zum Hauptinhalt
Herthas Präsident Kay Bernstein ist im Alter von 43 Jahren gestorben. Viele Fans sind nach wie vor fassungslos.

© Ottmar Winter/Ottmar Winter

„Der Geist lebt weiter“: Kay Bernsteins Vermächtnis

Der Tod von Hertha-Präsident Kay Bernstein sorgt weiterhin für große Bestürzung. Für viele Herthaner fühlt es sich an, als hätten sie einen Freund verloren. Unserem Autor geht es genauso.

Dienstag, 12:27 Uhr, ich sitze in der Tagesspiegel-Redaktion an einem Text über die protestierenden Landwirte, als auf meinem Smartphone eine Nachricht meines Bruders in unserer WhatsApp-Familiengruppe erscheint. „Kay Bernstein ist tot“, steht da. Und: „Ich kann es grade nicht glauben.“

Ich auch nicht, immer noch nicht.

Seit der Nachricht über den plötzlich verstorbenen Hertha-Präsidenten trauere ich. Das fühlt sich merkwürdig an, denn ich kannte Kay Bernstein gar nicht persönlich. Noch nie ist mir der Todesfall eines Menschen abseits meines Freundes-, Bekannten- oder Familienumfeldes so nahe gegangen. Ich bin nicht der einzige. Die Erstmeldung über Bernsteins Tod ist keine zwei Stunden alt, da finden sich die ersten Berliner und Berlinerinnen am Olympiastadion ein.

Sie bringen Blumen und Kerzen vorbei, tragen sich in ein Kondolenzbuch ein, trösten sich gegenseitig. Vor der Geschäftsstelle liegen sich Jungs aus der Ostkurve in ihren schwarzen North-Face-Jacken in den Armen, viele haben Tränen in den Augen.

Fans trauern seit Tagen in der Geschäftsstelle des Zweitligisten um ihren verstorbenen Präsidenten.

© imago/Matthias Koch/IMAGO/Sebastian Räppold/Matthias Koch

Kay Bernstein stand für eine Hertha des Aufbruchs, der Gemeinschaft, des Zusammenkommens. Ganz anders als zu Zeiten von Investor Lars Windhorst war der Verein durch die überraschende Wahl seines neuen Präsidenten im Sommer 2022 auf einmal wieder nahbar. Der Abstieg in die Zweite Bundesliga letzte Saison? Bitter, aber gleichzeitig auch schnell verdaut. Vor allem, weil viele Fans gemerkt haben, dass es tatsächlich wichtigeres gibt, als sportlichen Erfolg. Zusammenhalt und eine gemeinsame Zukunftsvision. Kay Bernsteins Vermächtnis.

Seit ich ein Kind bin, gehe ich ins Olympiastadion. Jahrelang. Dann kam Windhorst und Corona und ich verlor die Lust auf Hertha. Wenige Monate nach Bernsteins Wahl wurde ich endlich Mitglied. In erster Linie seinetwegen, und weil ich spürte, dass sich etwas veränderte bei der alten Dame. Die ständigen internen Querelen wurden weniger, es ging wieder um Werte. Fans und Mannschaft rückten endlich wieder enger zusammen.

„Ich liebe diesen Verein und habe das schon immer getan, er ist ein großer Teil meines Lebens“, schreibt mir ein Freund, den ich bei einer Auswärtsfahrt kennengelernt habe, „aber Kay hat es geschafft, diese Leidenschaft noch krasser zu intensivieren. Mich mit dem Verein nach all der Scheiße der letzten Jahre ein Stück zu versöhnen“. Ein Blick auf das digitale Kondolenzbuch, das Hertha BSC mittlerweile eingerichtet hat, beweist, es geht vielen so.

„Keine Worte können beschreiben, wie fassungslos ich noch bin“

„Du hast den Verein wieder zu unserem gemacht. Hast dafür gesorgt, dass man wieder voller Stolz in Hertha-Jacke durch Berlin laufen kann“, ist dort zu lesen. Jemand anderes schreibt: „Keine Worte können beschreiben, wie fassungslos ich noch bin, dass du nicht mehr bei uns bist. Du wirst immer ein Teil von uns bleiben, dein Geist lebt in der Kurve weiter.“

Nicht nur in der Kurve war dieser viel beschworene Geist des Neuanfangs zu spüren. Kay Bernstein steht gleichzeitig als Identifikationsfigur für eine junge Generation Herthaner, die sich plötzlich nicht mehr dafür schämen mussten, im Fitnessstudio mit blau-weißem Trikot zu trainieren. Die Berliner Musik von Ski Aggu, Luvre47, Kasimir1441 oder den Saftboys hören. Allesamt selbst Herthaner, teilweise mit engen Kooperationen zum Verein inklusive Auftritten in Werbevideos. Gefördert von? Natürlich Kay Bernstein. Der Präsident hat nicht nur verstanden, wie die Fans des Vereins, sondern auch wie die dazugehörige Stadt tickt.

Vor dem Osttor des Olympiastadions ist ein Blumenmeer entstanden. Auch Fans anderer Vereine kamen schon vorbei, um zu trauern.

© Ottmar Winter/Ottmar Winter

Verrauchte Westberliner Eckkneipen sind seit geraumer Zeit nicht mehr ausschließlich ein Rückzugsort für die alte Garde am Tresen, sondern auch für die Schultheiss trinkende Generation Z. Junge und alte Herthaner kommen hier zusammen. Auch das ist ein Erfolg, der sich durchaus mit dem verstorbenen Präsidenten verbinden lässt.

Gleichzeitig stand Bernstein für gesellschaftliche Werte ein. Seit dem 7. Oktober gab es verschiedene Aktionen gegen Antisemitismus im Olympiastadion, Anfang Dezember nahm der Präsident mit weiteren Vereinsfunktionären bei einer Demonstration gegen Antisemitismus teil. Im letzten Interview vor seinem Tod äußerte er in der „Sport Bild“ die Sorge, dass Rassismus, Sexismus und Homophobie durch den gesellschaftlichen Rechtsruck auch in den Fankurven wieder zunehmen könnten.

Kay Bernstein hinterlässt nicht nur seine Frau und zwei kleine Kinder, sondern auch eine riesige Lücke in einem Verein, der sich immer noch in Schockstarre befindet. Unser aller Aufgabe als Herthaner muss es sein, den Berliner Weg weiterzugehen. Kay Bernstein wird uns dabei aus dem blauen-weißen Himmel zuschauen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false