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Holger Wöckel, neuer Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), sitzt im Verhandlungssaal.

© dpa/Uwe Anspach/Pool

Hinter den Kulissen von Karlsruhe: Wie ein deutscher Verfassungsrichter gemacht wird

Die Richterwahlen sollen im Grundgesetz verankert werden – aber wie kommen Kandidaten in der Praxis an diese Posten? Eine Spurensuche im Fall von Holger Wöckel, die bis ins Bundeskanzleramt führt.

In Sorge um die Widerstandskraft des Bundesverfassungsgerichts gegen Wahlerfolge der AfD wird in der Politik erwogen, die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz (GG) zu regeln. Geht es nach den Ampelfraktionen, sollen wohl auch die Verfassungsrichterwahlen im Grundgesetz stehen. Dort heißt es knapp: „Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt.“

Das Verfahren dazu steht im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Wichtigster Punkt: Das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit. Dieses Kriterium, so der Gedanke, könnte die AfD ändern, wenn sie im Parlament eine regierungsfähige Mehrheit führt. Im Grundgesetz wäre das Verfahren besser geschützt, denn das GG kann ebenfalls nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden.

In der Praxis führt die Zweidrittel-Regelung dazu, dass Verfassungsrichterposten nach Parteiproporz ausgehandelt und vergeben werden – und die AfD trotz ihrer zehn Prozent im Bundestag bisher außen vor bleibt. Richterwahlen sind selten ein größeres Thema. Öffentlichkeit gilt als schädlich. Sind die eingeübten Praktiken es wert, ins Grundgesetz überführt zu werden?

Wichtig für den Ministerpräsidenten war ein Kandidat, der aus Ostdeutschland kommt.

Ein Sprecher von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU)

Ein Beispiel, wie Bürgerinnen und Bürger das Personal am Karlsruher Gericht meist ohne jede Diskussion und oft sehr kurzfristig vorgesetzt bekommen, ist die einstimmige Wahl des früheren Bundesverwaltungsrichters Holger Wöckel zum neuen Richter am Bundesverfassungsgericht am 15. Dezember im Bundesrat.

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Offiziell ein erst tags zuvor mitgeteilter Vorschlag von Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU). Doch tatsächlich ein längerfristiges Projekt von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der die Wahl des im sächsischen Chemnitz geborenen Juristen als „deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte“ pries.

Harbarth hat öfter Anfragen aus der Politik zu Kandidaten

Bisher unbekannt war, dass Kretschmer noch einen weiteren Akteur an der Personalfindung beteiligte: den langjährigen CDU-Bundestagsabgeordneten und heutigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth. Kein verbotenes, aber durchaus ein Zusammenspiel, das kritisch gewürdigt werden kann. Schließlich soll die Politik die Personalwahl nicht davon abhängig machen, wer dem Gericht gefällt und wer nicht.

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen. Zu seinen persönlichen Gesprächen mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts möchte er nichts sagen.

© dpa/Robert Michael

Doch offenbar ist das Bundesverfassungsgericht stärker in die Gewinnung des Richterpersonals eingespannt, als man bisher wusste. Harbarth erklärte, er bekomme öfter solche Anfragen aus der Politik. Darzulegen, wie oft er zu- oder abgeraten habe, sei indes „nicht möglich“.

Zugeraten hat Harbarth bei Wöckel. Der Gerichtspräsident hatte frühzeitig erfahren, dass der Leipziger Bundesrichter als Anwärter auf einen Karlsruher Posten gehandelt wurde. Von wem, lasse sich nicht rekonstruieren, heißt es. Fest steht, dass sich später Sachsens Regierungschef bei Harbarth meldete, um zu fragen, ob Wöckel geeignet sei – was Harbarth bejahte. Es gab dazu wohl mehrere Gespräche zwischen den beiden. Danach dürfte Wöckel als Kandidat festgestanden haben.

