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Überall in der Welt vertreten: Schilder im Foyer des Auswärtigen Amtes zeigen die Entfernung zu wichtigen Botschaften an.

© Jens Gyarmaty

Wechsel bei deutschen Top-Botschaftern: „Ein ziemlich kompliziertes Puzzle, geschickt zusammengestellt“

Im Auswärtigen Amt steht die Neubesetzung wichtiger diplomatischer Vertretungen und eines Staatssekretärsposten an. Ministerin Annalena Baerbock traf eine ungewöhnliche Wahl.

Von Hans Monath

Treibt im Auswärtigen Amt (AA) eine seltsame Bestie ihr Unwesen? Auf diesen Gedanken konnte man kommen, wenn man Anfang des Jahres Christian Wagner zuhörte, einem der Sprecher des Außenministeriums. „Es gibt im Auswärtigen Amt ein schönes Monster, das sich ,einheitlicher Versetzungstermin’ nennt“, sagte er damals vor der Bundespressekonferenz. Es war ironisch gemeint.

Fakt ist: In anderen Bundesministerien werden Beamte das ganze Jahr über versetzt. Nur wer in der AA-Zentrale am Werderschen Markt oder in einer der deutschen Vertretungen in der Welt Dienst tut, muss damit zurechtkommen, dass sie oder er das ganze Berufsleben lang stets im Sommer von einem Posten zum anderen wandert, meist nach drei bis vier Jahren.

In diesem Jahr wechseln in wenigen Monaten im Außenministerium so auffällig viele hoch qualifizierte und erfahrene Führungsleute, dass sich sogar Wolfgang Ischinger beeindruckt zeigt, der schon viel erlebt hat in und mit seinem früheren Ministerium. Es ist eine besondere Zeit, mehr als ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

„Im Sommer 2023 steht im AA auf der Ebene der Staatssekretäre und B9-Botschafter ein besonders umfängliches Revirement bevor“, lobt der Doyen der deutschen Diplomatie, früherer AA-Staatssekretär, Botschafter in Washington und langjähriger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. „B9“ steht für die höchste Besoldungsgruppe, nur Botschafterinnen und Botschafter in sehr wichtigen Vertretungen erreichen sie.

Die Personalabteilung des AA habe hier „ein ziemlich kompliziertes Puzzle sehr geschickt so zusammengestellt, dass Ministerin Annalena Baerbock eigentlich nur sagen konnte: Gut so, passt!“, meint Ischinger.

Auch die Belegschaft könne sich freuen, denn die Neuen auf den wichtigen Posten seien „alles AA-Eigengewächse mit Stallgeruch, keine politischen Seiteneinsteiger“, sagt Ischinger. Fachliche Kompetenz und professionelle Erfahrung zählten hier erfreulicherweise mehr als etwa eine Parteimitgliedschaft.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Kabinett.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Kabinett.

© AFP/Odd Andersen

Am Anfang ihrer Amtszeit hatte die Außenministerin manche in ihrem Haus vor den Kopf gestoßen, als sie den dort hochgeschätzten Staatssekretär Miguel Berger ablöste, womöglich, weil der als Sozialdemokrat galt und einmal für die SPD-Fraktion gearbeitet hatte. Solche Motive sieht Ischinger nicht, wenn es nun um einen neuen Staatssekretär und mehr als eine Handvoll Botschafterinnen und Botschafter an wichtigen Standorten geht.

Die größte Überraschung löste Baerbock wohl mit der Berufung von Thomas Bagger zum Staatssekretär aus. Denn der heutige Botschafter in Warschau hatte zuvor für den aktuellen Bundespräsidenten und einstigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier gearbeitet und damit auch eine Russlandpolitik mit vorbereitet, die jetzt als gescheitert gilt und welche die aktuelle Außenministerin kritisch betrachtete.

Thomas Bagger, derzeit noch Botschafter in Polen, folgt im Sommer als Staatssekretär auf Andreas Michaelis.
Thomas Bagger, derzeit noch Botschafter in Polen, folgt im Sommer als Staatssekretär auf Andreas Michaelis.

© Imago/Photothek/Thomas Imo

Doch der 58-jährige Sohn des früheren Bundeswehr-Generalinspekteurs Hartmut Bagger hatte auch schon für die Außenminister Klaus Kinkel, Joschka Fischer (als Redenschreiber) und Guido Westerwelle (als Büroleiter und Planungsstabschef) gearbeitet. Und er stand immer im Ruf, sich sein eigenes Urteil zu bilden.

Der bulgarische Politikwissenschaftler Ivan Krastev, mit dem Bagger befreundet ist, zitiert etwa in seinem Buch „Das Licht, das erlosch“ einen wichtigen Aufsatz des Diplomaten. Bagger erklärte in dem Text aus dem Jahr 2019 mit dem Titel „The World According to Germany“, warum Deutschland nach zwei Diktaturen und der Wiedervereinigung sich stärker als andere Nationen der Illusion verschrieb, die liberale Weltordnung werde sich nun ohne Herausforderer durchsetzen können.  Es kam bekanntlich anders.

Im neuen Job muss der Diplomat nicht nur gedanklich glänzen, sondern auch Organisationsaufgaben bewältigen, wie etwa die deutschen Botschaften dazu zu bewegen, sich um eine stärkere Außenwirkung in ihren Gastländern zu kümmern, was ein Anliegen seiner Ministerin ist.

Bagger werde „im Amt des Staatssekretärs ganz sicher bella figura machen“, lautet Ischingers Urteil: „Hier kommen Intellekt, Erfahrung und politische Trittsicherheit zusammen.“ Diese Eigenschaften kamen Bagger nach Ansicht von Kollegen auch bei dem schwierigen Job in Warschau zugute.

