zum Hauptinhalt
Janine Wissler, Parteivorsitzende der Partei Die Linke, und Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Partei im Bundestag

© dpa/Fabian Sommer

Exklusiv

Die Linke in der Krise: Hat Ihre Partei noch eine Chance, Frau Wissler, Herr Bartsch?

Die Lage der Linken ist desolat. Wir haben Mitglieder nach den Aussichten ihrer Partei gefragt. Woran mangelt es der Linken? Welche Themen sollte sie besetzen?

Die Lage bei der Linken ist desolat, der Partei droht die Spaltung, der Fraktion die Auflösung. Grund für die tiefe Krise ist ein Richtungsstreit der Parteispitze mit der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht. Die Co-Vorsitzende der Fraktion, Amira Mohamed Ali, erklärte ihren Rückzug. Tage später verkündete auch Co-Chef Dietmar Bartsch, dass er Anfang September nicht erneut für den Posten kandidiert.

Wie sehen Linken-Politiker die Zukunft ihrer Partei? Wir haben nachgefragt.


Janine Wissler, Co-Vorsitzende der Linken

Die Linke hat eine stabile Basis aus motivierten Mitgliedern, aktiven Kreisverbänden und Fraktionen in den Parlamenten. Die sich überlappenden Krisen – soziale Spaltung, Wirtschaftskrise, Inflation, Klimakrise, Kriege und das Erstarken der Rechten – sind eine große Bedrohung, die nach grundlegenden Antworten verlangt.

Linken-Vorsitzende Janine Wissler

© Imago/Christian Spicker

Aufgabe der Linken ist es, eine klare Opposition zur verheerenden Politik der Ampel zu sein. Das Wählerpotential ist da. Wir müssen es wieder besser aktivieren. Viele Menschen haben den Eindruck, dass wir zu viel mit uns selbst beschäftigt sind. Innerparteilicher Streit überlagert oft die gute inhaltliche Arbeit, die in der Linken gemacht wird.

Wenn auf Parteitagen mit großer Mehrheit Entscheidungen gefällt werden, sollten diese auch gemeinsam nach außen vertreten werden. Eine Partei, die nach außen hin zerstritten erscheint, wird nicht gewählt. Das Kernanliegen der Linken ist Gerechtigkeit. Es geht um gute Arbeit, soziale Absicherung, Zugang zu Bildung, der nicht von der Herkunft abhängt, und eine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Um eine Gesellschaft, in der alle in Würde und niemand in Armut lebt.

Es geht um gleiche Rechte und den Kampf gegen jede Form der Unterdrückung. Die Linke setzt sich für friedliche Konfliktlösung ein, für Abrüstung und globale Gerechtigkeit. Die Klimakrise ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit, den Klimawandel zu begrenzen, wird nur möglich sein, wenn große Konzerne entmachtet und die Art des Wirtschaftens sozial und nachhaltig revolutioniert wird.


Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag

Selbstverständlich hat Die Linke die Chance, als einflussreiche Partei zu agieren. Die vielfach schlechte Politik der Ampel schreit geradezu nach einer starken Linken. Das Gute ist, wir haben es selbst in der Hand. Wir müssen uns auf unsere Kernthemen konzentrieren und die Selbstbeschäftigung einstellen.

Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken

© dpa/Britta Pedersen

Politik, Politik und nochmals Politik – das muss das Motto sein. Aktuell mangelt es meiner Partei leider an Geschlossenheit. Zerstrittene Parteien werden nicht gewählt. Das ist eine Binsenweisheit, die wir gerade mit voller Wucht spüren.

Wir brauchen ein Update von Strategie und Programm. Für wen machen wir Politik? Welche Themen stehen im Schaufenster? Unser Grundsatzprogramm ist zwölf Jahre alt. Klima, Migration, Krieg: Die Welt ist heute eine andere als 2011.

Linke sollten mehr lächeln und nicht alle Probleme der Welt in ihren Gesichtern tragen.

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag

Wir brauchen mittelfristig ein neues Grundsatzprogramm. Und dabei müssen wir unsere Strategie klären. Das muss der Parteivorstand leisten – gerade mit Blick auf die Wahlen im Osten 2024. Die Linke muss unmissverständlich wieder für die Menschen da sein, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Menschlichkeit, Solidarität, Freundlichkeit leben. Das ist mein Appell an die Partei. Das Soziale in einem weiten Sinn und die einfachen Leute müssen im Zentrum stehen. Das Ganze öfter mit einem Lächeln. Linke sollten mehr lächeln und nicht alle Probleme der Welt in ihren Gesichtern tragen.


