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Wolken am rot-blauen Himmel bei Sonnenuntergang

© Imago/Norbert Neetz

„Der Erbonkel“: Alles so schön bunt hier!

Sonnenuntergänge in satten Rottönen – im Urlaub schwelgt man gern von prächtigen Naturerlebnissen. Genießen Menschen mit erblicher Farbsehschwäche das auch so?

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Romantische Sonnenuntergänge und schillernde Regenbögen gehören zu den schönsten Urlaubserlebnissen. Doch das unbefangene Genießen der Farbenpracht der Natur änderte sich schlagartig, als mein Sohn auf die Frage der Schulärztin, ob er auf dem Farbtestbild denn die zweite Schlange sehen könne, nur mit einem verständnislosen Blick antwortete. Der Obststand auf dem Markt, die Kostüme auf dem Karneval der Kulturen in Berlin – über allem schwebt seither die Frage: Wie sieht mein Sohn die Welt?

Dass Menschen Farben wahrnehmen können, liegt an bestimmten Molekülen in den Zapfenzellen in der Netzhaut des Auges, den Opsinen. Diese Fotopigmente wandeln Licht zunächst in ein chemisches und dann ein elektrisches Signal um, das ans Gehirn gesendet wird, das daraus ein „Bild“ konstruiert.

Menschen sind „Trichchromaten“, haben also drei Typen von Opsinen, die jeweils entweder auf Licht einer Wellenlänge von rund 430 Nanometer (blau), 530 Nanometer (grün) oder 560 Nanometer (rot) reagieren. Je nachdem, wie stark diese drei Opsine jeweils angeregt werden, können Menschen etwa neun Millionen Farbnuancen unterscheiden.

Ist das grün erkennende Opsin defekt, entsteht die häufigste Form der Farbsehschwäche, die Deuteranomalie, wodurch die Unterscheidung von Grün- und Rot-Tönen schwerfällt. Etwa neun Prozent der männlichen Europäer haben eine solche Rotgrün-Sehschwäche, die im Alltag aber kaum Probleme macht: Sogar farbsehschwache Maler gibt es, selbst Van Gogh war womöglich rotgrünblind, wie seine Vorliebe für gelb nahelegt.

Egal, welches „Rot“ nun der Erbonkel sieht: Atemberaubend sind Naturspektakel immer.
Egal, welches „Rot“ nun der Erbonkel sieht: Atemberaubend sind Naturspektakel immer.

© imago/Westend61/Scott Masterton

Viel wichtiger aber ist: Auch wenn mein Sohn die Welt anders sieht, sein „Rot“ nicht meines ist, so löst es doch die gleichen Empfindungen aus. Denn wie das Bild aussieht, das sich das Gehirn anhand der elektrischen Signale aus dem Auge von der Umwelt, etwa von Sonnenuntergängen, Sonnenblumen und Regenbögen, macht, und welche Gefühle es damit verknüpft, das ist nicht nur eine Frage der Physik, sondern von Neurobiologie, Lernen und sogar Kultur. Im Gehirn entsteht nicht einfach ein Abbild der Natur wie beim Fotoapparat, sondern das Gesehene wird vom visuellen System sortiert, bewertet und interpretiert.

Genausowenig wie „Normalsichtige“ darunter leiden, kein UV-Licht wahrnehmen zu können (wie Vögel, Reptilien und Fische), vermisst mein Sohn nichts, wenn er am Meer sitzt und den Sonnenuntergang bestaunt. Die Schönheit des Moments können wir alle gleich genießen.

Auch im nächsten „Erbonkel“ geht es um das Farbsehen: Warum manche Frauen Farben viel besser unterscheiden können.

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