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Einer, der die Spieler versteht. Rudi Völler wusste, was bei der Rückkehr als Teamchef von ihm gefragt war.

© dpa/Federico Gambarini

Die Erkenntnis aus dem Sieg gegen Frankreich: Die Nationalelf braucht einen Trainer wie Rudi Völler

Es geht also. Beim Comeback von Rudi Völler zeigt sich, was die DFB-Elf braucht. Das ist auch für die Suche nach dem neuen Bundestrainer eine wichtige Erkenntnis.

Auf den ersten Blick sah es aus, als wäre nichts passiert. Rudi Völlers Äußeres wirkte genauso derangiert wie am Samstagabend, als er sich nach der Niederlage gegen Japan den Fragen der Medien hatte stellen müssen. Das im Laufe der Jahre weiß und immer dünner gewordene Haupthaar klebte ihm schweißnass am Schädel. Völler sah abgekämpft und erschöpft aus.

Aber sein Gesichtsausdruck war ein anderer als noch am Samstag. Aus Sorge und Erschütterung waren Zuversicht, Freude und fast ein bisschen Stolz geworden. So schnell kann das gehen.

Das hatte vor allem daran gelegen, dass es der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im ersten Spiel unter Völler als Teamchef so schnell gelungen war, ein Tor zu erzielen. Gerade 200 Sekunden waren vergangen, als Thomas Müller gegen Vizeweltmeister Frankreich das 1:0 erzielte. Völler sprach von einem „Glücksgefühl, dass du gleich zu Beginn mal ein Tor erzielst“. So was sei ja „immer der Idealfall“.

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Es passte – weil es eigentlich überhaupt nicht passte. Allzu viel war den deutschen Fußballern in ihrem bemitleidenswerten Zustand nicht zugetraut worden. Nicht gegen diese Franzosen, die Völler zur besten Mannschaft Europas ernannt hatte; die vor neun Monaten im WM-Finale gestanden haben und in der EM-Qualifikation mit fünf Siegen aus fünf Spielen und noch ohne jedes Gegentor ihre Gruppe anführen.

Das Trainerteam hat einfach einen guten Job gemacht, unaufgeregt, aber auch mit einer guten Emotionalität.

Nationalspieler Thomas Müller

Aber dann eroberten die Deutschen am Dienstag in Dortmund Bälle zurück, die sie zuvor verloren hatten – weil sie weitermachten und nicht stehen blieben wie noch gegen Japan. Sie spielten Pässe mit der Hacke, die tatsächlich ankamen. Irgendwie gespenstisch das alles.

Es lag auf der Hand, dies alles mit Rudi Völler in Verbindung zu bringen, der so etwas wie das Glückskind des deutschen Fußballs ist – und bei dem der Idealfall oft der Normalfall ist. Schon bei seinem ersten Engagement als Teamchef zu Beginn des Jahrtausends hat er vom Zauber des erfolgreichen Anfangs profitiert.

Im Sommer 2000 war das, als sich der deutsche Fußball in einer ähnlich depressiven Phase befand wie bis zum Spiel gegen die Franzosen am Dienstagabend. Bei der EM war die Nationalmannschaft auf kläglichste Weise bereits in der Vorrunde gescheitert; bieder und altbacken kam das Team daher. Völler aber brauchte nur 90 Minuten und ein 4:1 gegen Spanien, um die schlechte Stimmung zu vertreiben.

Schon damals flippte das Fußballvolk aus, und schon damals behielt allein Völler die Ruhe – weil er das Spiel richtig einzuordnen wusste. Die Spanier waren quasi direkt aus dem Urlaub angereist und schon deshalb kein ernstzunehmender Gegner. Aber nach solchen Spitzfindigkeiten stand dem Publikum damals nicht der Sinn.

Nach solchen Spitzfindigkeiten stand auch dem Publikum am Dienstagabend in Dortmund nicht der Sinn. Fünf Minuten dauerte es, bis Völler mit Sprechchören gefeiert wurde. Nach 90 Minuten und dem 2:1-Sieg der Deutschen waren sich alle einig, dass Völler bleiben muss, mindestens bis zur Europameisterschaft im kommenden Sommer.

