zum Hauptinhalt
Georgia Meloni und Papst Franziskus. Dass die Ministerpräsidentin in pontifikalem Weiß im Vatikan erschien, beschäftigte Italiens Öffentlichkeit intensiv.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Massimo Valicchia

Der Papst und die Weltpolitik: Italiens wichtigster Diplomat trägt weiß

Der Vatikan und Italien: Das sind nicht einfach zwei Staaten. Man agiert auf internationaler Bühne oft abgestimmt. Das wird in der Ukraine-Politik gerade wieder interessant.

Seit Jahrhunderten trägt Italiens wichtigster Außenpolitiker ein weißes Gewand. Die lange diplomatische Tradition von Papst und Heiligem Stuhl verbindet dabei seit je geistliche Weltpolitik und die Mentalität der italienischen Provinz miteinander.

Der Vatikan leitet die eigene Außenpolitik aus einem besonderen katholischen Selbstverständnis ab – das allerdings nicht unbedingt deckungsgleich ist mit den Interessen des Landes, das ihn umgibt.

Das führt oft zu erheblichen Auseinandersetzungen. Die Wechselbeziehung zwischen den gegenüberliegenden Ufern des Tibers – am einen sitzt die italienische Regierung, am andern die der Kirche – sind spannungsreich.

Weltliches vs. kirchliches Italien

Ein typisches Beispiel für solche Widersprüche bot der Besuch des ukrainischen Präsidenten in Rom Mitte Mai.

Selenskyjs Treffen mit dem italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella, mit Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und mit ihren Ministern war nichts Unübliches: Die ukrainische Regierung befindet sich im täglichen Austausch mit den europäischen Verbündeten, und Italien gehört schließlich zu den Ländern, die Kiew seit Kriegsbeginn diskret, aber stetig unterstützen.

Die Aufmerksamkeit der italienischen und ausländischen Medien richtete sich daher besonders auf das gleichzeitige Treffen mit Papst Franziskus. Aus gutem Grund: Bergoglio nimmt zwischen Russland und der Ukraine eine neutrale Haltung ein.

Im Mai besuchte Selenskyj Italien zum ersten Mal seit der russischen Invasion.

© AFP/ALBERTO PIZZOLI

Rhetorisch stellt er sich gegen eine Gleichstellung von Angreifer und Opfer, allerdings hat der Papst auch keine Bedenken, den „imperialen Interessen anderer Länder“ und „dem Bellen der Nato vor den Toren Russlands“ eine Schuld am Krieg zuzuweisen.

Seine Einschätzung, die Ursache des Krieges sei hauptsächlich die Osterweiterung der Nato in den 1990er Jahren, ist mit Kiews antiimperialistischem und dekolonialen Narrativ der Invasion unvereinbar.

Man erkannte das schon am Geschenkeaustausch während des Staatsbesuches: Bergoglio überreichte Selenskyj eine kleine Skulptur eines Olivenzweigs, der ukrainische Staatspräsident revanchierte sich mit einer Ikone der Gottesmutter Maria auf einer Schussweste.

Wolodymyr Selenskyj trifft im Vatikan zu einer Privataudienz beim Papst ein.

© AFP/HANDOUT

Das waren andere Akzente als im weltlichen Rom: Meloni schenkte, etwas unangemessen, ein Paket mit Luxusölen. Die ukrainische Delegation hat sich am Ende vermutlich mehr über weitere Details zur geplanten Waffenlieferung gefreut.

Dass der links-fromme Bergoglio und die erzkonservative Meloni unterschiedliche Perspektiven vertreten, ist kaum bemerkenswert. Das ist eher die Tatsache, dass die Stellungnahmen des Papstes dennoch Gehör im politischen Rom finden. Und das hat nicht nur mit der besonderen Soft Power des Papstes in einem katholischen Land zu tun.

Italien nutzt Franziskus und seine Kirche auch gern für eine parallele Diplomatie. Der Heilige Stuhl mit seinem dichten Netz von Vertretungen im Ausland war immer eine Art spiritueller Partner für die italienische Diplomatie.

Apostolische Nuntiaturen und italienische Botschaften unterhalten viele privilegierte Kanäle, und die Kirche übernimmt in Krisengebieten oft politische Initiativen für Italien, die dessen Regierung und Diplomatie offiziell glaubhaft abstreiten müssen.

Kirchliche Vertreter nämlich können ohne die Fesseln, die ein G7-Land beschränken, vertrauliche Gespräche auch mit den unangenehmsten Akteuren vor Ort führen.

Sie dienen natürlich primär kirchlichen Interessen, können aber im Einzelfall auch italienische vertreten. Dazu kommt, dass kirchennahe Organisationen wie die Gemeinschaft Sant‘Egidio eine sehr wichtige Rolle in Italiens humanitärer Hilfe spielen.

