zum Hauptinhalt
Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, machte Vorschläge für eine Reform des Gleichbehandlungsgesetzes.

© dpa/Kay Nietfeld

Update

„Gesellschaftlicher Sprengstoff“: FDP kritisiert Atamans Plan für Reform des Gleichbehandlungsgesetzes scharf

Das Gesetz gegen Diskriminierung soll verschärft werden. Die Liberalen rügen, die Vorschläge der Bundesbeauftragten führten zu großer Verunsicherung.

| Update:

FDP-Politiker haben die Vorschläge der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman für eine Reform des Gleichbehandlungsgesetzes heftig kritisiert. „Das Papier von Frau Ataman ist gesellschaftlicher Sprengstoff und sät Verunsicherung allerorten“, sagte Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der FDP, der „Bild“.

Ataman, die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, hatte am Dienstag ein Grundlagenpapier zur Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorgestellt. Ein Gesetzentwurf dazu müsste jedoch aus dem Haus von Bundesjustizminister Marco Buschmann kommen – er gehört wie Helling-Plahr der FDP an.

Ataman will das 17 Jahre alte deutsche Gesetz gegen Diskriminierung schlagkräftiger machen. Ihren Worten zufolge braucht das AGG vor allem stärkere Möglichkeiten, überhaupt durchgesetzt zu werden.

Wir haben eins der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa.

Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte

Sie will unter anderem den Nachweis von Diskriminierung erleichtern. In ihrem Papier heißt es dazu: „Das Erfordernis, eine Benachteiligung und Indizien nachzuweisen, sollte auf die Glaubhaftmachung herabgesenkt werden, das heißt, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt.“

Mit der Glaubhaftmachung „würde das AGG künftig Missbrauch, Falschbeschuldigungen und Erpressungen fördern, statt echten Fällen von Diskriminierung entgegenzuwirken“, sagte Helling-Plahr. Ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki, Vizepräsident des Bundestags, sagte der Zeitung, Ataman belaste die Diskussion in der Ampel-Koalition, die eine Überarbeitung des Gesetzes im Koalitionsvertrag vereinbart hatte, „mit einem solchen unausgegorenen Vorschlag leider schon jetzt“.

„Wir haben eins der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa“, sagte Ataman, die seit einem Jahr die Antidiskriminierungsstelle des Bundes leitet und als erste in diesem Amt nur dem Bundestag verantwortlich ist. Ihre Behörde habe auch mit die geringsten Möglichkeiten, gegen Diskriminierung vorzugehen. „Wir sind noch nicht so weit, wie wir als großes, reiches Industrieland sein sollten. 

Ataman wünscht sich wie viele Fachleute ein Verbandsklagerecht, das es Fachverbänden und auch der ADS ermöglichen würde, in exemplarischen Fällen selbst zu klagen. Das müssen Betroffene bisher allein tun. Schon an der geringen Zahl von 700 Gerichtsverfahren nach AGG seit 2006 lasse sich ablesen, „dass Menschen sehr, sehr selten diesen Weg beschreiten, weil die Hürden sehr, sehr hoch“ seien.

Viele scheuten verständlicherweise das Risiko, hätten nicht die Ressourcen oder fragten sich, ob es sich lohne, „jahrelang vor Gericht zu ziehen, um am Ende bestenfalls die Anwaltskosten ersetzt zu bekommen“.

Aus den wenigen Verfahren könne andererseits nicht geschlossen werden, dass es kein Problem mit Diskriminierung in Deutschland gebe. Ihre Behörde habe in den Jahren ihres Bestehens knapp 69.000 Anfragen bearbeitet. Und damit sei noch nicht erfasst, was in Unternehmen, bei Betriebsräten oder lokalen Beschwerdestellen auflaufe.

69.000
Beschwerden trafen seit Bestehen der Antidiskriminierungsstelle bei ihr ein.

Die Durchsetzbarkeit des AGG sei in der Tat seine „Achillesferse“, ergänzte Bernhard Franke. Der Jurist und AGG-Fachmann leitete die ADS einige Jahre kommissarisch, bevor Ataman ihr Amt antrat. Die Geldstrafen sollten höher sein, um abschreckend zu wirken, sie brauchten „mehr Wumms, um mit dem Kanzler zu reden“.

