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Die Pläne um eine Harmonisierung werden kontrovers diskutiert.

© dpa/Philipp von Ditfurth

Schluss mit dem europäischen Flickenteppich?: EU-Parlament will Vergewaltigung einheitlich bestrafen

Vergewaltigungen werden innerhalb der EU in jedem Land anders bestraft – noch. Während zahlreiche Politiker sich für eine Harmonisierung aussprechen, sind Rechtswissenschaftler skeptisch. Ein Überblick.

„Nein heißt nein“: In Deutschland ist ein sexueller Übergriff seit 2016 schon dann strafbar, wenn er gegen den erkennbaren Willen einer Person ausgeführt wird. Es kommt nicht mehr darauf an, ob eine betroffene Person sich gegen den Übergriff körperlich gewehrt hat oder warum ihr dies nicht gelungen ist.

Ein wichtiges Zugeständnis, auch wenn es natürlich auch durch dieses Gesetz nicht unbedingt einfacher geworden ist, einwandfrei festzustellen, ob eine Handlung justiziabel ist – das zeigten jüngst wieder die Ermittlungen gegen den Rammsteinsänger Till Lindemann.

Vergewaltigungen werden innerhalb der EU in jedem Land anders bestraft – noch. Die Kommission hatte im vergangenen Jahr zum Weltfrauentag einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vorgelegt. Die Brüsseler Behörde schlug seinerzeit vor, in sämtlichen 27 EU-Staaten Vergewaltigung auf der Grundlage fehlender Einwilligung, Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen sowie Cyber-Gewalt einheitlich unter Strafe zu stellen. 

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Ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen

„Ich möchte, dass Europa den Frauen mit Schutz und Unterstützung zur Seite steht. Ich möchte eine Gesellschaft, in der Gewalt gegen Frauen verhindert, verurteilt und verfolgt wird, wenn sie geschieht“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen seinerzeit.

Ich möchte, dass Europa den Frauen mit Schutz und Unterstützung zur Seite steht.

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

Damit der Vorschlag der Kommission Gesetz werden kann, müssen allerdings auch das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten zustimmen. Eine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten sieht keine Rechtsgrundlage für eine EU-einheitliche Bestrafung von Vergewaltigern. Anfang Juni sprachen sich zahlreiche EU-Ländern – darunter auch Deutschland -, dafür aus, die Vergewaltigung aufgrund fehlender Einwilligung aus der Richtlinie zu streichen.

Damit dürfte es bis auf Weiteres beim Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen bleiben. So wird Vergewaltigungsopfern in 14 EU-Ländern, darunter Frankreich und Polen, auferlegt, eine Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit Gewalt nachzuweisen. In den übrigen EU-Staaten wird eine Vergewaltigung auch dann strafrechtlich geahndet, wenn der Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich war.

„Dass der Rat sich dafür entschieden hat, die Straftat Vergewaltigung aus seiner allgemeinen Ausrichtung zum Richtlinienvorschlag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auszunehmen, ist enttäuschend und verstörend“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse unter den EU-Mitgliedstaaten.

Vergewaltigung sei „eine Straftat, die sich ganz klar gegen Frauen richtet und von Männern begangen wird, um persönliche Befriedigung zu erreichen, ihre Herrschaftsstellung zu untermauern und Frauen zu bestrafen“, sagte sie weiter.

14
EU-Länder erlegen es den Opfern auf, eine Anwendung von Gewalt nachzuweisen.

Im Europaparlament teilt eine Mehrheit der Abgeordneten die Auffassung der EU-Kommission, dass nicht einvernehmlicher Geschlechtsverkehr EU-weit als Vergewaltigung zu ahnden sei. Im vergangenen Monat hatten sich zwei Ausschüsse des Parlaments entsprechend positioniert.

Harmonisierung der Strafbarkeit

„Ich bin froh, dass sich die Mehrheit des Europäischen Parlaments generell als stabiler und feministischer erweist, und sich auch in diesem Fall konsequent für Frauen und ihre Rechte einsetzt“, sagte die SPD-Abgeordnete Noichl dazu. Mit Blick auf Vergewaltigungen sagte sie, dass „das Denken, man habe doch als Mann ein Recht darauf, weil sie einen kurzen Rock trug oder man ihr einen Drink spendiert hat“, ein für alle Mal „ein Ende finden“ müsse.

