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Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, spricht im Plenum des Bundestags.

© dpa/Kay Nietfeld

Exklusiv

Migrationspolitik der Ampel: SPD und Grüne streiten über stationäre Grenzkontrollen

Die Ampelkoalition ist uneins über Pläne von Innenministerin Nancy Faeser für Grenzkontrollen. Aus der Opposition wirft Linke-Chefin Wissler der SPD-Politikerin vor, rechten Forderungen nachzugeben.

SPD und Grüne sind uneins über die mögliche kurzfristige Einführung stationärer Grenzkontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien. Nach monatelanger Ablehnung prüft das Bundesinnenministerium nun entsprechende Schritte.

„Wir haben große Zweifel an der Praktikabilität stationärer Grenzkontrollen, denn sie wären sehr personalintensiv“, sagte Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel. Dies hätte zur Folge, dass Bundespolizistinnen und Bundespolizisten in der Fläche abgezogen werden müssten, etwa an Bahnhöfen oder Flughäfen. „Das könnte zu einem Sicherheitsproblem führen“, sagte Mihalic.

An der deutsch-österreichischen Grenze mit bereits bestehenden Grenzkontrollen sehe man, dass sie in der Region die Wirtschaft enorm belasteten, da sich immer wieder Staus bildeten und der Pendelverkehr eingeschränkt sei, sagte die Grünen-Politikerin. „Darüber hinaus können Menschen, die um Asyl ersuchen, an den Grenzen nicht abgewiesen werden. Daher würde der Aufwand in keinem Verhältnis zum gewünschten Erfolg stehen“, sagte Mihalic.

Faeser sieht „Möglichkeit, Schleuserkriminalität härter zu bekämpfen“

Im Kampf gegen Schleuserkriminalität prüfe man kurzfristige stationäre Grenzkontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien, teilte das Bundesinnenministerium derweil mit. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte zuvor der „Welt am Sonntag“ auf die Frage, ob es an der polnischen und tschechischen Grenze kurzfristige stationäre Grenzkontrollen geben werde, gesagt: „Aus meiner Sicht ist das eine Möglichkeit, Schleuserkriminalität härter zu bekämpfen.“

Solche zusätzlichen Kontrollen müssten mit der Überwachung des gesamten Grenzgebiets durch die Schleierfahndung gut zusammen greifen. „Dafür haben wir die Präsenz der Bundespolizei an der polnischen und der tschechischen Grenze bereits stark verstärkt“, sagte die SPD-Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl am 8. Oktober.

Faeser fügte hinzu: „Man sollte aber nicht suggerieren, dass keine Asylbewerber mehr kommen, sobald es stationäre Grenzkontrollen gibt.“

SPD unterstützt „grenzpolizeiliche Maßnahmen“

Erwartungsgemäße Zustimmung erhielt Faeser aus der SPD. Mit Sorge sehe man die Entwicklung bei der Schleusungskriminalität, sagte Lars Castellucci, der amtierende Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, dem Tagesspiegel. Es sei gut, dass Faeser für die Bekämpfung dieser Verbrechen zusätzliche Gesetzesverschärfungen vorgeschlagen habe, „denn hier werden immer wieder Menschenleben geopfert. Wenn dafür auch zusätzliche grenzpolizeiliche Maßnahmen nötig sind, finden diese ebenfalls unsere Unterstützung“.

Offene Binnengrenzen seien jedoch „eine historische Errungenschaft, dafür muss der Schutz der Außengrenzen weiter verbessert werden“, sagte Sozialdemokrat Castellucci: „Stationäre Grenzkontrollen im Inneren sollen die Ausnahme sein. Denn wenn das alle in Europa machen, ist es mit den offenen Grenzen auch für Waren, Pendler und Touristen bald vorbei. Das wollen wir, anders als offenbar Union und AfD, nicht.“