Simone Oldenburg, Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern

Selbstverständlich hat Die Linke Chancen. Nicht nur das. Die Linke wird unbedingt gebraucht als deutliche Stimme für soziale Gerechtigkeit – als Stimme für jene, die nicht gehört werden.

Simone Oldenburg

© Imago/BildFunkMV

Leider stehen derzeit Streit und Hader im Vordergrund. Auch persönliche Eitelkeiten spielen eine zu große Rolle. Das muss ein Ende haben. Offenheit, Ehrlichkeit, Kompromissbereitschaft und vor allem das Miteinander sind das Gebot. 

Die Linke wird gebraucht, weil sie die einzige Partei ist, für die die soziale Frage im Mittelpunkt steht.

Simone Oldenburg, Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern

Selbstverständlich müssen wir unterschiedliche Meinungen aushalten, wir sind eine pluralistische Partei. Und das ist gut so. Nicht gut sind unversöhnlich gegenüberstehende Positionen, nicht gut sind Spekulationen über eventuelle Parteiabspaltungen und -neugründungen. Das schadet uns. Wir müssen im Gegenteil zusammenrücken und unsere Kräfte bündeln.

Die Linke wird gebraucht, weil sie die einzige Partei ist, für die die soziale Frage im Mittelpunkt steht. So sind für uns beispielsweise der Kampf gegen den Klimawandel und der erforderliche Umstieg auf erneuerbare Energien untrennbar mit der sozialen Frage verbunden. Klima- und Umweltpolitik geht nur sozial gerecht.

Die Linke wird gebraucht, weil sie sich als einzige Partei dem Frieden verpflichtet fühlt. Wir müssen unsere Kernthemen – Frieden, soziale Gerechtigkeit, Kampf gegen Armut und den Bildungsnotstand – in den Vordergrund rücken, um wieder authentisch zu sein und von den Menschen ernst genommen zu werden.


André Stahl, Bürgermeister von Bernau bei Berlin

Selbstverständlich hat Die Linke noch eine Chance! Die Lösung ist aus meiner Sicht auch gar nicht so schwer. Die politische Arbeit muss in den Fokus rücken. Persönliche Befindlichkeiten sollten dagegen hintenan gestellt werden.

André Stahl

© dpa/Soeren Stache

Die Linke muss endlich wieder mit den Themen als Partei wahrgenommen werden, für die sie eigentlich nie aufgehört hat zu kämpfen: eine konsequente Friedenspolitik und der unermüdliche Einsatz für die sozial Schwächeren in unserer Gesellschaft.

Faire Löhne, bezahlbarer Wohnraum, eine gute Versorgung unserer Kinder in den Kitas und Schulen oder Renten, von denen die Menschen nach einem langen Arbeitsleben auch selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Die Liste ließe sich noch deutlich verlängern. Bei den Herausforderungen, mit denen viele Leute heute im alltäglichen Leben zu kämpfen haben, braucht es eine starke linke Stimme in der politischen Landschaft. Und zu dieser Stimme müssen wir wieder werden.


Steffen Dittes, Fraktionschef im Landtag von Thüringen

Es gibt eine politische Notwendigkeit für die Existenz der Linken. In einer gesellschaftlichen Situation, in der einerseits Nationalchauvinismus und Demokratieverachtung immer höhere Zustimmung erfahren und die andererseits von einer Politik bestimmt wird, die eine Umverteilung öffentlicher Gelder zu privaten Gewinnen, Aufrüstung und Militarisierung anstatt Bekämpfung von Armut, solidarische Steuerpolitik und eine gerechten Volkswirtschafts- und Klimapolitik zu den Hauptschwerpunkten ihrer Leitentscheidungen gemacht hat, hat Die Linke die Verantwortung, Stimme des Protestes zu sein und zugleich konkrete Alternativen in die politische Debatte einzubringen.

Sowohl parlamentarisch als auch außerparlamentarisch. Wenn Die Linke diese Rolle ausfüllt, hat sie die Chance, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen.

