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Nächster Besuch im Kanzleramt - zum zweiten Mal seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen sein Land wird der ukrainische Staatschef am Freitag Olaf Scholz in Berlin besuchen.

© dpa/Christoph Soeder

Wird Deutschland zur Schutzmacht?: Was Selenskyj in Berlin und München erwartet

An diesem Freitag wird der ukrainische Präsident im Kanzleramt und zur Münchner Sicherheitskonferenz erwartet. Selenskyj soll ein Abkommen unterzeichnen – dessen Details noch unbekannt sind.

Ist es Höflichkeit gewesen oder doch die Olaf Scholz immer wieder vorgehaltene allzu große Vorsicht? Jedenfalls waren es am Donnerstag nicht der Kanzler und seine Leute, die offiziell den schon etwas länger geplanten Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Freitag in Berlin ankündigten.

Vielmehr kam die Nachricht, dass er neben der französischen Hauptstadt auch in die deutsche Hauptstadt reisen werde, aus dem Kiewer Präsidentpalast selbst. Paris wiederum erklärte, dass ein bilaterales Sicherheitsabkommen unterzeichnet werden soll. Erst danach bestätigt ein deutscher Regierungssprecher die Visite offiziell – ohne aber Details zu nennen.

Klar ist dennoch, dass an diesem Freitag jene „Sicherheitsgarantien“ konkretisiert werden, über die schon lange diskutiert wird. Am Rande des Nato-Gipfels von Vilnius im Juli hatten die G7-Staaten vereinbart, dass zwischen der Ukraine und den USA, Kanada, Japan, Italien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland jeweils bilateral entsprechende Abkommen ausgehandelt werden. Das mit London wurde bereits unterschrieben, nun folgen die mit Paris und Berlin.

Auch Deutschland wird damit zu einer Art Schutzmacht der Ukraine. Auch ohne bereits Nato-Mitglied zu sein, was die Allianz Kiew in Vilnius noch verwehrte, so soll die Ukraine dennoch die Sicherheit haben, nach einem möglichen Friedensschluss nicht sofort wieder zur Zielscheibe Moskaus zu werden.

Wie die militärische Unterstützung genau aussehen soll, ist noch nicht bekannt. Der Text des Abkommens blieb am Donnerstag noch unter Verschluss. In der G7-Erklärung vom Juli ist jedoch einerseits von Ausrüstung und Ausbildung des ukrainischen Militärs die Rede.

Es solle, sagte damals der SPD-Politiker Michael Roth als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, „in ein Stachelschwein verwandelt werden, das Russland vor einem erneuten Angriff abschreckt“. Dafür soll auch die Verteidigungsindustrie ausgebaut werden, wie es etwa der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall mit seinem Werksneubau vor Ort bereits tut.

Andererseits geht es um eine Art Beistandspflicht, die aber weniger konkret als jene in Artikel 5 des Nato-Verträges sein wird. Die Vorgabe in der G7-Erklärung vom Sommer ähnelt mehr einer Konsultationspflicht für den Krisenfall, wie es sie in Artikel 4 des Nordatlantikvertrages ebenfalls gibt.

„Im Falle eines künftigen bewaffneten Angriffs Russlands“, hieß es von den westlichen Industrienationen in Vilnius, „beabsichtigen wir umgehende Beratungen mit der Ukraine darüber, welche nächsten Schritte angemessen sind“. Direkter militärischer Beistand wurde also weder konkret genannt noch ausdrücklich ausgeschlossen.

Sicherheitsgarantien dürfen nicht nur auf dem Papier stehen. Sie müssen militärisch hinterlegt sein.

Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Europaausschusses. über das bilaterale Abkommen mit Kiew

Der Grüne Anton Hofreiter, der dem Europaausschuss im Bundestag vorsteht, kannte den Text am Donnerstag noch nicht. Er meldet dennoch Skepsis an, auch weil aus Kiew bereits Kritik am Abkommen mit Großbritannien laut geworden ist. „Sicherheitsgarantien dürfen nicht nur auf dem Papier stehen. Sie müssen militärisch hinterlegt sein“, sagte Hofreiter dem Tagesspiegel: „Wir haben beim Budapester Memorandum von 1994 gesehen, dass es nicht reicht, wenn Staaten der Ukraine vertraglich die territoriale Integrität zusagen.“

Die bessere und billigere Sicherheitsgarantie sieht Hofreiter im Nato-Beitritt: „Die Ukraine so weit aufzurüsten, dass Russland sie nicht mehr überfällt, würde die Unterstützer deutlich mehr finanzielle Ressourcen kosten als die Aufnahme in ein Sicherheitsbündnis, in dem wir die Lasten teilen.“

Treffen mit US-Vizepräsidentin

Falls diese und andere Fragen in der Pressekonferenz von Scholz und Selenskyj unbeantwortet bleiben sollten, besteht am Samstag eine weitere Gelegenheit, sie zu stellen – zumindest für Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz, wo beide am Vormittag auftreten und mit dem Publikum diskutieren werden.

Bei einem bilateralen Gespräch Selenskyjs mit der bereits am Donnerstag in München eingetroffenen US-Vizepräsidentin Kamala Harris könnte neben der ausstehenden Zustimmung des US-Kongresses zu einem Milliardenpaket für Kiew auch ein Nato-Beitritt erneut Thema werden. Der Gipfel zum 75-jährigen Jubiläum des Bündnisses findet diesen Sommer in Washington statt.

Nicht dabei sein wird in München Selenskyjs Amtsvorgänger Petro Poroschenko. Wie der Tagesspiegel aus Konferenzkreisen erfuhr, wurde ihm von Selenskyj die Ausreisegenehmigung für das Treffen in der bayerischen Landeshauptstadt verweigert – was ein Schlaglicht auf die innenpolitischen Streitigkeiten in der Ukraine wirft.

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