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Karl Lauterbach sollte von Reichsbürgern entführt werden.

© dpa/ Carsten Koall

Prozess um geplante Lauterbach-Entführung: Die unterschätzte Gefahr der Reichsbürger

Sie planten offenbar Anschläge und wollten sich dabei filmen, wie sie den Gesundheitsminister abführen. Nun müssen sich die Tatverdächtigen verantworten.

Es klingt wie in einem schlechten Film: Mit einer „Klabautermann“ genannten Aktion sollen vier Männer zwischen 44 und 56 Jahren und eine 75 Jahre alte Frau die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor laufenden Kameras aus einer Talkshow geplant haben. Zuvor hatte man seine Personenschützer „ausschalten“ wollen.

Von der Aktion soll die dem Reichsbürgermilieu zuzuordnende Gruppierung sich versprochen haben, in der Bevölkerung Zustimmung für die Einsetzung einer neuen Regierung zu bekommen. Am Mittwoch hat vor dem Oberlandesgericht Koblenz nun der Prozess gegen die Mitglieder der Gruppe „Vereinte Patrioten“ begonnen.

Ziel der Gruppe sei die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gewesen, sagte Bundesanwalt Nikolaus Forschner bei der Verlesung der Anklage. Sie sei eine eine terroristische Vereinigung und hatte einen Staatsstreich vor. 

Für den Prozess hat das Gericht bereits dutzende Termine bis Mitte Januar kommenden Jahres angesetzt. Der Beginn des Verfahrens fand unter strengen Sicherheitsauflagen statt, die Angeklagten wurden in Handschellen hereingeführt, nahmen die Anklageverlesung fast regungslos hin.

Karl Lauterbach fordert „harte, gerechte Urteile“

Die Verteidiger fordern die Einstellung des Verfahrens. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte sich vor dem Prozess „harte, gerechte Urteile“ ausgesprochen. Nur so könnten Nachahmer abgeschreckt werden.

Der Plan der Gruppe habe drei Stufen beinhaltet, heißt es in der Anklage: Ein „Silent Night“ genannter Abschnitt des Vorhabens soll laut Bundesanwaltschaft Anschläge mit Sprengstoff auf die Strominfrastruktur in Deutschland vorgesehen haben. Ziel sei ein deutschlandweiter Stromausfall gewesen.

Ein Schauspieler sollte den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier oder Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) imitieren: Dieser hätte dann die Absetzung der Bundesregierung sowie die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches von 1871 verkündet.

Laut Anklage hatte die Gruppe außerdem geplant, in einem Schreiben an den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Unterstützung zu werben, ein solches Papier hätte demnach auch der polnische Präsident Andrzej Duda erhalten sollen. Als Kopf der Organisation sieht die Anklage die 75-Jährige, eine pensionierte Lehrerin, die im Oktober in Sachsen festgenommen worden war. Sie soll besonders auf die baldige „Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches“ gedrängt haben.

Sturm auf dem Bundestag 2020.
Sturm auf dem Bundestag 2020.

© imago images/Achille Abboud / Imago/Achille Abboud

Gefasst werden konnte die Gruppe, weil die Verdächtigen beim Waffenkauf an einen verdeckten Ermittler gerieten, im April 2022 wurden die vier Männer an verschiedenen Orten in Deutschland festgenommen. Bei bundesweiten Durchsuchungen wurden Schusswaffen und Munition, Bargeld, Goldbarren, Silbermünzen und Devisen sichergestellt.

Reichsbürger haben das Gefühl, in Notwehr zu handeln: Demonstrationen reichen nicht mehr aus, deshalb greifen sie zu Gewalt.

Miro Dittrich, Rechtsextremismusforscher und Mitbegründer des Forschungszentrums Cemas

Die „Vereinten Patrioten“ sind bei weitem nicht die einzige Reichsbürger-Gruppierung, die in der jüngeren Vergangenheit für Aufmerksamkeit sorgte. Ende vergangenen Jahres war die radikale Reichsbürger-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß festgenommen worden, die ebenfalls vom Ende der Bundesrepublik träumte.

Dass sich größere Aktionen der Reichsbürger derzeit häuften, passe ins Bild, sagte der Rechtsextremismusforscher und Mitbegründer des Forschungszentrums Cemas, Miro Dittrich, dem Tagesspiegel. „Die Coronakrise ist vorbei, die Aufmerksamkeit schwindet. Zu Hochzeiten der Pandemie dachten Reichsbürger, dass der Umsturz kurz bevorstehe, diese Hoffnung hat sich nun zerschlagen, das nennen wir Frustrationsphase.“

Für die Reichsbürger habe der „Krieg gegen die wahren Deutschen“ aber nicht aufgehört. „Sie haben das Gefühl, in Notwehr zu handeln: Demonstrationen reichen nicht mehr aus, deshalb greifen sie zu Gewalt.“ Der Versuch, die Stromnetzwerke lahmzulegen, sei in der White-Supremacy-Bewegung schon länger ein etabliertes Mittel. „Zu solchen Bewegungen gehört auch, dass sie ihre Bedeutung überschätzen, davon ausgehen, dass eine schweigende Mehrheit hinter ihnen steht.“

Wir wissen, die größte Gefahr für unser Land kommt von rechts.

