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Der Verein Opferperspektive zählte im vergangenen Jahr 242 rechtsmotivierte Angriffe in Brandenburg, darunter 15 an Schulen.

© imago/photothek

Rechte Gewalt unter Jugendlichen: Das Erbe der Baseballschlägerjahre

Die Potsdamer Beratungsstelle Opferperspektive registriert einen großen Anstieg rechter Gewalttaten in Brandenburg. Besonders die Entwicklung an Schulen sei alarmierend.

Anfang September im Kreis Oberhavel. Ein Kind wird von einem deutlich älteren Mitschüler aus rassistischen Motiven so massiv geschlagen, dass es das Bewusstsein verliert und einen Nasenbeinbruch erleidet. Kein Einzelfall, wie die in Potsdam ansässige Opferperspektive konstatiert. 15 Gewalttaten, darunter elf Körperverletzungen gegen Kinder und Jugendliche mit rechtem Hintergrund ereigneten sich in Brandenburger Bildungseinrichtungen im Vorjahr, wie der Verein am Montag bei der Vorstellung seiner Bilanz für 2023 im Landtag mitteilte.

133 Kinder und Jugendliche wurden Opfer rechtsmotivierter Angriffe

Ein massiver Anstieg: 2022 hatte die Initiative nur einen einzigen Fall an einer Schule registriert. Insgesamt waren 2023 der Bilanz zufolge 133 Kinder und Jugendliche in Brandenburg von rechtsmotivierten Angriffen direkt betroffen, 70 mehr als im Jahr zuvor.

Die deutliche Zunahme lasse sich nicht allein durch ein verändertes Meldeverhalten und eine größere Aufmerksamkeit nach dem Brandbrief zweier Lehrer aus Burg zu rechtsextremen Vorfällen an ihrer Schule erklären, ist Joschka Fröschner, Monitoring-Beauftragter der Opferperspektive überzeugt. „Die Vielzahl an Meldungen rassistischer Gewalt an Schulen sind Zeichen einer zunehmenden Dynamik der Enthemmung“, sagt der Berater. Insbesondere der nun öffentlich gewordene Fall eines Cottbuser Lehrers, der zwei Schüler tschetschenischer und syrischer Herkunft vergangenen September aus rassistischen Motiven körperlich angegriffen haben soll, verdeutliche das.

Demo nach Attacke eines Lehrers auf zwei Schüler in Cottbus

Der aus Sicht des Vereins völlig unzureichende Umgang von Schule, Schulamt und Bildungsministerium mit dem Fall zeige, dass die Behörden „damit überfordert sind, Betroffene rechter Gewalt zu unterstützen und zu schützen und angemessen zu reagieren“. Zu den Familien der Schüler, von denen einer stationär im Krankenhaus behandelt werden musste, sei aktiv kein Kontakt aufgenommen werden. Unter dem Motto „Kinder brauchen Sicherheit - Schule ohne Rassismus“ wollen sich nun am Dienstag (19.3.) Demonstranten vor dem Schulamt Cottbus treffen, wie der Veranstalter „#Unteilbar-Südbrandenburg“ mitteilte.

Oftmals seien es aber Minderjähriger, die andere angreifen, so die Opferperspektive. Darin zeige sich „ein fest verankertes rechtes und rassistisches Weltbild innerhalb des Elternhauses oder der Lokalgesellschaft“, schreibt sie in ihrer Analyse. Die Berater stellten immer wieder fest, dass die Täterinnen und Täter Kinder von Eltern seien, die in ihrer eigenen Jugend während der sogenannten Baseballschlägerjahre, den Nachwendejahren mit massiver rechtsextremistischer Gewalt im Osten, „weitgehend ungestraft rechte Straßengewalt ausübten und rechte Dominanz durchsetzen konnten“.

Die Übergriffe im schulischen Kontext sprächen zudem für eine stärkere Etablierung rechter Jugendkultur, die nun sichtbar werde. „Hier zeigt sich, dass die Strategie rechter Akteure aufgeht, gezielt Jugendliche über soziale Medien anzusprechen, sich dort als harmlos und jugendfreundlich darzustellen und junge Menschen so für ihre Inhalte zu gewinnen.“

242
rechtsmotivierte Angriffe zählte der Verein Opferperspektive 2023 im Land Brandenburg

Dass rechte Gewalt in Brandenburg mit insgesamt 242 Angriffen (2022: 138) einen Höchststand erreicht hat, führt Anne Brügmann auch auf das Erstarken der AfD zurück. „Die nahezu flächendeckende Zunahme der Taten in fast allen Regionen legt nahe, dass sich Rassisten durch die verbreitete Zustimmung zu rechten Positionen darin bestärkt sehen, ihre Überzeugungen mit Gewalt durch- und umzusetzen“, sagt die Leiterin der Opferberatung.

„Die Täter sind Menschen von nebenan“

Die Opferperspektive spreche bewusst nicht von rechtsextremistischer, sondern von rechter Gewalt, erläutert Geschäftsführerin Judith Porath. Denn anders als während der Baseballschlägerjahre gehe die Gewalt nun nicht überwiegend „von militanten, organisierten Neonazis aus“, sagt sie. „Die Täter sind Menschen von nebenan.“

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