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Der frühere „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt, bei einem Fototermin im Rahmen einer Talkrunde.

© dpa/Tobias Steinmaurer

Julian Reichelt hat die Regierung gefährdet: Ministerin siegt vor Gericht gegen Journalisten

Dass „Entwicklungshilfe an die Taliban“ geflossen sein soll, ist keine Kritik, sondern eine falsche Tatsachenbehauptung, urteilt das Kammergericht.

Im Streit um Äußerungen des früheren „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt zur Entwicklungshilfe für Afghanistan hat Bundesministerin Svenja Schulze (SPD) vor dem Berliner Kammergericht einen Sieg eingefahren. Nach einem Beschluss des Gerichts vom Dienstag soll Reichelt es unterlassen, öffentlich zu behaupten, dass Regierungsgelder an die Taliban geflossen seien. Der Post Reichelts auf der Plattform „X“ sei „geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Bundesrepublik Deutschland bzw. des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und deren Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen“ (Az.: 10 W 184/23).

Reichelt hatte Ende August bei seinem „X“-Account auf einen Bericht seines Portals „Nius“ hingewiesen, wonach Deutschland wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan zahle. Dazu hieß es: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus.“

Schulze rügte eine „falsche Tatsachenbehauptung“

Entwicklungsministerin Schulze rügte eine „falsche Tatsachenbehauptung in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland“, da das Geld nur „regierungsfern“ an zivile Unterstützer gegangen sei und nicht an die Machthaber. Sie schickte Reichelt eine Unterlassungsforderung, die dieser ablehnte.

Das Landgericht Berlin hatte einen entsprechenden Antrag des Ministeriums noch abgewiesen. Es stufte Reichelts Satz als Meinungsäußerung ein, die als eine „nicht dem Beweis zugängliche und überspitzte Kritik zu verstehen“ sei (Az.: 27 0 410/23).

Schulze legte daraufhin Beschwerde ein. Das Kammergericht gab ihr nun Recht: Durchschnittliche Leser würden den Reichelt-Satz als Tatsachenbehauptung und so verstehen, als habe die Bundesrepublik die Zahlungen direkt an die „derzeitigen Machthaber in Afghanistan geleistet“.

Zahlungen an Weltbank oder Unicef sind gerade nicht unverständlich

Diese Sinndeutung würde durch den Nachsatz „Wir leben im Irrenhaus“ gestützt, hieß es. Denn eine Zahlung zugunsten der afghanischen Bevölkerung an Organisationen wie Weltbank oder Unicef lasse „den Schluss auf ein schlechthin unverständliches, geisteskrankes Verhalten der Regierung gerade nicht zu“.

Das Gericht betonte, dass auch juristische Personen des öffentlich Rechts, wie Bundesbehörden, zivilrechtlichen Ehrschutz in Anspruch nehmen könnten, wenn das Vertrauen der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit der Behörde gefährdet ist. So liege der Fall hier, denn: Durch Reichelts Worte bestünde „die Gefahr, dass bei der Bevölkerung der Eindruck entsteht, die Antragstellerin zahle Entwicklungshilfe an ein Terrorregime, das die Rechte der Bevölkerung mit Füßen tritt“.

Der Beschluss erging in einem Eilverfahren, Reichelt kann sich gegen die gerichtliche Verfügung nun mit einem Widerspruch wiederum an das Landgericht Berlin wenden. Sein Anwalt kündigte zudem mit Blick auf das Grundrecht der Pressefreiheit eine „verfassungsrechtliche Überprüfung“ an. Das deutet darauf hin, dass er kurzfristig eine Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Kammergerichts erheben will.

Der Fall ist der erste seit Bestehen der Ampelkoalition, in dem eine Regierungsbehörde einen Unterlassungsanspruch gegen öffentliche Äußerungen eines Journalisten durchgesetzt hat. Üblicherweise erlegen sich die Zuständigen hier Zurückhaltung auf, um den Eindruck zu vermeiden, sie nähmen auf diesem Weg Einfluss auf die unabhängige Presse.

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