Rudi Völler: Der alte Zauber wirkt noch

Der alte Zauber wirkte noch. Aber mit übersinnlichen Kräften von Super-Rudi hatte das alles wenig zu tun. „Es wurde jetzt nicht gezaubert“, sagte Thomas Müller. „Wir haben uns auf relativ einfache Punkte verständigt. Es ist aufgegangen.“

Natürlich waren auch die Umstände günstig: das frühe Tor, der Elfmeter, der den Franzosen verwehrt blieb. Es wirkte tatsächlich so, als hätte sich das Schicksal mal wieder auf Völlers Seite geschlagen. Dabei hatte der Erfolg sehr profane und rationale Gründe.

Wir wollten natürlich ein anderes Gesicht zeigen.

Nationalspieler Jonathan Tah

So profitierte die Nationalmannschaft davon, dass die Franzosen das Duell eher als Test-, vielleicht sogar als Freundschaftsspiel betrachteten, während es für die Deutschen ein Ernstfall war. Entsprechend motiviert ging die Nationalmannschaft zu Werke.

Genau das ist der – kurzfristige – Effekt, den man sich von einem Trainerwechsel erhofft. „Wir wollten natürlich ein anderes Gesicht zeigen“, sagte Jonathan Tah, einer von drei Neuen im Team. Er hob auch noch hervor, „dass wir uns auf dem Platz unterstützen, dass wir füreinander da sind und kommunizieren“. Zuletzt war das eher nicht so gewesen.

Völler und seine beiden Zuarbeiter Hannes Wolf und Sandro Wagner hatten diesen Prozess mit ihren Entscheidungen befördert. Das Trainerteam positionierte die Mannschaft im 4-2-3-1-System mit zwei klaren Sechsern. Diese Grundordnung ist so etwas wie das Passepartout des modernen Fußballs: Alle kennen es, und alle können es.

„Wir wollten auf alle Fälle eine Struktur haben, die relativ einfach ist“, sagte Torhüter Marc-André ter Stegen. Bei Hansi Flick war es zuletzt eher kompliziert gewesen. Völlers Vorgänger hatte sich noch am Wochenende an einem System aus dem Handbuch „Pep-Guardiola-Fußball für Fortgeschrittene“ versucht. Er verschob Joshua Kimmich aus dem Mittelfeld auf die Position des Außenverteidigers, von der aus er bei Ballbesitz wieder ins Mittelfeld rücken sollte.

Von den Strapazen gezeichnet. Rudi Völler weiß, warum er sich den Job mit seinen 63 Jahren nicht dauerhaft antun möchte.
Von den Strapazen gezeichnet. Rudi Völler weiß, warum er sich den Job mit seinen 63 Jahren nicht dauerhaft antun möchte.

© imago/Chai v.d. Laage/IMAGO/Gladys Chai von der Laage

Völler hingegen besetzte die beiden Positionen in der Außenverteidigung, seit Jahren eine der Schwachstellen in der Nationalmannschaft, mit zwei gelernten Verteidigern und nicht mit umgepolten Außenstürmern oder vielseitig verwendbaren Mittelfeldspielern. Die Klarheit tat der Mannschaft gut. Und sie bescherte ihr einen Erfolg, den viele nicht für möglich gehalten hätten.

Es geht also. Und es geht auch mit diesem Reservoir an Spielern – wenn man denn einen vernünftigen Plan hat und eine Struktur, mit der sich die Mannschaft wohlfühlt. Diese Erkenntnis könnte auch für die Suche nach dem neuen Bundestrainer hilfreich sein. Sie spräche weniger für den jugendlichen Julian Nagelsmann, der im Ruf steht, ein etwas nerdiger Taktiktüftler zu sein; sie spräche eher für einen Trainer mit Erfahrung. Einen wie Louis van Gaal. Oder Rudi Völler.

Jonathan Tah lobte Völlers „Präsenz, seine Ansprache, sein Selbstverständnis“, während Thomas Müller das gesamte Trainerteam lobte: „Es hat einfach einen guten Job gemacht, unaufgeregt, aber auch mit einer guten Emotionalität.“

Doch auch wenn alle jetzt schon wieder ganz rudirudirallalla sind: Völler scheint diesmal wild entschlossen, Nein zu sagen. Die vergangenen Tage – es waren nur vier – haben ihn angestrengt und mitgenommen. Wie würde es da erst bei einem Turnier sein, das mit Vorbereitung über mehrere Wochen geht?

„Ich gönne mir mal eine kleine Auszeit. Es war sehr anstrengend“, sagte der 63 Jahre alte Völler am späten Dienstagabend. Und auf die Frage, ob es bei der einmaligen Rückkehr auf die Bank bleibe, antwortete er: „Ja! Ja! Für mich ist das ganz klar.“

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