Uli Grötsch, stellvertretender innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Man ginge davon aus, dass in solchen Momenten der Schwäche, etwa großen Stromausfällen, andere Gruppen ebenfalls zuschlagen würden – sogenannte „versteckte Armeen“. Dass diese Menschen nicht rational dächten, mache sie nicht weniger gefährlich, eher im Gegenteil. „Sie sind nicht mehr erreichbar und halten an ihren Positionen fest, die sie mit Gewalt umsetzen wollen.“

Auch Politiker:innen sehen eine zunehmende Gefahr durch Reichsbürger. „Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie konkret die Gefahr ist, die von Reichsbürgern ausgeht – erst recht für hohe Repräsentanten des Staates wie hier für unseren Bundesgesundheitsminister“, sagte Uli Grötsch, der stellvertretende innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel.

Bei einer Razzia gegen sogenannte Reichsbürger führen vermummte Polizisten nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß ab.
Bei einer Razzia gegen sogenannte Reichsbürger führen vermummte Polizisten nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß ab.

© dpa / dpa/Boris Roessler

„Die Gerichte haben jetzt die Aufgabe, eine deutliche Antwort des Rechtsstaats auf diese Extremisten zu geben.“ Grötsch betonte: „Wir wissen, die größte Gefahr für unser Land kommt von rechts.“

Die Gefahr, die von der Reichsbürger-Szene ausgeht, ist über Jahre systematisch unterschätzt worden. Sie sind als harmlose Spinner und verwirrte Schreiberlinge abgetan worden.

Irene Mihalic, erste parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag

Irene Mihalic, erste parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, kritisiert, dass die Gefahr, die von der Reichsbürger-Szene ausgehe, über Jahre systematisch unterschätzt worden sei. Sie seien als harmlose Spinner und verwirrte Schreiberlinge abgetan worden. 

„Dabei eint die verschiedenen Reichsbürger-Gruppierungen eine antisemitische, rechtsextreme Ideologie und eindeutig verfassungsfeindliche und staatsablehnende Haltung. Die bekanntgewordenen Terrorpläne sind die Spitze des Eisbergs.“

Im Prozess müsse genau dieses ideologische Fundament für die terroristischen Bestrebungen berücksichtigt werden. Parallel müssten politische Konsequenzen gezogen werden. „Dass Reichsbürger sowohl durch den Verfassungsschutz als auch in der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität noch immer nicht als rechtsextrem eingeordnet werden, verharmlost die Bewegung und verzerrt die Statistik über das tatsächliche Bedrohungspotenzial. Hier besteht Handlungsbedarf.“

Ähnlicher Ansicht ist Clara Bünger, rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion. „Gesellschaftlich dürfen Reichsbürger nicht länger nur als Randphänomen betrachtet werden, sondern als reale und ernstzunehmende Bedrohung für die Demokratie“, sagte Bünger dem Tagesspiegel.

Politiker:innen fordern klare Einordnung

Es bedürfe einer klaren Einstufung als Gefahrenpotential von rechts. „Vom Prozess erwarte ich, dass nicht nur die geplante Tat aufgeklärt, sondern auch die dahinterstehenden, weiterhin aktiven Netzwerke in Telegram-Gruppen stärker in den Fokus gerückt werden.“

Auch der Rechtsextremismusexperte David Begrich warnt davor, Reichsbürger als Spinner abzutun. „Das sind teilweise hochgebildete Leute, die ihrem Selbstverständnis zufolge einen höheren Zugang zu Bildung haben als wir, die wir nicht verstehen.“ Sozialwissenschaftler unterschieden Reichsbürger in Rechtsextremisten, Esoteriker und Souveränisten.

„Das ist ja wie ein riesiger Ideologiebaukasten aus dem man sich bedient. Was sie alle eint, ist eine multiple Unzufriedenheit mit der Verfasstheit der modernen Gesellschaft, die Abwehr gegen Diversität und Partikularität“ Was sie sich wünschten, sei ein autoritärer Stände-Staat. „Wilhelminismus 2.0 sozusagen.“

„Es wird sehr deutlich, dass es in dem Milieu eine gestiegene Militanz und Gewaltbereitschaft gibt.

David Begrich, Rechtsextremismusexperte.

Dass gerade in Ostdeutschland verstärkt Menschen dieser Bewegung anheimfielen, liege vor allem daran, dass diese erlebt hätten, was passiert, wenn ein Staat zusammenbreche. „Die haben erlebt, dass ein Regime wie ein Kartenhaus zusammenfällt.“ Man tue gut daran, das aktuelle Verfahren in Koblenz im Kontext zu vorherigen zu betrachten. „Da wird sehr deutlich, dass es in dem Milieu eine gestiegene Militanz und Gewaltbereitschaft gibt.“

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