Gerichtspräsident Stephan Harbarth bekam eine Personal-Empfehlung von höchster Stelle – aus dem Kanzleramt.

© dpa/Uli Deck

Seinen Zuspruch gab der Gerichtspräsident in voller Überzeugung, denn er kannte Wöckel und seine Arbeit. Harbarth hatte sich den Richter als wissenschaftlichen Assistenten für sein Dezernat ausgesucht, aufgrund einer ungewöhnlichen Empfehlung von höchster Stelle – aus dem Bundeskanzleramt.

Der Tippgeber war Merkels Manager in der Flüchtlingskrise

Dort agierte in jener Zeit ein Mann, der selten in den Medien war, aber auf die Geschicke der Bundesrepublik einigen Einfluss nahm. Es handelte sich um den inzwischen verstorbenen Juristen Jan Hecker. Er galt als Angela Merkels Manager in der Flüchtlingskrise und wurde einer ihrer engsten politischen Vertrauten.

Natürlich hat das Kanzleramt heute offiziell keine Informationen zu Heckers Initiative aus dem Jahr 2018 – sie war gewissermaßen privat und verweist auf Verflechtungen zwischen Gericht und Regierung, die selten sichtbar werden. Auf die Frage, ob solche Personalvorschläge zur Praxis des Kanzleramts und seinen Mitarbeitern gehört, heißt es klar: Nein.

Gleichwohl war Heckers Initiative erfolgreich. Ohne sie säße Wöckel – an dessen fachlichem Können es keinen Zweifel gibt – heute wohl kaum auf seinem Posten. Nähe und persönliches Vertrauen zählen, auch im gewaltengeteilten Staat.

Die Politik mauert, das Gericht öffnet sich

Wenig an diesen Vorgängen wäre kritikwürdig, so lange sie offen gelegt und nicht verschleiert werden. Letzteres jedoch kann man Sachsens Ministerpräsident vorwerfen, der konkrete Anfragen nach seinen Harbarth-Kontakten im vergangenen Jahr mit der Floskel beantworten lässt, er habe „im Vorfeld einer so wichtigen Entscheidung viele Gespräche geführt“ – und Nachfragen ignoriert.

Ähnlich verhält es sich bei Hessens Ministerpräsident Boris Rhein, der konkrete Fragen, wann und wie genau es zum Kandidaten Wöckel kam, schlicht übergeht. Er habe sich „von den Grundsätzen der Eignung, Leistung und Befähigung des Kandidaten leiten lassen“, heißt es aus seiner Staatskanzlei.

So macht die Politik aus ihrem Wirken im Vorfeld der Richterwahl – wie üblich – ein Geheimnis. Anders der Präsident des Bundesverfassungsgerichts selbst. Er lässt mitteilen, dass zwar „kein Rechtsanspruch auf eine Beantwortung bestehen dürfte“, schildert dann aber auf Tagesspiegel-Anfragen wesentliche der ihm bekannten Hintergründe, wie sie hier wiedergegeben sind.

Öffentliche Diskussionen können auch bei der Richterwahl eine Rolle spielen

Ein eher überraschendes Manöver. Möglich, dass sich das Karlsruher Gericht von der Heimlichtuerei abgrenzen will, die in der Politik um das Karlsruher Richterpersonal getrieben wird.

Dabei kann die Öffentlichkeit auch bei Verfassungsrichterwahlen eine Rolle spielen. Zuletzt tat sie dies, als der frühere bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) nach Karlsruhe geschickt werden sollte – bis herauskam, dass er in seiner Dissertation CSU-inkompatible Meinungen zum Wahlrecht vertrat. Stattdessen gelangte der damalige Generalbundesanwalt Peter Frank ins Richteramt.

Auch die Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht bedürfen demokratischer Legitimation. Dazu gehört, dass über den bloßen Wahlakt hinaus nachvollziehbar ist, wie sie es werden konnten. In Karlsruhe scheint es, hat man das Defizit erkannt.

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