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Nachfolge, die zweite. Schon beim FC Bayern München hat Julian Nagelsmann (links) Hansi Flick abgelöst.

© IMAGO/Sven Simon

Update

Ein Tüftler und Entwickler fürs DFB-Team: Ist Nagelsmann reif genug für das Amt des Bundestrainers?

Julian Nagelsmann galt schon länger als der logische Nachfolger von Hansi Flick für den Job des Bundestrainers. Aber ist er auch die richtige Wahl? Eine Analyse.

| Update:

Das könnte wirklich ein großer Spaß werden, wenn Julian Nagelsmann und Domenico Tedesco im kommenden Sommer bei der Europameisterschaft in ihrem gemeinsamen Heimatland aufeinandertreffen. Der eine, Tedesco, als Nationaltrainer von Belgien, dem ewigen Geheimfavoriten; der andere, Nagelsmann, als Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und damit des EM-Gastgebers.

Nagelsmann und Tedesco kennen sich schon eine kleine Ewigkeit. Vor knapp einem Jahrzehnt haben sie zusammen im Nachwuchs des Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim gearbeitet und in dieser Zeit auch gemeinsam den Lehrgang zum Fußballlehrer besucht. Beide gelten als Taktikfreaks, und wenn sie in der Vergangenheit mit ihren Mannschaften gegeneinander gespielt haben, dann waren das nicht einfach nur Fußballspiele. Ihre Duelle waren eher intellektuelle Spiegelfechtereien auf dem Rasen.

Vor fünf Jahren hat Tedesco, damals noch Trainer bei Schalke 04, das einmal – nun ja – so prägnant wie eben möglich zusammengefasst. Nagelsmann habe die Hoffenheimer in einem 3-1-4-2 beginnen lassen, dann aber auf ein 3-4-3 umgestellt. Tedesco tat es ihm nach, „weil wir sonst keinen Zugriff auf die beiden Sechser bekommen hätten“. Darauf wiederum reagierte Nagelsmann mit einer Umstellung auf ein 4-1-4-1 oder 4-3-3, was Tedesco dazu veranlasste, das System seiner Mannschaft zu einem 5-2-1-2 zu modifizieren. Alles klar so weit?

Julian Nagelsmann, der neue Bundestrainer, steht im Ruf, mehr verschiedene taktische Grundordnungen im Repertoire zu haben, als mathematisch möglich sind – und davon auch rege Gebrauch zu machen. Der stete Systemwechsel hat bei ihm System. Im Idealfall schafft er es, mit immer neuen taktischen Volten seinen Widersacher auf der anderen Seite regelrecht auszucoachen.

Und weil ihm das in der Vergangenheit überdurchschnittlich oft gelungen ist, kann Nagelsmann schon jetzt, noch weit vor seinem 40. Geburtstag, auf eine überaus erfolgreiche Karriere zurückblicken. Mit der Bestellung zum Nachfolger des gescheiterten Hansi Flick erreicht sie nun ihren vorläufigen Höhepunkt.

Überraschend kommt das nicht. Nagelsmann galt spätestens seit dem vorzeitigen Ende seiner Tätigkeit beim FC Bayern München im März als eine Art Schattenbundestrainer und erster potenzieller Nachfolger von Hansi Flick, den er schon in München beerbt hatte. Die fachliche Qualität, sein Renommee, dazu die vertragliche Situation: All das sprach für den 36-Jährigen. Insofern ist seine Ernennung zum Bundestrainer tatsächlich eine fast logische Wahl.

28
Jahre alt war Nagelsmann alt, als er Cheftrainer in der Bundesliga wurde.

Aber ist sie auch die richtige? Als die Nationalmannschaft vorige Woche 2:1 gegen Frankreich gewann und nach langer Zeit bei einem Länderspiel mal wieder so etwas wie Begeisterung im Land zu spüren war, da saß mit Interimsteamchef Rudi Völler ja schließlich eine Art Anti-Nagelsmann auf der Bank.

Völler verzichtete gegen den Vizeweltmeister auf all den neumodischen Schnickschnack, der im Fußball inzwischen Standard ist, und konzentrierte sich bewusst auf das Wesentliche. Nicht zuletzt bei seiner Taktik. Völler wählte eine klassische 4-2-3-1-Grundordnung, eine Art Passepartout des modernen Fußballs: Kennen alle, können alle.

