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Die Vergangenheit (Hansi Flick, links) und die Vorvergangenheit und Gegenwart (Rudi Völler) der deutschen Nationalmannschaft.

© IMAGO/Schüler

Update

Rückwärts in die Zukunft: Rudi Völler und sein Comeback bei der Nationalmannschaft

Nur für das Spiel gegen Frankreich soll Rudi Völler als Teamchef bei der Nationalmannschaft einspringen. Alles andere wäre auch nur schwer zu verstehen.

Rudi Völler, der Teamchef der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, hat vor dem Länderspiel in Dortmund viel Zuspruch erfahren. Er kam aus der Bundesliga ebenso wie aus dem gemeinen Fußballvolk.

Bei einer Umfrage von Sport1 votierten 74 Prozent für Völler. Die wichtigsten Vertreter der Liga sprachen ihm nach dem unerfreulichen Wochenende sogar ihr hundertprozentiges Vertrauen aus. Und selbst der Nationaltrainer des kommenden Gegners schlug sich auf seine Seite: „Rudi Völler hat alle meine Sympathien, jetzt noch mehr als vorher.“

Ja, so war das, vor exakt 20 Jahren. In den Tagen, nachdem Völler in Reykjavik ausgeflippt war und nach einem 0:0 in der EM-Qualifikation gegen den Fußballzwerg Island die Gurus und Ex-Gurus („Käse, Mist, Scheißdreck“) attackiert hatte. Nur vier Tage später stand für die Nationalmannschaft in Dortmund das nächste Spiel an, gegen die Schotten und ihren deutschen Trainer Berti Vogts.

Am Samstag hat die Nationalmannschaft einen noch tieferen Tiefpunkt erlebt als damals in Reykjavik. In Wolfsburg verlor sie 1:4 gegen Japan – und Bundestrainer Hansi Flick als Folge dieser Niederlage seinen Job. Der Zufall will es, dass die Nationalmannschaft jetzt wieder in Dortmund spielen muss. Und dass dort Rudi Völler als verantwortlicher Teamchef bei den Deutschen auf der Bank sitzen wird. Erstmals wieder nach etwas mehr als 19 Jahren.

Gutes Pflaster. In Dortmund feierte Rudi Völler vor exakt 20 Jahren einen wichtigen Sieg gegen die von Berti Vogts (links) trainierten Schotten.
Gutes Pflaster. In Dortmund feierte Rudi Völler vor exakt 20 Jahren einen wichtigen Sieg gegen die von Berti Vogts (links) trainierten Schotten.

© imago/Bernd König

Das Stadion in Dortmund kann man durchaus als „gutes Pflaster“ für Rudi Völler bezeichnen. „Ich habe hier wunderbare Abende erlebt“, sagt er. Im September 2003 zum Beispiel, als seine Mannschaft in Dortmund 2:1 gegen Schottland gewann und dadurch einen vorentscheidenden Schritt Richtung EM-Qualifikation machte. Vor allem aber schlug sich das Publikum eindeutig auf Völlers Seite und feierte ihn nur wenige Tage nach seinem Ausraster auf Island.

So wie es ihn auch knapp zwei Jahre zuvor gefeiert hatte, als sich die Nationalmannschaft im Rückspiel der Play-offs durch ein 4:1 gegen die Ukraine die Teilnahme an der WM 2002 sicherte – und Völler nach nur 16 Monaten im Amt vor einem allzu frühen Ende seiner Tätigkeit als Teamchef bewahrte.

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Mal saß Völler bisher als Teamchef auf der Bank

Nun ist Frankreich, der Gegner an diesem Dienstag (21 Uhr, live in der ARD), eine andere Kategorie als Schottland oder die Ukraine. „Wir haben ein Spiel gegen die im Moment beste Mannschaft in Europa“, sagt der inzwischen 63 Jahre alte Völler. „Das wird natürlich schwierig.“ Aber angesichts der Ausgangslage erwartet niemand Wunderdinge vom neuen Teamchef und seinen beiden Zuarbeitern Hannes Wolf und Sandro Wagner.

