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Sah sie so aus? Die Auswertung der Funde aus Dürrenberg im Saalekreis legen nahe, dass das von Karol Schauer gemalte Bild dem realen, 9000 Jahre alten Vor-Bild zumindest ähnelt.

© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt/Karol Schauer

„Schamanin von Dürrenberg“: Vom Ur-Arier zur starken Frau

Die Nazis machten die alten Knochen zum Posterchild ihrer Rassenideogie. Doch der 9000 Jahre alte Fund in Sachsen-Anhalt passt denkbar schlecht in dieses Bild.

Im Kurpark von Bad Dürrenberg im Saalekreis findet sich neben dem Üblichen – Rabatten, Wasserbecken, Steinfiguren, Gradierwerk – auch ein spezieller Infopunkt: Bei Kanalarbeiten wurden hier 1934 menschliche Knochen gefunden. Schnell war, im Geist der Zeit, vom Fund des „Ur-Ariers“ die Rede. Und damit dem Beweis, dass die Arier aus dem Gebiet Deutschlands stammten.

Das Grab im Kurpark

Große Mühe hatte man sich mit der Untersuchung des Grabes damals nicht gemacht und die Grube nach knapp zwei Tagen wieder zugeschüttet. Nach 1945 geriet dieser Fund dann in Vergessenheit. Erst im Zuge der Neugestaltung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle wurde er gleichsam erneut ausgegraben. Seit 2004 ist er in einem „Schneewittchen-Sarg“ in Halle ausgestellt.

Die Knochen waren ein „Cold Case“ der Archäologie. Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt und Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, und Kai Michel, Literaturwissenschaftler und Historiker, haben ihn noch einmal aufgerollt. Ergebnis ihrer interdisziplinären Forschungsarbeit ist unter anderem das Buch „Das Rätsel der Schamanin“.

Der 9000 Jahre alte vermeintliche Ur-Arier entpuppte sich dank genetischer Untersuchungen als 30- bis 35jährige Frau. Sie hatte zwar blaue Augen, aber dunklen Haare und dunkle Haut. Und sie war zusammen mit einem Kleinkind bestattet worden.

Körperliche Schäden

1934 hatte man dem Kind keine Beachtung geschenkt, auch nicht den reichhaltigen Grabbeigaben aus der Zeit der Jäger und Sammler im Übergang zur Jungsteinzeit. Die Arbeiten im Vorfeld der geplanten Landesgartenschau im Kurpark von Dürrenberg, inzwischen verschoben auf 2024, halfen 2019 den Archäologen, das Originalgrab gründlich zu erforschen.

So könnte die Schamanin ausgesehen haben. Gemälde von Karol Schauer.

© Karol Schauer

Bei der Frau, bezeichnet als „Schamanin von Dürrenberg“, fand man auch Reste eines wahrscheinlich als Kopfschmuck bearbeiteten Reh-Geweihs. Das Bild vom Schamanen mit Geweihmaske – allerdings eher vom Hirsch – und Trommel geht auf den niederländischen Forschungsreisenden Nicolaas Witsen aus dem 17. Jahrhundert zurück. Der Religionswissenschaftler Mircea Eliade setzte dem in den 1960er Jahren, auch im damaligen Zeitgeist, das Bild vom drogenkonsumierenden Schamanen auf.

Animistisches Weltbild

Beide Vorstellungen werden nach Ansicht von Meller und Michel dem Schamanismus nicht gerecht. Dass es sich bei dem Fund um eine Schamanin handelt, bezweifeln die Forscher aber nicht. Die Geweihmaske, die ihr mitgegeben wurde, hat deutliche Spuren durch Bearbeitung von Menschenhand. Zwei ihrer Vorderzähne waren von hinten geöffnet worden, eine sehr schmerzhafte Prozedur. Warum, ist unklar. Dazu kamen Schäden an Rückenwirbeln, die sich in ihrem Erscheinungsbild deutlich bemerkbar gemacht haben müssen.

Die Archäologen fanden zahlreiche Knochen verschiedener Tiere, die den ganzen Kosmos der damals bekannten Welt in Wasser, Erde und Luft abdeckten und Hilfsgeister symbolisierten. Es sind Zeichen eines animistischen Weltbildes, das Mensch und Natur als Einheit sah. In einer weiteren Grube wurden zwei 600 Jahre jüngere Hirschmasken gefunden. Sie könnten also zu Ehren dieser Frau noch nach Jahrhunderten hier niedergelegt worden sein. Das Wissen um den Rang der Schamanin wäre demnach über Generationen weiter überliefert worden.

Ur-Expertin statt Ur-Arier

Wichtig für das Verständnis der Zeit ist auch der Klimawandel nach der letzten Eiszeit. Wälder breiteten sich aus, mit ihnen kamen neue Tiere, große Herden verschwanden, es wurde kleinräumiger. Pfeil und Bogen wurden wichtig. Der Schamanin wurden steinerne Pfeilspitzen in einem Behälter aus einem Kranichknochen mit ins Grab gegeben.

Ihre Lebenszeit sei auch in eine Periode der Spezialisierung gewesen, in der sich erste Berufe herausbildeten. Der der Schamanin und Heilerin wäre einer davon. Ihr Grab markierte, so glauben die Forschenden, ein Territorium, war Orientierungspunkt für die Gemeinschaft. Michel und Meller zeichnen das Bild einer hochgeschätzten Expertin, verehrt für die Befähigung, „die Grenzen zwischen Tier und Mensch zu überschreiten und ins Reich der Geister vorzudringen“.

Die Schamanin von Dürrenberg stammt demnach aus einer Welt, in der Frauen stark und Handicaps selbstverständlich akzeptiert waren. „Die Menschen verstanden sich als Teil einer allbeseelten und allverbundenen Welt“. Mit der Schamanin aber beginnt den Autoren zufolge eine Zeit, in der sich der Mensch von der ihn umgebenden Natur zu entfremden beginnt, in der der Verlust der sozialen Geborgenheit zunimmt und Macht und Religion an Bedeutung gewinnen. So lädt sie auch dazu ein, über sozialen und ökologische Defizite , die uns heute beschäftigen, nachzudenken. Das macht sie vielleicht aktueller, als uns lieb sein kann.

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