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Wald im Mesolithikum mit Schamanin aus der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle

© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Karol Schauer

„Ohne Haselnuss gäb’s uns gar nicht“: Was wir von der Mittelsteinzeit lernen können

Prähistorische Hütten bauen und Haselnüsse rösten: Am Wochenende machen Besucher:innen auf dem Campus der Freien Universität Berlin eine spannende Zeitreise in die Urgeschichte.

Für Allergiker wäre das Leben in der Mittelsteinzeit ein Alptraum gewesen. Als die gigantischen Gletscher der letzten Eiszeit vor zirka 12.000 Jahren schmolzen, breitete sich in Europa ein dichter Urwald aus, den es später so nie wieder geben sollte. Überall blühten Birken, Pappeln, Weiden  – und natürlich die Hasel. Ihre Früchte waren damals ein wertvolles Grundnahrungsmittel. „Manche sagen, ohne Haselnuss gäb’s uns gar nicht“, erzählt Antje Wilton.

Die neue Welt des Mesolithikum

Die Sprachwissenschaftlerin von der Freien Universität Berlin untersucht, wie sich Menschen in historischen Umgebungen verhalten. Am Wochenende entführt sie Besucher:innen der Langen Nacht der Wissenschaften auf eine spannende Reise zurück in die Mittelsteinzeit.

Haselnüsse gehörten in der Mittelsteinzeit zur Grundnahrung.

© Wulf Hein/Arc-Tech

Im Rahmen eines einzigartigen, interdisziplinären Citizen-Science-Projekts werden auf dem Campus prähistorische Hütten errichtet und die Aktivitäten vor Ort auf Video dokumentiert. Wer Lust hat, kann mitmachen. Dabei lenkt die Forscherin ihren Blick vor allem darauf, wie die Teilnehmenden miteinander interagieren, welche Gespräche sie führen und wie sie mit unbekannten Objekten umgehen.

Die Welt des Mesolithikum, rund 10.000 bis 5000 Jahre v. Chr, in der sich neben Flora und Fauna auch die Lebensbedingungen radikal änderten, eignet sich hervorragend für ein solches Experiment. Einerseits, weil die Menschen damals neue Unterkünfte, Werkzeuge und Jagdtechniken entwickelten, wodurch ihr Speiseplan vielfältiger wurde. Andererseits findet Wilton Räume aus der Frühgeschichte auch deshalb so faszinierend, weil sie oft nur spärlich belegt sind. „Je weiter wir in die Vergangenheit zurückblicken, umso weniger materielle Spuren finden wir.“ Weil es keine Schriftzeugnisse gibt, müssten die archäologischen Funde mit plausiblen Schlussfolgerungen ergänzt werden. „Und oft mit ein wenig Fantasie“, sagt Wilton.

Prähistorische Hütten und Werkzeuge

Lange war es zum Beispiel ein Rätsel, wie mittelsteinzeitliche Menschen Bäume gefällt und Holz für ihre Hütten bearbeitet haben. Die Antwort hält Antje Wilton in den Händen. „Eine solche Axt aus Hirschgeweih war dafür bestens geeignet“, sagt die Wissenschaftlerin. Zwar sind im archäologischen Befund keine vollständigen, mittelsteinzeitlichen Behausungen zu finden. Anhand von Pfostenlöchern und Feuersteinklingen, die im Inneren verteilt wurden, ist es dennoch möglich, die Grundrisse zu erkennen. Neben runden gab es auch ovale und trapezförmige Bauten.

Solche mittelsteinzeitliche Hütte aus Haselstämmen und Weidenzweigen wird auf dem FU-Campus gebaut.

© Wulf Hein

Aus welchem Material die einzelnen Unterkünfte bestanden, ist heute häufig unklar. „Wir werden dafür dünne Haselstämme verwenden, Schnüre selbst herstellen und anschließend Wände aus Hasel- und Weidenzweigen flechten, die wir frisch ernten“, erklärt Wilton. Angeleitet wird der Bau von Experten der Archäotechnik, eine Disziplin, die sich mit der Rekonstruktion von handwerklichen Techniken der Vergangenheit beschäftigt. Auch sonst kommen nur Materialien zum Einsatz, die für die Zeit weitestgehend nachgewiesen sind.

Wasserdichte Behälter wurden in der Mittelsteinzeit aus Birkenrinde gefaltet.

© Antje Wilton

Ein besonders schönes Beispiel sind Behälter aus Baumrinde. Ein ähnliches Exemplar wurde vor 10.000 Jahren am Grund eines Wasserlochs im havelländischen Friesack gefunden. „Baumrinde ist ein extrem flexibles und wasserdichtes Material“, sagt Wilton. Kein Wunder, dass die Steinzeitmenschen auch Matten für ihre Hütten daraus fertigten.

Auf unbekanntem Terrain

Der Blick in die Urgeschichte soll neue Erkenntnisse liefern. „Wir möchten herausfinden, wie wir uns Routinen aneignen, die uns im eigenen Alltag nicht geläufig sind, wenn wir auf unbekanntes Terrain treffen und schauen, wie wir gemeinsam die Vergangenheit erschließen können“, erklärt Wilton. Dass dabei auch mal verhandelt und gestritten wird, findet sie besonders spannend.

Spätestens beim gemeinsamen Feuermachen dürften die Bogen wieder geglättet sein. Dann werden auch die Haselnüsse geröstet, genauso wie früher, im heißen Sand. „Das geht ganz schnell und schmeckt lecker“, sagt Antje Wilton. Nur Allergiker sollten auf diesen Programmpunkt lieber verzichten.

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