer besonders beunruhigen. Denn sie ist nicht nur ein Zeichen für den immer autoritäreren Kurs von Präsident Kais Saied. Sie berührt auch direkt die Arbeit und Interessen westlicher Länder.

Denn mittlerweile wird klar, warum im Februar neun bekannte Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter Politiker, Geschäftsleute und der Leiter des privaten Radiosenders „Mosaique“, festgenommen wurden – fast alle auf Basis des Anti-Terror-Gesetzes.

Ihnen werden ihre Kontakte zu Vertretern westlicher Botschaften – insbesondere der französischen und der amerikanischen – als möglicher „Angriff auf die äußere Sicherheit des Staates“ und Komplottversuche ausgelegt. Das berichtet die französische Tageszeitung „Le Monde“, die Einsicht in geleakte Dokumente der Untersuchungen hatte.

Visitenkarten als Beweismittel

Zuvor hatte sich der Anwalt eines Beschuldigten, Samir Dilou, gewundert, dass die Akten nichts außer Informationen über Diskussionen beim Mittagessen, Treffen mit ausländischen Diplomaten und Äußerungen auf Facebook enthielten, wie die NZZ berichtete.

Laut „Le Monde“ wurden die Beschuldigten immer wieder gefragt, ob sie Kontakte zu ausländischen Botschaften hatten, ob sie Treffen mit Diplomaten organisiert hätten und wer sie „autorisiert“ habe, Vertreter anderer Staaten zu treffen, obwohl sie selbst keinen offiziellen Status hätten. Ausgewertet würden Anrufverzeichnissse in Handys, Messenger-Nachrichten und Visitenkarten in den Wohnungen der Beschuldigten.

In Veranstaltungen schreiben wieder Sicherheitsbeamte mit

Das US-Außenministerium hatte Anfang März öffentlich reagiert: „Wir sind alarmiert über Berichte, dass Individuen strafrechtlich verfolgt werden im Zusammenhang mit Treffen oder Gesprächen mit Vertretern der US-Botschaft“ in Tunis“, sagte Sprecher Ned Price.  

Es geht wohl in einem Fall um Kontakte zu den Amerikanern, ansonsten hauptsächlich um solche zu französischen Botschaftsvertretern. In deutschen Regierungskreisen sind keine Fälle bekannt, wo ein Zusammenhang zwischen Kontakten zur deutschen Botschaft und Verhaftungen bestehen könnte. Die Botschaft halte unverändert engen Kontakt zu Vertreterinnen und Vertretern der tunesischen Zivilgesellschaft, heißt es dort.

Auch deutsche politische Stiftungen in Tunesien spüren bisher keine Auswirkungen. Allerdings sitzen jetzt in öffentlichen Veranstaltungen wieder Zivilbeamte zum Mithören – wie es unter der Herrschaft des 2011 gestürzten Ben Ali der Fall gewesen ist - und seither nicht.. Und bei Einladungen ausländischer Diplomaten zu Abendessen bleiben mittlerweile viele tunesische Gäste fern. Wohl aus Vorsicht.

Bereits Anfang Februar hatte das tunesische Außenministerium in einem Kommuniqué die Diplomaten im Land vor der „Einmischung in innere Angelegenheiten“ gewarnt und bezog sich damit auf das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961. Später wollte Außenminister Nabil Ammar die Aufregung darüber herunterdimmen und erklärte im Radio Diwan FM, „es ist absolut kein Delikt, einen ausländischen Diplomaten zu treffen“.

Das Vorgehen gegen die Besucher der Botschaften ist Teil einer längeren Entwicklung, in der immer wieder das Ausland oder Ausländer in Tunesien vom Präsidenten Kais Saied zum Sündenbock gemacht werden. Seine fremdenfeindlichen Äußerungen über Migranten aus Subsahara-Staaten hatten Ende Februar großes Aufsehen erregt und zu zahlreichen Übergriffen gegen sie geführt.

Der Konsul von Mali prüft Listen bei der Ausreise von Landsleute aus Tunesien, die vor fremdenfeindlichen Übergriffen fliehen.

© AFP/FETHI BELAID

Saied hatte gegen „Horden“ illegaler Einwanderer gewettert und ihnen vorgeworfen, sie würden die „demographische Zusammensetzung“ des Landes verändern, dessen islamo-arabische Identität gefährdet sei. Viele Menschen aus schwarzafrikanischen Ländern haben seither aus Angst Tunesien verlassen.

Aber es trifft auch andere: Die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes, die Irin Ester Lynch, war Ende Februar aus Tunesien ausgewiesen worden. Sie hatte zuvor an einer Demonstration der mächtigen Gewerkschaft UGTT in Sfax teilgenommen und die Freilassung von deren Vorsitzendem Anis Kaabi gefordert.

Präsident Saied steht unter starkem Druck wegen der schwierigen Wirtschaftslage in Tunesien. Das Land braucht dringend einen Milliarden-IWF-Kredit, der unterschriftsreif vorliegt, den der Präsident aber nicht unterzeichnen will.

Denn als Bedingung werden der Abbau von Subventionen für Kraftstoffe und Nahrungsmittel sowie Reformen gefordert. Bei den Wahlen zu einem neuen zahnlosen Parlament hatten Anfang des Jahres nur 11 Prozent der Wahlberechtigen abgestimmt.

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