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Julian Reichelt im Jahr 2021, damals noch Chefredakteur der „Bild“

© dpa/Jörg Carstensen

Ministerin klagt gegen Julian Reichelt: Wenn die Regierung sagt, was richtig ist

Behörden sollten zurückhaltend damit sein, Medien oder Journalisten zu verklagen. Es entsteht der Eindruck, man schreibt ihnen eine Meinung vor.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Svenja Schulze (SPD) geht gerichtlich gegen den Journalisten Julian Reichelt vor. Anlass ist ein Post von Reichelt auf der Plattform X, wonach Deutschland angeblich Hunderte Millionen Euro Entwicklungshilfe „an die Taliban“ (in Großbuchstaben, mit sechs Ausrufezeichen) gezahlt habe. Schulze hat einen Rechtsanwalt losgeschickt, der fordert beim Landgericht Berlin Unterlassung dieser „falschen Tatsachenbehauptung“.

Deutsches Geld für die Taliban?

Deutsches Geld für die Taliban, die Feinde des Westens und Unterdrücker der Frauen? Kaum zu glauben und eben deshalb aufregend. Das Geld werde regierungsfern verteilt, an die Bevölkerung, verteidigt sich Schulze. Interessierte können und konnten das nachlesen, nicht nur auf der Webseite des Ministeriums, sondern überraschend ausführlich sogar in der Meldung des Krawall-Portals „Nius“, auf die sich Reichelt in seinem Tweet bezieht.

Nun hat sich der Journalist um ein Milliönchen vertan. Es waren seit Machtübernahme der Taliban 371 und nicht 370 Millionen, wie er schreibt. Schulze aber scheint es vordringlich darum zu gehen, dass nicht „die Taliban“ die Empfänger der Hilfen sind. Da hat sie recht. Richtig ist aber auch, dass nicht ausgeschlossen ist, dass auch „die Taliban“ von solchen Hilfen profitieren. Das soll wohl in Reichelts Behauptung mitschwingen, da er folgert: „Wir leben im Irrenhaus“.

Somit aber könnte es sich bei dem gesamten Tweet-Arrangement um eine - politische - Meinungsäußerung handeln. Jedenfalls wird man das diskutieren können. Über politische Meinungen kann und muss gestritten werden - nur besser nicht vor Gericht. Und schon gar nicht, wenn die Regierung selbst als Kläger auftritt. Denn dann bedient sich die Exekutive der Judikative, um mit staatlicher Autorität und Steuergeld der Bürger durchzusetzen, was freie Presse schreiben darf.

Die Bundesregierung ist gewöhnlich bedacht darauf, einen solchen Eindruck zu vermeiden. Ministerin Schulze geht hier auf eine Art Extratour. Ausgerechnet Reichelt. Es macht ihn zum Opfer, dem der Irrenhaus-Staat den Mund verbietet. Und wenn er gewinnt, feiert er sich als der, der dem Irrenhaus-Staat das Handwerk legt. Wieder ein paar tausend Follower mehr.

Frau Schulzes piefiges Vorgehen hat zudem politische Folgekosten. Es bekundet eine Überzeugung, dass Bürgerinnen und Bürger kein X von einem U unterscheiden können, keinen Reichelt-Kommentar von Reichelt-Fake-News. Hier zeigt sich jene Überheblichkeit, die den Regierenden zur Last geworden ist.

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