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Stephan Steinlein, langjähriger enger Mitarbeiter des heutigen Bundespräsidenten, der nun an die Öffentlichkeit ging.

© Soeren Stache/dpa

„Im Nachhinein ist man immer klüger“: Steinmeier-Vertrauter rechtfertigt Russland-Politik

Über Jahre war Ex-Staatssekretär Steinlein der engste Mitarbeiter des heutigen Bundespräsidenten. Nun erklärt er den Umgang mit Putin – und sieht wenig Fehler.

Von Hans Monath

Im April hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eigene Fehler in der Russlandpolitik der vergangenen Jahre zugegeben – nun hat sich Monate später auch sein über Jahre engster Vertrauter Fragen zur eigenen Verantwortung für das Verhältnis zu Moskau gestellt.

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Der Diplomat Stephan Steinlein war Büroleiter des Kanzleramtsministers Steinmeier gewesen, später unter dem Außenminister Staatssekretär im Auswärtigen Amt sowie nach dessen Wechsel ins Schloss Bellevue Leiter des Bundespräsidialamts im Rang eines Staatssekretärs. Im März war der heute 61-Jährige dann ins Außenministerium zurückgekehrt.

Nicht einer deutschen Zeitung, sondern schweizer Medien gab er nun ein Interview. Liest man seine Antworten unter anderem im „St. Galler Tagblatt“ genau, so versucht er, die Russlandpolitik stärker zu rechtfertigen, als das der Bundespräsident im April getan hatte.

Steinmeier stand damals in der Öffentlichkeit unter Druck, der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte ihm im Tagesspiegel vorgeworfen, „seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft“ zu haben. Weiter sagte Melnyk: Für Steinmeier bleibe „das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht – auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle“.

Die Frage, ob er als Berater des Außenministers den russischen Präsidenten Wladimir Putin falsch eingeschätzt habe, antwortet Steinlein nun nicht mit ja. Vielmehr verweist er darauf, dass sich der Kremlchef seit seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten 1999 in seiner Haltung zum Westen radikalisiert habe.

Der Außenminister (rechts) und sein Staatssekretär im Jahr 2015 im Auswärtigen Amt.
Der Außenminister (rechts) und sein Staatssekretär im Jahr 2015 im Auswärtigen Amt.

© Mike Wolff/Tagesspiegel

Gründe für eine schärfere Haltung Deutschlands gegenüber Russland will der Ex-Staatssekretär im Nachhinein nicht erkennen. Steinlein argumentiert, dass die EU nach der Annexion der Krim Sanktionen verhängt habe. Auch sei es richtig gewesen, auf Wunsch Kiews das Normandie-Format zwischen Russland, Ukraine, Deutschland und Frankreich einzurichten, auch wenn gelte: „Heute müssen wir feststellen, dass diese Bemühungen gescheitert sind.“

Auf die nochmalige Nachfrage, ob Steinmeier und er Putin nicht hätten „viel härter anfassen sollen“, sagte der Diplomat: „Im Nachhinein ist man immer klüger. Was heißt härter anfassen? Es gar nicht erst zu versuchen? Wir haben so lange wie möglich und nicht blauäugig versucht, eine weitere Eskalation des Donbass-Konflikts zu verhindern. Das ist nicht gelungen.“ Es habe der Ukraine Zeit gekauft, „ um ihre Verteidigungskapazitäten deutlich zu erhöhen“.

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In einem Punkt gibt der Steinmeier-Vertraute seinem Interviewer recht, als der wissen will, ob Deutschland nicht die Warnungen der Osteuropäer vor der Gaspipeline Nord Stream 2 und dem russischen Imperialismus unterschätzt habe. „Kurze Antwort: Ja“, sagt er, bevor er eine längere Antwort ankündigt und darlegt, die Bundesregierung habe nach einem Abstimmungsprozess mit den Polen, den Balten und der Ukraine „ganz konkret dafür gesorgt, dass die Verbindungen zwischen den einzelnen nationalen Netzen so ausgestaltet werden, dass einseitige Abhängigkeiten beseitigt und Gasflüsse in alle Richtungen ermöglicht werden“.

Hat die deutsche Politik im Umgang mit ihm Fehler gemacht? Man sei "nicht blauäugig" gewesen, sagt Stephan Steinlein rückblickend.
Hat die deutsche Politik im Umgang mit ihm Fehler gemacht? Man sei "nicht blauäugig" gewesen, sagt Stephan Steinlein rückblickend.

© Soeren Stache/via REUTERS

Auch habe sich die letzte Regierung von Angela Merkel sehr bemüht, dass Russland trotz des Ausbaus von Nord Stream 2 den Gasfluss durch die Ukraine garantiert habe und für den Fall, dass das nicht geschehe, die Schließung der Pipeline angekündigt.

Teilt der Bundespräsident diese Gedanken? Im April hatte er erklärt, sein Festhalten an Nord Stream 2 sei „eindeutig ein Fehler“ gewesen. Und weiter: „Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben.“

Seine Einschätzung sei gewesen, dass „Putin nicht den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde – da habe ich mich, wie andere auch, geirrt“. Er müsse nun eine „bittere Bilanz“ ziehen: „Wir sind gescheitert mit der Errichtung eines gemeinsamen europäischen Hauses, in das Russland einbezogen wird. Wir sind gescheitert mit dem Ansatz, Russland in eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur einzubinden.“

Das Festhalten an Nord Stream 2 sei "eindeutig ein Fehler" gewesen, erklärte Bundespräsident Steinmeier im April.
Das Festhalten an Nord Stream 2 sei "eindeutig ein Fehler" gewesen, erklärte Bundespräsident Steinmeier im April.

© REUTERS/Hannibal Hanschke/File Photo

Der Diplomat Steinlein distanziert sich von Aufrufen deutscher Intellektueller zu  Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew. Es gebe derzeit derzeit keine Vertrauensgrundlage für eine diplomatische Lösung, man müsse sich auf einen langandauernden Konflikt einstellen. Steinmeier hatte ganz ähnlich betont, mit einem Russland unter Putin werde es „keine Rückkehr zum Status quo vor dem Krieg geben“.

Steinlein – darauf wies kürzlich das Portal „t-online“ hin – hatte gemeinsam mit den Diplomaten Hans-Dieter Lucas und Markus Ederer mehr Einfluss auf die Russlandpolitik als der heutige außenpolitische Berater des Kanzlers, Jens Plötner, der von Melnyk und manchen deutschen Medien gleichsam als deren Drahtzieher identifiziert und angegriffen worden war.

Der Ex-Staatssekretär soll im kommenden Sommer deutscher Botschafter in Paris werden, womit er an den Anfangsort seiner diplomatischen Karriere zurückkehren wird. Der letzte DDR-Außenminister Markus Meckel hatte den Theologen erst zum Sprachenstudium nach Straßburg und dann in die französische Hauptstadt geschickt, wo er 1990 nach sechs Wochen wegen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik die Botschaft schloss. Anschließend absolvierte er die Diplomatenausbildung im wiedervereinigten Deutschland.

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