Italien denkt an Export, der Papst global – das passt

Und es gibt eine rein politische Dimension: Franziskus‘ Kirche ist, anders als zu Zeiten Ratzingers und Wojtylas, alles andere als eurozentrisch – zur Freude von Teilen der italienischen außenpolitischen Bubble.

Sowohl Italiens Beamt:innen als auch Expert:innen beschweren sich oft, dass sich EU und Nato aktuell zu stark von denjenigen östlichen Mitgliedstaaten treiben lassen, die ihre Sicherheitsinteressen ausschließlich auf dem europäischen Kontinent sehen.

Die Politik eines Exportlandes wie Italien sei aber nicht die einer „zweitrangigen Macht“ wie Litauen, so ist hinter vorgehaltener Hand zu hören. Ähnlich geht es der Kirche. Unter der Führung des argentinischen Papstes sorgt sich der Vatikan eher um die globalen Folgen des Krieges als um dessen Auswirkungen auf die europäische Sicherheitsordnung.

Auch im Ukrainekrieg verfolgt Papst Bergoglio kirchliche Interessen, die der langen Linie italienischer Außenpolitik mit ihrem Blick nach Süden entsprechen.

Michelangelo Freyrie

Die Sorgen von Bergoglio und seines Außenministers, Kardinalstaatsekretär Pietro Parolin, gelten der Mehrheit der Gläubigen in Südamerika und vor allem in Afrika. Da Italiens Nachbarkontinent eine vorrangige Rolle in den außenpolitischen Ambitionen Roms spielt, sind hier die Gemeinsamkeiten zwischen Staat und Kirche groß.

Auch im Ukrainekrieg verfolgt Papst Bergoglio kirchliche Interessen, die der langen Linie italienischer Außenpolitik mit ihrem Blick nach Süden entsprechen. Papstworte liefern jedoch auch politische Deckung für italienische Politiker jeder Couleur in einem Land, in dem der Ukrainekrieg äußerst kontrovers diskutiert wird.

„Ein Licht im Dunkel“ der politischen Debatte

Selbst wer Waffenlieferungen befürwortet, kritisiert, was von vielen als diplomatische Starre gesehen wird. Die Rufe der Kirche nach diplomatischen Initiativen ohne Vorbedingungen finden in der Bevölkerung viel Unterstützung.

Eine erklärtermaßen christliche Partei gibt es auf Italiens politischer Bühne seit Jahrzehnten nicht mehr. Vom Glanz der Popularität des Papstes versuchen jedoch Links wie Rechts etwas abzubekommen. Der rechtspopulistische Verkehrsminister Matteo Salvini erklärte vor einigen Monaten, in seiner eigenen Regierung rede man zu viel über Waffen; der Papst und seine diplomatische Aktion seien für ihn „ein Licht im Dunkel“.

51
Prozent der Italienerinnen wollten zu Beginn des Jahres, dass der Ukrainekrieg möglichst bald endet, auch wenn dies mit einer Niederlage der Ukraine einherginge. In der EU insgesamt denken nur 38 Prozent der Bevölkerung so.

Dagegen stimmte der linke Abgeordnete Paolo Ciani in Januar gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und wünschte sich Vermittlungsversuche „trotz der Demütigungen, denen Papst Franziskus [wegen seiner Friedensvorschläge] durch Russland ausgesetzt war“.

Ciani ist Mitglied der Gemeinschaft Sant’Egidio, die einen kurzen Draht zum Papst hat und sich regelmäßig auf Friedensmärschen dagegen positioniert, der Ukraine unbegrenzt militärisch zu helfen.

Der prominenteste Vertreter der Organisation, der ehemalige Vizeaußenminister Mario Giro, beteuert oft, wie notwendig ein Übereinkommen des Westens und der Ukraine mit Russland sei.

Kardinal Matteo Zuppi ist Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz und neuer Friedensbotschafter des Vatikans.

© REUTERS/REMO CASILLI

Wie Diplomatie aktuell allerdings aussehen könnte, ist ungewiss. Medienberichten zufolge sind sogar sehr praktische Vorschläge des Heiligen Stuhles zu einzelnen humanitären Fragen gescheitert – zum Beispiel die Rückführung ukrainischer Kinder aus Russland.

Viele in Rom beobachten deswegen mit Interesse die Schritte des neuen Friedensbotschafters des Papstes, Kardinal Matteo Zuppi. Zuppi, der Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz ist, wird sich für die päpstliche Formel eines bedingungslosen Waffenstillstandes einsetzen und damit eine Position vertreten, die die Stimmung in Italien wiedergibt.

Sowohl die Wähler:innen wie die Profis im außenpolitischen Establishment hätten es lieber, wenn der Konflikt so bald wie möglich einfach eingefroren wäre.

Dass die Initiative von einem (italienischsprechenden) kirchlichen Vertreter geleitet wird, ist günstig für die Regierung Meloni: Sie kann bündnistreu bleiben und die Politik der G7 mittragen, während sich der Vatikan auf parallele Wege begibt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false