Rudi Völler soll einfach das tun, was ihm schon Anfang des Jahres den Job des Sportdirektors beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) eingebracht hat: eine Lücke füllen, die Zeit überbrücken und gute Laune verbreiten. So wie er das auch schon zwischen 2000 und 2004 getan hat, als er die Nationalmannschaft in 53 Länderspielen (30 Siege, 10 Unentschieden, 13 Niederlagen) als Teamchef betreute. Mit der Finalteilnahme bei der WM 2002 als emotionalem Höhepunkt und dem Vorrundenaus bei der EM 2004 als Tief- und Endpunkt.

Ich fühle mich in der Pflicht auszuhelfen. Gefallen tut mir das trotzdem nicht

Rudi Völler über seine Rückkehr auf die Trainerbank

Völler war schon als Spieler Volkes Liebling gewesen, und davon profitierte er auch als Trainer der Nationalmannschaft. „Es gibt nur ein‘ Rudi Völler“, haben die Fans damals landauf, landab gesunden. Wobei das im Grunde gar nicht stimmte.

Weil Völler über ein ausgeprägtes Helfersyndrom verfügt und einfach nicht nein sagen kann, hat er sich immer wieder breitschlagen lassen. Auch jetzt wieder. „Ich fühle mich in der Pflicht auszuhelfen“, sagt er über die neue Konstellation, die sich durch die Trennung von Hansi Flick ergeben hat. „Gefallen tut mir das trotzdem nicht.“

Völler hat schon in der Vergangenheit Jobs übernommen, die in seiner Lebensplanung eigentlich nicht vorgesehen waren, manchmal sogar mehrere gleichzeitig. So wurde er im Juli 2000 Teamchef, weil der als Bundestrainer auserkorene Christoph Daum noch nicht zur Verfügung gestand. Er blieb es, nachdem Daum des Drogenkonsums überführt worden war. Und übernahm kurzzeitig auch noch dessen Job als Cheftrainer bei Bayer 04 Leverkusen.

Das Team braucht mehr als einen Feuerwehrmann

Mit Völler rückwärts in die Zukunft: Das ist der Plan des DFB. Auch deshalb soll seine Rückkehr auf die Bank bei der Nationalmannschaft eine einmalige Sache bleiben. Nach dem Spiel gegen Frankreich braucht das Team mehr als einen Feuerwehrmann, der ein bisschen gute Laune verbreitet und die Spieler bei ihrer Ehre packt. Es braucht einen Fußballlehrer, der dieser Ansammlung von Individualsportlern eine funktionierende Struktur verpasst.

Einen Trainerschein hat Völler nie gemacht, und ein Fußballlehrer ist er auch nie gewesen. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit hat er die Nationalmannschaft noch mit Libero spielen lassen. Seine Taktik bei der überraschend erfolgreichen WM 2002 war schlicht. Man könnte sie mit „Oliver Kahn und Michael Ballack machen das schon irgendwie “ zusammenfassen. Doch so etwas trägt nur über eine gewisse Zeit. So war es auch bei der Nationalmannschaft.

Mehr als dieses eine Spiel gegen Frankreich soll es nicht werden, selbst dann nicht, wenn es am Dienstag in Dortmund wider Erwarten außerordentlich gut läuft und das Publikum seine alte Zuneigung zu Völler wiederentdecken sollte. Man arbeite an einer dauerhaften Lösung, sagte der Interimsteamchef über die Suche nach dem neuen Bundestrainer.

„Es ist sehr, sehr wichtig, dass wir eine richtig gute Lösung finden“, sagte Völler in seiner Eigenschaft als Sportdirektor des DFB, „einen Trainer, der mit Leib uns Seele dabei ist.“ Auf ihn selbst trifft das nach eigener Einschätzung wohl nicht zu.

Rudi Völler ist freundlich zu (fast) jedermann, er ist jovial, aber er war nie so detailversessen, wie es erfolgreiche Trainer sein müssen. Im Grunde seines Herzens ist er ein zutiefst konservativer Mensch. Auch deshalb genießt er im durch und durch konservativen DFB bis heute einen exzellenten Ruf.

Für eine langfristige Tätigkeit als Bundestrainer aber taugt Völler gerade deshalb nicht. Bei der Nationalmannschaft gibt es im Moment wenig Bewahrenswertes.

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