Jugendliche Dynamik statt Erfahrung

Nach der überraschend positiven Erfahrung hatten viele vermutet, dass dies auch in die Überlegungen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) bei der Suche nach dem neuen Bundestrainer einfließen würde; dass sich der Verband also eher für einen erfahrenen Trainer entscheiden würde. Für Louis van Gaal zum Beispiel oder für Stefan Kuntz, der in der Türkei entlassen wurde und deswegen kurzfristig verfügbar wäre.

So konnte man auch Uli Hoeneß verstehen, der noch immer eine gewichtige Stimme im deutschen Fußball ist und sich am Wochenende ähnlich geäußert hat. Weil die EM im eigenen Land schon in ein paar Monaten anstehe, „sollte der neue Trainer den Laptop zu Hause lassen“, sagte Hoeneß in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“. Die Nationalmannschaft brauche jemanden, „der klar sagt: Das ist mein System, das sind meine 14, 15 Spieler, und das ziehen wir so durch.“

Hört sich nicht unbedingt nach der Beschreibung eines Jobs für Julian Nagelsmann an.

Vorbehalte sind ihm nicht unbekannt

Nagelsmann ist ein Tüftler, einer, der tagtäglich im Training nach Perfektion strebt. Mit einer Mannschaft, die lediglich alle vier Wochen für ein paar Tage zusammenkommt, ist das nur schwer zu verwirklichen. Zudem endet sein Vertrag mit dem DFB bereits im kommenden Sommer mit dem letzten Spiel der Nationalmannschaft bei der EM. Viel Zeit zum Entwickeln bleibt ihm eigentlich nicht. Nagelsmann wird aus dem Stand heraus funktionieren müssen.

Wie der neue Bundestrainer dieses Dilemma auflösen würde, ob er sich ein bisschen selbst verleugnen muss und wird, das könnte durchaus spannend werden. Aber dass er gegen Vorbehalte ankämpfen muss, das ist schon so, seitdem Nagelsmann die große Bundesliga-Bühne betreten hat. Im Februar 2016 war das, als er mit gerade 28 Jahren und mitten im Abstiegskampf zum Cheftrainer der TSG Hoffenheim ernannt worden ist. Auch da blieb ihm nicht viel Zeit, um den Abstieg zu verhindern.

Nagelsmann schaffte mit Hoffenheim den Klassenerhalt, führte den Klub später sogar in die Champions League. Genau wie auf seiner zweiten Cheftrainerstation auch Rasenballsport Leipzig. Beim FC Bayern München hingegen ist seine Bilanz mit nur einem Meistertitel eher durchwachsen ausgefallen – was aber auch an den hohen Erwartungen des Klubs liegt.

Die Zeit in München, im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, war womöglich eine gute Schule für die neue Aufgabe als Bundestrainer. Dass sich die beiden Teams auch personell in großen Teilen überschneiden, dürfte ebenfalls kein Nachteil sein, zumal sich potenzielle Führungsspieler der Nationalmannschaft wie Joshua Kimmich und Leon Goretzka nach seiner Entlassung in München ausdrücklich für Nagelsmann ausgesprochen haben.

Allerdings hat Julian Nagelsmann bei den Bayern gelegentlich die nötige staatsmännische Gravitas vermissen lassen, die auch als Bundestrainer von ihm erwartet würde. Manches Mal fehlte ihm das Gespür für den richtigen Umgang mit den verwöhnten Superstars der Bayern. So lief er kurz vor seiner Freistellung nach einer Niederlage bei Borussia Mönchengladbach laut fluchend durch die Katakomben des Stadions und beschimpfte das Schiedsrichterteam für alle klar und deutlich vernehmbar als „weichgespültes Pack“.

In solchen (und anderen) Momenten hat sich noch einmal gezeigt, dass Julian Nagelsmann eben immer noch ein vergleichsweise junger Mann ist, kaum älter als seine eigenen Spieler. Das wird auch in seinem neuen Job nicht anders sein. Kein Bundestrainer war bei seinem Amtsantritt so jung wie er. Nur Otto Nerz, der erste Reichstrainer in der Geschichte des DFB, bei seinem Amtsantritt noch geringfügig jünger. Aber das liegt fast 100 Jahre zurück.

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