Und gäbe es ein Verbandsklagerecht, könnte die ADS etwa eingreifen wie ihre belgische Schwesterbehörde: Die ging bis zum Europäischen Gerichtshof gegen einen Betrieb vor, der keine marokkanischen Beschäftigten wollte, angeblich, weil die Kundschaft dagegen war. „In diesem Fall gab es keine unmittelbaren Betroffenen“, sagt Franke. Der EuGH gab der Antidiskriminierungsbehörde schließlich recht.

Mies behandelt vom Staat? Bisher kein Klagegrund

Das AGG wurde nach erheblichem Druck aus Brüssel geschaffen und setzt mehrere europäische Richtlinien in deutsches Recht um. Es schützt gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, wegen der sexuellen Identität, der Religion oder Weltanschauung, wegen des Alters, der ethnischen Herkunft oder einer Behinderung.

Es greift allerdings nur, wenn dies von Privaten und in Alltagsgeschäften wie Wohnungssuche, Einkauf oder am Arbeitsplatz geschieht. Diskriminierung von Staats wegen ist nicht vorgesehen, etwa wenn ein Behördenmitarbeiter sich diskriminierend verhält oder die Lehrerin in einer staatlichen Schule. Dies sei „nicht logisch“ und müsse sich ändern, so Ataman.

Die Strafen nach dem Gesetz könnten mehr Wumms haben.

Bernhard Franke, früherer Leiter der Behörde

Auch die Liste der Diskriminierungsgründe hält Ataman nicht für „nicht mehr zeitgemäß“. Sie möchte erreichen, dass auch Benachteiligung wegen des sozialen Status, wegen Armut oder Arbeitslosigkeit angezeigt werden kann. Das werde nicht bedeuten, dass Vermieter:innen künftig niemanden mehr ablehnen können, den sie nicht für fähig halten, die Miete zu zahlen.

Wenn die Miete allerdings zuverlässig vom Sozialamt überwiesen wird oder eine Wohnungsbewerberin drei Jobs nachgeht, nur um sich die Wohnung leisten zu können, soll sie nicht schlechter behandelt werden als jemand mit gutem Einkommen.

Auch Eltern und pflegende Angehörige werden im Beruf diskriminiert

Auch pflegende Angehörige oder die Eltern kleiner Kinder würden „im Job erheblich diskriminiert“, so Ataman. „Wir hören von Menschen, dass sie lieber einen Zahnarzttermin vorschützen als zu sagen, dass sie ihr Kind von der Kita abholen.“

Ethnische und rassistische Diskriminierung gehört nach Ansicht der Beauftragten um „Staatsangehörigkeit“ ergänzt. So habe das AGG im Fall eines israelischen Staatsangehörigen keine Handhabe geboten, als Kuwait Airlines ihn nicht mitfliegen ließ. Auch solchen skandalösen Situationen müsse man vorbeugen.

Im Koalitionsvertrag der Ampel ist eine Novellierung des AGG als Ziel formuliert, bisher aber noch nicht abgearbeitet. Sie habe ihre eigenen Vorschläge in dieser Woche an Justizminister Buschmann geschickt, dessen Haus hier federführend ist.

Ataman erinnerte am Dienstag an die Auseinandersetzungen um das AGG vor fast 20 Jahren: Vom Ende der Vertragsfreiheit von Arbeitgebern sei die Rede gewesen, „von Zuständen wie in den USA und Klagewellen.“ Heute dagegen sei es selbstverständlich, dass man Menschen keinen Arbeitsplatz verweigert, weil sie schwul oder lesbisch sind: „Das musste aber erst einmal rein ins Zivilrecht.“

Für die Novellierung des Gesetzes erhofft sie sich auch dafür einen neuen Zungenschlag. Es wäre gut, wenn nicht das „Anti“ wie in ihrem Titel im Vordergrund stünde, sondern klar würde, dass es „um Fairness, Diversität und deren Wertschätzung“ gehe und die Chancen betont würden, die das Gesetz biete. Hier sei die Wirtschaft, die international Geschäfte macht und Personal sucht, „schon weiter als unser Gesetz“. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false