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Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Kabinett.

© Reuters/Annegret Hilse

Machtfrage in der Bundesregierung: Wie Kompetenzgerangel einen Nationalen Sicherheitsrat verhinderte

Hart wurde gerungen zwischen Scholz und Baerbock. Fest steht: Es wird keine neue Struktur für die Außen- und Sicherheitspolitik geben. Was ist vom großen Wurf übriggeblieben?

Von Hans Monath

Es ist die Machtfrage, an der sich am Schluss so vieles entscheidet. „Ich lasse mich doch nicht enteiern!“, soll der grüne Außenminister Joschka Fischer während seiner Amtszeit (1998 bis 2005) empört ausgerufen haben, als Regierungschef Gerhard Schröder (SPD) versuchte, Zuständigkeiten aus dem Auswärtigen Amt in sein Kanzleramt zu ziehen. Auch Strukturfragen sind Machtfragen.

Rund 20 Jahre später ringen Schröders Nachfolger Olaf Scholz und Fischers Nachfolgerin Annalena Baerbock miteinander um Einfluss, meist nicht in ganz so aufgeregtem Ton wie zu Zeiten von Rot-Grün, aber manchmal unüberhörbar.

In einem entscheidenden Punkt bei der Erarbeitung der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie konnten sie sich nicht einigen, wie diese Woche bekannt wurde: Deutschland wird keinen Nationalen Sicherheitsrat nach US-amerikanischem Vorbild bekommen, in dem die Exekutive ihre außen- und sicherheitspolitische Expertise bündelt und wichtige Entscheidungen vorbereitet.

Silodenken der Ressorts überwinden

Mit dem Novum will die Ampelkoalition ihre Außen- und Sicherheitspolitik schlagkräftiger aufstellen, gemeinsame Ziele definieren und das Silodenken in verschiedenen Ressorts überwinden. Partner wie die USA, Großbritannien oder Frankreich verfügen längst über solche Grundsatzdokumente.

Nun steht fest: Auch die von Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ wird nicht dazu führen, dass sich die Entscheidungsstrukturen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ändern. Denn die aus dem Auswärtigen Amt stammende Idee eines Gremiums, dessen Vorsitz zwischen Regierungszentrale und verschiedenen Ministerien rotiert, lehnte das Kanzleramt ab.

Umgekehrt wollte Baerbock in der Tradition ihres Vorgängers Fischer nicht hinnehmen, dass das neue Gremium im Kanzleramt angedockt werden sollte. Das neue außenpolitische Machtzentrum, so fürchtete sie, hätte ihre Kompetenzen noch weiter beschnitten. Der stärkste Treiber für den Nationalen Sicherheitsrat war ohnehin die FDP gewesen.

Experten warnen vor Bedeutungsverlust Deutschlands

Experten bewerten die Folgen sehr unterschiedlich. „Es ist nicht das erste Mal, dass ein Vorstoß in diese Richtung scheitert. Ich bedauere es, aber es hat mich nicht überrascht“, sagte der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), Ekkehard Brose, dem Tagesspiegel.

Es bleibe weiter notwendig, Geschlossenheit, Schnelligkeit und Wirksamkeit deutscher Sicherheitspolitik auf ein qualitativ neues Niveau zu heben. „Gelingt das nicht, werden wir uns international immer wieder in einer eher reaktiven Rolle, als Finanzier oder ,kluger Beobachter‘ am Spielfeldrand wiederfinden“, warnt der Karrierediplomat und fragt rhetorisch: „Wollen wir das?“

Die Sicherheitsstrategie definiert auch Zielgrößen für den Haushalt von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Der verlangt aktuell einen Zuschlag von zehn Milliarden Euro.
Die Sicherheitsstrategie definiert auch Zielgrößen für den Haushalt von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Der verlangt aktuell einen Zuschlag von zehn Milliarden Euro.

© dpa/Kay Nietfeld

Sarah Brockmeier vom Hessischen Institut für Friedens- und Konfliktforschung sieht ernstere Probleme. Zwar sei ein Nationaler Sicherheitsrat „kein Allheilmittel für die außenpolitischen Kernkonflikte in der Koalition“.

Aber regelmäßige Treffen der relevanten Ministerinnen und Minister und eine stärkere Koordinierung durch ein Sekretariat im Kanzleramt hätten zumindest das Potential, die Entscheidungsfindung innerhalb der Bundesregierung zu beschleunigen, strategische Planung zu stärken und die Kommunikation der Bundesregierung nach innen und außen zu verbessern.

Nun werde es „schwierig“, die Sicherheitsstrategie „in der Praxis ohne verbesserte Koordinierungsstrukturen“ umzusetzen. „Das Auswärtige Amt verfügt schon lange nicht mehr über die Autorität, um diese Koordinierung effektiv auszuführen“, meinte die Non-Resident-Fellow des Global Public Policy Institute.

Andere Ressorts orientierten sich am Kanzleramt, nicht am Außenministerium, um die Koordinierung in wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Fragen sicherzustellen. „Dort wiederum wird diese Rolle selten übernommen“, beobachtet die Expertin: „Das Resultat ist ein Vakuum in der außen- und sicherheitspolitischen Koordinierung in Zeiten, in denen diese dringender wäre als je zuvor.“

Phantasie, Entschlusskraft und ein aktives Aufeinander-Zugehen sind gefragt.

Ekkehard Brose, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Eine Einigung haben die drei Partner in einer anderen strittigen Frage erzielt: Ursprünglich hatten sich die Grünen gegen die Festschreibung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato für Rüstungsausgaben in der Strategie gesperrt. Nun einigte man sich auf eine Formulierung, die auch Ausgaben für zivile Aufgaben wie Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit verspricht. Der Wortlaut ist aber noch nicht bekannt.

BAKS-Chef Brose sieht ohne neue Struktur nur eine Lösung: Die drei Partner müssten sich nun „in entscheidenden sicherheitspolitischen Fragen immer wieder zusammenraufen“. Vor allem der Bundeskanzler sei nun gefordert, „das zu orchestrieren“. Dabei appelliert der Diplomat, der in den Büros zweier Außenminister Erfahrungen sammelte, auch an menschliche Werte: „Phantasie, Entschlusskraft und ein aktives Aufeinander-Zugehen sind gefragt.“

Ursprünglich hatte die Sicherheitsstrategie bis zur Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar vorliegen sollen, doch der Streit verzögerte die Beratungen. Nun dürfte es noch einige Wochen dauern, bis sie veröffentlicht wird. Zunächst beraten nun die Ressorts der Regierung darüber, aber auch die Länder haben noch Abstimmungsbedarf.

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