Lambsdorff nervte mit dem Drang nach Washington

Der Mann, den Bagger ersetzen soll, Andreas Michaelis (63), geht als Botschafter nach Washington. Dorthin wäre gerne der gelernte Diplomat und FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff gewechselt, doch der Ministerin sei dessen stetes Drängen auf die Nerven gegangen, und sie habe ihn als zu treuen Transatlantiker eingeschätzt, heißt es bei Grünen-Außenpolitikern. Deshalb habe Baerbock ihm zu wenig Einsatz für europäische und deutsche Interessen gerade für den Fall zugetraut, dass wieder ein Republikaner die US-Präsidentschaftswahl 2024 gewinnt.

Andreas Michaelis geht nach Washington.
Andreas Michaelis geht nach Washington.

© Photothek/Thomas Trutschel

Michaelis, den Joschka Fischer einst beim Besuch in Ramallah kennengelernt und später zu seinem Sprecher gemacht hatte, galt in seiner ersten Amtszeit als Staatssekretär (2018 bis 2020) als dominierende Figur im Ministerium.

Allerdings war sein damaliger Minister Heiko Maas (SPD) außenpolitisch weit weniger ambitioniert und leidenschaftlich als dessen Nachfolgerin Baerbock, für die Michaelis in gleicher Funktion von Januar 2022 an arbeitete. Der Rückkehrer hatte damals Pläne für eine Reform der Außenpolitik im Kopf, doch dann war die Bewältigung des Krieges wichtiger.

Ein Team von echten Profis für die weitere außenpolitische Umsetzung der Zeitenwende.

Wolfgang Ischinger, Ex-Staatssekretär im Auswärtigen Amt und früher Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz

Michaelis wird zugetraut, in seinem neuen Job zwischen unterschiedlichen Ansätzen des Kanzleramts und des AA zu vermitteln und diese in Washington zu einer einheitlichen Linie zu bündeln. Persönliche Querelen zwischen ihm und Jens Plötner, dem außenpolitischen Berater von Kanzler Olaf Scholz (SPD), sind nicht bekannt, obwohl beide für sehr unterschiedliche Köpfe arbeiten und die Vorstellungen beider Häuser etwa zur Nationalen Sicherheitsstrategie und zur China-Strategie weit auseinanderlagen.

Geza von Geyr, der Diplomat, dem wiederum Lambsdorff nun in Moskau nachfolgt, wird Vertreter bei der Nato. Moskau war eine der größten deutschen Botschaften, doch Wellen von Diplomatenausweisungen haben die Belegschaft dezimiert, auch gilt der Kontakt zur Zivilgesellschaft unter den Bedingungen der Diktatur als äußerst schwierig.

Letzter DDR-Botschafter geht wieder nach Paris

Für den Posten bei der Nato ist von Geyr, der auch schon im Büro des damaligen Vizechefs der Unionsfraktion, Wolfgang Schäuble (CDU), arbeitete und als Vizepräsident den Bundesnachrichtendienst (BND) mitführte, gut qualifiziert: Er war von 2014 bis 2019 Abteilungsleiter Politik im Verteidigungsministerium.

Unter den neuen Botschaftern ist ein weiterer enger Vertrauter des heutigen Bundespräsidenten Steinmeier: Stephan Steinlein begleitet ihn seit 1999, als Steinmeier Chef des Bundeskanzleramtes war, und wurde später unter ihm Staatssekretär im AA. Bald wird Steinlein die Botschaft in Paris leiten, zum zweiten Mal in seinem Leben.

Stephan Steinlein wird Deutschland von Sommer an in Paris als Botschafter vertreten.
Stephan Steinlein wird Deutschland von Sommer an in Paris als Botschafter vertreten.

© dpa/Soeren Stache

Denn als letzter Botschafter der DDR, von Außenminister Markus Meckel damals dorthin entsandt, war es seine Aufgabe gewesen, die Vertretung des untergehenden Staates zu schließen. Ungeachtet seines erreichten Rangs bewarb sich der Theologe aus der DDR dann für die Attaché-Ausbildung im vereinten Deutschland – und machte Karriere. Nun schließt sich für ihn ein Kreis.

Anders als sein langjähriger Chef Steinmeier verteidigte Steinlein die deutsche Russlandpolitik als aus der damaligen Zeit heraus gesehen richtig. Während der Auszeit zwischen dem Ausscheiden als Staatssekretär im Bundespräsidialamt im März 2022 und dem Wechsel nach Paris gab er Schweizer Zeitungen ein Interview, in dem er unter anderem sagte: „Im Nachhinein ist man immer klüger.“

Der noch amtierende Hausherr im Palais Beauharnais in Paris, Hans-Dieter Lucas, zieht weiter nach Rom, sein Vorgänger dort, Viktor Elbing, wird wiederum Nachfolger von Thomas Bagger in Warschau. Aber es wechseln nicht nur Männer im Haus der bekennenden Feministin Baerbock: Bettina Cadenbach, noch beigeordnete Generalsekretärin der Nato, wird als Botschafterin in Brasilia versuchen, die Verbindung Deutschlands mit der fortschrittlichen brasilianischen Regierung von Luiz Inacio Lula da Silva zu stärken, der mit dem Kurs des Westens hadert, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht.

Die Mitglieder des AA-Personaltableaus übernehmen ihre Aufgaben in einer für die deutsche Außenpolitik außerordentlich fordernden Zeit. Denn die muss sich seit dem Angriffskrieg Russlands zu Teilen neu erfinden. Ischingers Fazit: „Man kann dem Haus und der Ministerin gratulieren: ein Team von echten Profis für die weitere außenpolitische Umsetzung der Zeitenwende!“

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