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© Lisa Rock für den Tagesspiegel

„Der Erbonkel“: Superwomen des Farbensehen

Manche Frauen besitzen nicht drei, sondern vier verschiedene Sensoren für die Farbwahrnehmung. Theoretisch könnten sie 100 Millionen verschiedene Farbnuancen wahrnehmen.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

„Das ist doch nicht blau, das ist eher türkis.“ Sätze dieser Art hört der Erbonkel öfter. Womöglich hat die Göttergattin tatsächlich besonders gut ausgeprägte Farbsehfähigkeiten. Das könnte damit zusammenhängen, dass Mütter (und Töchter) von Söhnen mit einer Rot-Grün-Schwäche (siehe vorheriger Erbonkel) nicht nur drei, sondern vier Farbsensoren in der Netzhaut besitzen. Sie könnten „Superwomen des Farbsehens“ sein und müssten statt nur einiger Millionen über hundert Millionen Farbnuancen unterscheiden können.

Die Ursache für diese Superkraft liegt in den Genen für die Opsine, die Pigmente, die das Farbsehen erst möglich machen. Es gibt drei verschiedene, für blau, grün und rot. Bei den häufigsten Farbsehschwächen ist das rot, seltener das grün erkennende Opsin betroffen. Es funktioniert zwar noch, reagiert aber auf Wellenlängen des Lichts, die zwischen rot und grün liegen, was eine Unterscheidung der beiden Farbtöne unmöglich macht.

Da Opsin-Gene für rot und grün auf dem X-Chromosom liegen, wirkt sich der Fehler bei Männern bei immer aus – schließlich haben sie kein zweites X-Chromosom, um zu kompensieren. Neun Prozent der männlichen Europäer haben eine Rot-Grün-Schwäche. Bei Frauen sind es nur 0,8 Prozent, denn selbst wenn sie ein X-Chromosom mit einem defekten Opsin-Gen erben, steht ihnen fast immer ein zweites X-Chromosom mit intakten Opsin-Genen zur Verfügung. Eine Farbschwäche haben sie nicht, im Gegenteil: Die eine oder andere könnte eine Superfarbseherin sein.

Der vierte Zapfen in der Netzhaut

Das liegt daran, dass diese Frauen nicht nur die drei üblichen Opsine, sondern mit dem mutierten ein viertes Opsin besitzen. Da in den Zellen von Frauen immer nur eines der beiden X-Chromosomen nach dem Zufallsprinzip aktiv ist, sind die Farbsehzellen in der Netzhaut (die Zapfen) mal mit dem intakten Opsin-Gen des einen X-Chromosoms und mal mit dem mutierten Opsin-Gen des anderen X-Chromosoms ausgestattet.

Theoretisch müssten also Mütter und Töchter von rot-grün-schwachen Männern aufgrund ihrer vier Opsin-Typen etwa 100 Millionen Farbtöne unterscheiden können. In der Praxis haben Forschende allerdings bisher nur eine solche Frau mit dieser Superfarbsehkraft entdeckt. Wahrscheinlich muss das Gehirn lernen, all die Farben zu unterscheiden. Was wohl kaum passiert: Im Alltag ist es eben doch meist völlig schnuppe, ob es sich nun um ein Blau, Türkis oder Mauve – ein blasses Lila – handelt.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben – jedes Wochenende Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne.

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