Castellucci sagte, die Situation an den Grenzen werde fortlaufend analysiert und bewertet. „Das geschieht sehr professionell und umsichtig. Entsprechend trifft Innenministerin Faeser Entscheidungen, die auf Fakten basieren und der Lage angepasst sind. Es entspricht der Rechtslage und der Analyse, dabei vorrangig auf eine deutlich ausgeweitete Schleierfahndung zu setzen.“

Die Aufgriffe von Flüchtlingen bewiesen, dass dies funktioniere. „Denn Menschen auf der Flucht kommen nicht alle ordentlich über die Grenzübergänge. Es macht also Sinn, entlang der Grenzen im Hinterland zu kontrollieren und dabei mit den Behörden aus den Nachbarländern intensiv zusammenzuarbeiten. So findet es statt“, sagte Castellucci.

„Grenzkontrollen schaffen mehr Probleme“

Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler warf Faeser vor, sich dem Druck von „rechts“ zu beugen. „Es ist bitter, dass Nancy Faeser nun auf die Linie der Union einschwenkt und rechte Forderungen umsetzen will. Dabei schaffen Grenzkontrollen mehr Probleme, als sie lösen“, sagte Wissler dem Tagesspiegel. Es drohe eine europäische Kettenreaktion, wenn andere Länder dem Beispiel Deutschlands folgten.

Geflüchtete werden verstärkt durch Grenzflüsse schwimmen und durch Wälder irren, um an ihr Ziel zu gelangen.

Linken-Chefin Janine Wissler kritisiert die Pläne Faesers.

„Faeser setzt die Freizügigkeit und die offenen Grenzen im Schengen-Raum aufs Spiel, um im hessischen Wahlkampf punkten zu können“, sagte Wissler. Die Leidtragenden dieses Abschottungspopulismus seien die Geflüchteten und Menschen in den Grenzgebieten, die über die Grenze pendelten und zukünftig viel Zeit durch Kontrollen an der Grenze verlieren würden.

„Geflüchtete werden verstärkt durch Grenzflüsse schwimmen und durch Wälder irren, um an ihr Ziel zu gelangen“, sagte Wissler. Nötig seien „konstruktive Ansätze in der Migrationspolitik und eine Bekämpfung der Fluchtursachen statt dauernd über Obergrenzen, Abwehr und Abschottung zu diskutieren“.

CDU will Taten sehen von Faeser

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) appellierte an das Bundesinnenministerium, stationäre Grenzkontrollen gegen illegale Zuwanderung rasch einzuführen. „Bundesinnenministerin Faeser hat schon viel angekündigt. Jetzt zählen Taten, um den skrupellosen Schleuserbanden das Handwerk zu legen“, sagte Stübgen.

In Deutschland beantragten zwischen Januar und August 204.461 Menschen erstmalig Asyl, das sind 77 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Rund jeder Vierte darunter stammte aus Syrien, gut jeder Sechste aus Afghanistan und etwa jeder Siebte aus der Türkei. Derzeit leben rund eine Million Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland.

Faeser in Hessen unter Druck

Meinungsumfragen zufolge ist das Thema Migration nach der Wirtschaft das zweitwichtigste Thema für die Deutschen. So ist mehr als jeder vierte Deutsche (26 Prozent) der Meinung, die Politik müsse sich vordringlich um die Themen Zuwanderung und Flucht kümmern, wie der ARD-Deutschlandtrend von Infratest Dimap Ende August ergab.

Angesichts der starken Zustimmung für die AfD in den Umfragen ist der Druck auf Innenministerin Faeser besonders groß. In SPD-Kreisen wird mit einem Scheitern Faesers beim Versuch, hessische Ministerpräsidentin zu werden, gerechnet. Hessen wählt am 8. Oktober. Womöglich erzielt die SPD hier ein noch schlechteres Ergebnis als 2018 (19,8 Prozent).

Im Falle eines Wahldebakels, womöglich gar einem Abschneiden der SPD hinter CDU, Grünen und AfD, könnte Faesers Verbleib an der Spitze des Bundesinnenministeriums infrage gestellt werden.

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