Steffen Dittes

© PR

Im Moment kennzeichnet meines Erachtens die Linken als Partei zu viele Selbstzweifel und fehlendes Selbstbewusstsein, was ihre Wirksamkeit auch vor Ort über Mitglieder und Sympathisant:innen stark beschränkt. Ursache dafür sind zum Teil von Außen geführte, aber auch innerparteilich initiierte Darstellungen, dass Die Linke sich weder um die sozialen Probleme kümmert, noch nah bei den Menschen sei.

Es war nicht gelungen, mit Meinungsverschiedenheit im Sinne der Pluralität bei Anerkennung von Parteiprinzipien konstruktiv umzugehen.

Steffen Dittes, Fraktionschef im Landtag von Thüringen

Dies ist sicher falsch, aber Teil einer selbst mit verursachten Erzählung. Dazu kommt der damit im Zusammenhang stehende und seit Jahren lähmende Streit ,verschiedener Lager’, obwohl die Partei als Ganzes eine klare Programmatik und Beschlusslage hat und die Parlamentsfraktionen im Bund und in den Ländern entsprechend wirken.

Dabei hindert nicht nur der Streit die Wahrnehmung der Linken als solidarische und gerechte politische Alternative, sondern die zum Teil vertretenen Inhalte, da diese nicht nur von Beschlusslagen, sondern auch von einem linken politischen Selbstverständnis, wie meines Erachtens im Falle von Sahra Wagenknecht, abweichen.

Es war nicht gelungen, mit Meinungsverschiedenheit im Sinne der Pluralität bei Anerkennung von Parteiprinzipien konstruktiv umzugehen, sodass die heutige innerparteiliche Situation in Teilen sehr konfrontativ ist.


Özlem Demirel, Europaabgeordnete

Ja, Die Linke hat eine Zukunft, wenn sie mutig und klar den herrschenden Verhältnissen und Narrativen nachhaltige Antworten entgegensetzt. Sie braucht eine stringente Analyse der herrschenden Verhältnisse und folgend eine Strategie, wie sie diese verändern möchte. 

Ein klarer Kompass, der sie erdet und deutlich macht, auf wessen Seite sie steht – nämlich auf der der Lohnabhängigen und armen Menschen. Die Linke ist bereits relativ verankert, das muss stark ausgebaut werden. Dabei können die über 50.000 Mitglieder der Linken Garant dafür sein, diese Verankerung zu vertiefen.

Özlem Demirel

© Imago/Christian Spicker

Dazu braucht es ein Verständnis, dass die Partei ein Kollektiv ist, bei der jedes Mitglied mit seiner Aufgabe und Rolle einen elementaren Beitrag für das gemeinsame Ziel leistet. Dieses Ziel sollte möglichst nicht weniger sein, als die herrschenden Verhältnisse mit den sozialen Verwerfungen und den Kriegen in dieser Welt grundlegend etwas entgegenzusetzen.

Die Linke muss mutiger werden. Zu sagen, was ist, ist die revolutionärste Tat.

Özlem Demirel, Europaabgeordnete

Doch es braucht nicht den Moralismus als Methode, sondern den dialektischen Materialismus mit klarem moralischen Kompass gegen Ausbeutung und Ungleichheit.

Die Linke muss mutiger werden. Zu sagen, was ist, ist die revolutionärste Tat. Auch an ihrer Verankerung im täglichen Leben der Menschen muss sie weiterarbeiten, das heißt in den Betrieben und Stadtteilen müssen ihre Mitglieder sichtbar, greifbar und spürbar ein Motor für Verbesserungen sein.

Sie muss sich dabei der Twitterisierung der Politik, also der Orientierung an kurzfristigen, oberflächlichen Trends verweigern.

Die Linke besetzt bereits Themen, wie das Soziale, Frieden und den Kampf um Emanzipation. Sie muss das aber klarer, offensiver und unerschrockener machen: Sie muss unverkennbar die Kraft gegen Ausbeutung und Ausgrenzung aufgrund der ökonomischen Verhältnisse sein.

Die soziale Frage in all ihren Facetten, der Einsatz für Frieden, gegen Krieg und Militarismus in einer zunehmend auf allen Ebenen kriegerisch werdender Welt und die Emanzipation des Menschen, das sind die Grundpfeiler nachhaltiger linker Politik.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false