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Auch Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, spricht sich für eine Harmonisierung der Strafbarkeit aus. Zwar sei es im Bereich des Strafrechts besonders wichtig, dass die EU nur dort Mindeststandards setze, wo das absolut notwendig sei, sagte sie dem Tagesspiegel. „Vergewaltigung ist aber eine so frauenfeindliche Straftat und eine Form der sexuellen Ausbeutung von Frauen, dass wir innerhalb der EU gemeinsam angehen können.“

Viele Vergewaltigungen werden nicht angezeigt.
Viele Vergewaltigungen werden nicht angezeigt.

© dpa/Julian Stratenschulte

Clara Bünger, die rechtspolitische Sprecherin der Linken begrüßt den Vorstoß des EU-Parlaments ebenfalls. „Anders als die Mehrzahl der Mitgliedstaaten hier behauptet, kann sich aus meiner Sicht die EU-Gesetzgebung sehr wohl auf Art. 83 Abs. 1 AEUV als Rechtsgrundlage stützen, die bei ‘sexueller Ausbeutung von Frauen und Kindern’ gerade einschlägig ist“, sagte Bünger dem Tagesspiegel.

Das „Ja-heißt-Ja“-Modell

Gewalt gegen Frauen sowie häusliche Gewalt seien leider auch in Europa ein tiefgreifendes Problem, dem mit umfassenden Maßnahmen im Bereich Prävention, Intervention und rechtlichen Sanktionen begegnet werden müsse. Erfreulich sei daher, dass zentrale Vorgaben der Istanbul Konvention im Entwurf Eingang gefunden haben, wie etwa das Bekenntnis zum ‘Ja-heißt-Ja’-Modell.

„Nur diese Zustimmungslösung schützt die sexuelle Selbstbestimmung vorbehaltlos und weist dem Opfer keine Mitverantwortung zu.“ Wermutstropfen für Bünger: „Dass eine Vergewaltigung nur bei einer sexuellen Penetration als erfüllt gilt. Auch alle nicht-einverständlichen sexuellen Handlungen sollten im Straftatbestand erfasst werden. Hier jedenfalls bestehe noch Nachbesserungsbedarf, um ausreichend Schutz für die betroffenen Personen zu bieten.“

Es ist bedauerlich, dass eine Vergewaltigung nur bei einer sexuellen Penetration als erfüllt gilt. 

Clara Bünger, rechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag

Stephan Thomae, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion äußerte sich hingegen verhalten. Gerade strafrechtliche EU-Richtlinien sollten den Mitgliedstaaten aber auch einen angemessenen Umsetzungsspielraum belassen, um sicherzustellen, dass sich die Regelungen in die unterschiedlichen nationalen Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten einpassen, sagte er dem Tagesspiegel.

Rechtswissenschaftler:innen äußern sich skeptisch

Zu detaillierte Sanktionsvorgaben gehörten daher nicht in eine Richtlinie. „Auch im Hinblick auf die begrenzten Kompetenzen der Europäischen Union im Bereich des Strafrechts sind sie nicht unproblematisch.“

Eine besondere Notwendigkeit, die Straftat auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, sei nicht erkennbar, meint Gudrun Hochmayr, Professorin für Europäisches Strafrecht an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder).

Die Bezeichnung „Vergewaltigung“ habe besondere Signalwirkung und solle den schwersten Eingriffen in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung vorbehalten werden, die mittels Gewalt gegen die Person oder qualifizierter Drohung vorgenommen werden. „Die vom Kommissionsvorschlag insoweit verfolgten Ziele lassen sich auf mitgliedstaatlicher Ebene in ausreichender Weise erreichen.“

Helmut Satzger von der Ludwig-Maximilians-Universität München moniert, dass es an einer „grenzüberschreitenden Dimension“ fehle. „Diese zu bejahen fällt bei einer Vergewaltigung regelmäßig schwer, da das ja eine an einem bestimmten Ort und nicht grenzüberschreitend begangene Straftat ist.“ Anders sei es allenfalls, wenn es um Sexualstraftaten gehe, die typischerweise über das Internet verbreitet würden oder im Zusammenhang mit Menschenhandel oder Ähnlichem stünden.

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