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Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) in der 116. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin, 07.07.2023

© action press/Christoph Hardt

„Standen ziemlich blank da“: Strack-Zimmermann kritisiert Arbeit von Geheimdiensten in Krisenlagen

Bei politischen Erdbeben sind deutsche Geheimdienste zu häufig überrascht, sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Ihr Vorschlag: mehr Mitarbeiter, die näher am Geschehen sind.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hält die Leistungsfähigkeit der deutschen Nachrichtendienste in Krisenlagen für nicht mehr ausreichend.

„Man benötigt offensichtlich mehr Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die aber auch grünes Licht bekommen sollten, näher am Geschehen aktiv zu sein“, sagte die FDP-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Wir stützen unser Wissen auch auf befreundete Dienste. Daraus leiten wir dann unsere Informationen ab und machen uns ein Bild der Lage. Kann es sein, dass andere Länder deutlich forscher und genauer hinschauen?“

Nach dem bewaffneten Aufstand des Chefs der russischen Söldnerorganisation Wagner, Jewgeni Prigoschin, gegen Moskaus Militärführung war Kritik am Bundesnachrichtendienst (BND) laut geworden. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte erkennen lassen, dass der deutsche Auslandsnachrichtendienst von dem Aufstand überrascht wurde.

Strack-Zimmermann sieht Defizite seit mehreren Jahren und verweist auf die Machtübernahme der Taliban am Hindukusch 2021. „Taliban, Afghanistan. Wir haben diesbezüglich keinerlei Informationen bekommen. Und standen ziemlich blank da“, sagte sie. „So auch beim russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Wir wurden bis zu diesem Tag zwar darüber informiert, dass die russische Armee auch Logistik und Blutkonserven vorhält, mehr aber auch nicht.“

Bei der Bewertung der Lage im westafrikanischen Mali - wo die Bundeswehr im Blauhelm-Einsatz ist - habe man auf nähere Informationen darüber gewartet, inwieweit die Übergangsregierung des Landes das UN-Mandat komplett beendet sehen wolle, sagte Strack-Zimmermann. Sicherlich sei nicht alles vorhersehbar, aber in Mali sei ein genauerer Blick nötig gewesen, zumal die Söldnertruppe Wagner dort lange präsent „und sowohl militärisch als auch politisch und strategisch relevant“ sei.

Die Situation bei Prigoschins Wagner-Aufstand in Russland sieht sie damit in einer Reihe: „War für den Dienst offensichtlich auch komplett überraschend. Dass sind nun vier bedeutende Ereignisse in kürzester Abfolge, die im Vorfeld nicht aufgeklärt oder schlichtweg nicht richtig eingeordnet worden sind.“

Die Mutation von einem operierenden Nachrichtendienst in eine mit sich selbst beschäftigte Verwaltungsbehörde ist politisch gewollt.

Ex-BND-Präsident Gerhard Schindler

Sie glaube, dass es im Geheimdienst-Apparat auch ein mentales Strukturproblem gebe. Der Grund dafür könne sein, dass Deutschland nach Ende des Kalten Kriegs bestimmte Gefahren schlichtweg ausgeblendet habe. Zuvor habe die alte Bundesrepublik ein realistisches Gefahrenszenario und auch einen starken Geheimdienst gehabt.

Strack-Zimmermann: „Selbst unter dem Friedensnobelpreisträger Kanzler Willy Brandt steckte Deutschland 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung.“

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), sagte dem Tagesspiegel, dass der BND nach seinem Eindruck im Zusammenhang mit dem Prigoschin-Aufstand besser gearbeitet habe als öffentlich wahrgenommen. „Es liegt in der Natur der Tätigkeit, dass Nachrichtendienste über ihre Arbeit und Erfolge nicht offen reden können“, so Hardt. „Die Erwartung an den BND, einen solchen Aufstand vorhersehen zu können, ist überzogen: Dazu müsste er schon Teil der Verschwörung selbst sein“, sagte er weiter.

Angesichts der Krisen in allen Teilen der Welt stelle sich nach den Worten des CDU-Außenpolitikers aber die Frage, „ob wir nicht nur in die Bundeswehr, sondern auch in den BND mehr investieren müssen, ebenso wie in unsere zivilen Instrumente der Außenpolitik“. Die vorgesehene Kürzung im Etat des Auswärtigen Amtes zeige, „dass dieser Gedanke in der Ampel noch nicht angekommen ist“, so Hardt.

Vor drei Wochen hatte der frühere BND-Präsident Gerhard Schindler der Politik vorgehalten, die Fähigkeiten des Bundesnachrichtendienstes in den vergangenen Jahren zu stark beschnitten zu haben. „Wer dem BND einen juristischen Brocken nach dem anderen in den Weg legt, der muss sich nicht wundern, dass dies Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit bei der Informationsbeschaffung hat“, hatte der 70-Jährige der dpa gesagt.

Er ergänzte: „Die Mutation von einem operierenden Nachrichtendienst in eine mit sich selbst beschäftigte Verwaltungsbehörde ist politisch gewollt. Die Gesetzesänderungen der letzten Jahre haben doch genau dies bewirkt.“ (dpa/ame)

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