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Debatte im Bundestag

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Update

Zwei Vorschläge im Bundestag: So könnte die Sterbehilfe in Deutschland neu geregelt werden

Seit 2020 ist die Sterbehilfe in Deutschland nicht mehr gesetzlich geregelt – das soll sich nun ändern. Bei der Abstimmung ist der Fraktionszwang aufgehoben.

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Soll jemand, der sich aus dem Leben verabschieden möchte, dabei legal von außen unterstützt werden dürfen? Ja, befand das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im Jahr 2020 – und kippte das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe.

Der Passus des Paragraf 217 Strafgesetzbuch, demzufolge die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe gestellt worden war, wurde gestrichen. Er verletze das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben, hieß es damals in der Begründung. Seitdem klafft dort eine Lücke.

Immer wieder war das Projekt verschoben worden, schon die letzte Regierung hatte die Neuregelung auf der Agenda, im vergangenen Jahr machte der Ukrainekrieg der Ampel einen Strich durch die Rechnung.

Nun soll noch in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause ein neues Gesetz verabschiedet werden, zur Debatte stehen mehrere Entwürfe, wie bei ethischen Fragen üblich, parteiunabhängiger Abgeordnetengruppen. Aus drei Gesetzesentwürfen, über die zuletzt im Parlament debattiert wurde, sind nun zwei geworden.

Es stehen nur noch zwei Gesetzesentwürfe zur Debatte

Die beiden liberaleren Gesetzesentwürfe um die Politikerinnen Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) sind zu einem verschmolzen, um ihre Chancen gegenüber dem Entwurf der Abgeordnetengruppe um den SPD-Politiker Lars Castellucci zu verbessern. Eine Entscheidung wird am 6. Juli erwartet.

Geht es nach Castellucci, so soll die Sterbehilfe wieder im Strafrecht verankert werden, die geschäftsmäßige, also organisierte Sterbehilfe grundsätzlich verboten sein. Nur in Ausnahmen, wenn bestimmte Beratungspflichten und Wartezeiten erfüllt sind, soll sie erlaubt sein.

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Der Entwurf sieht als Ausnahmeregelungen mindestens zwei Untersuchungen durch Fachärztinnen beziehungsweise Fachärzte für Psychiatrie oder Psychotherapie sowie mindestens eine weitere Beratung vor. Verstöße sollen mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet werden können.

„Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir den assistierten Suizid ermöglichen und nicht fördern“, sagte Castellucci dem Tagesspiegel. Aus der Forschung sei bekannt, dass Suizidgedanken sehr häufig vorkämen, jedoch schwankten. „Meist wollen die Menschen schlicht nicht so weiterleben, wie es sich für sie gerade darstellt.“

Ich will in einer Welt leben, in der alle Menschen ihren Platz haben und niemand sich überflüssig oder als Last empfinden soll.

Lars Castellucci, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat der SPD-Bundestagsfraktion.

Normalisierte sich der assistierte Suizid, so hätte das Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft, meint Castellucci. „Der Druck auf verletzliche Gruppen, vor allem Ältere, würde steigen.“ Er wolle in einer Welt leben, „in der alle Menschen ihren Platz haben und niemand sich überflüssig oder als Last empfinden soll.“

Der liberalere Entwurf sieht vor, Sterbewilligen den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten zu ermöglichen, wenn sie zuvor eine Beratung in Anspruch genommen haben. Ausnahmsweise „wenn sich jemand in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen“ befindet, solle ein Arzt auch ohne Beratung die Mittel verschreiben dürfen.

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Ein Anspruch darauf solle aber nicht erwachsen. Findet sich kein Arzt, der zur Verschreibung der Mittel bereit ist, soll die im jeweiligen Bundesland zuständige Behörde entscheiden.

Sehr viele Menschen sagten zu Recht, dass sich der Staat in ihr Lebensende nicht einmischen solle, sagte Renate Künast dem Tagesspiegel. „Sie entscheiden diese Frage selbst, genau das wollen wir mit unserem Antrag respektieren.“

Unser Entwurf beinhaltet einen ausgewogenen Ausgleich zwischen der Gewährleistung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben auf der einen und dem Schutz Suizidwilliger vor übereilten und nicht autonom gebildeten Suizidentscheidungen auf der anderen Seite.

Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion.

Der gemeinsame Gesetzentwurf sei die beste Chance, dass Betroffene einen würdigen und zumutbaren Zugang zu Hilfe erhielten. „Aber als Erstes sollen sie in eine fachliche Beratung kommen, die ihnen Alternativen aufzeigt und gegebenenfalls in andere Hilfe vermittelt.“

Der Entwurf beinhalte einen ausgewogenen Ausgleich zwischen der Gewährleistung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben auf der einen und dem Schutz Suizidwilliger vor übereilten und nicht autonom gebildeten Suizidentscheidungen auf der anderen Seite, hebt Katrin Helling-Plahr im Gespräch mit dem Tagesspiegel hervor.

Wenn ich mit den Menschen spreche, die assistierten Suizid begehen wollen, sind das oft Menschen, die Angst vor dem Sterben haben, Leiden, Würdeverlust. Mit den heutigen Möglichkeiten ist da eine gute Linderung möglich.

Ute Lewitzka, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention

Täglich erreichten sie Nachrichten zu dem Thema, „berührende, manchmal tragische Schicksale, die uns daran erinnern, dass dieses Thema nicht nur eine juristische oder politische Diskussion ist, sondern vor allem eine menschliche.“

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Ute Lewitzka, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, ist mit beiden Vorschlägen unzufrieden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 habe sie schockiert, sagt sie dem Tagesspiegel.

350
Menschen in Deutschland haben im Jahr 2021 in Deutschland begleitete Sterbehinfe in Anspruch genommen.

„Wenn ich mit den Menschen spreche, die assistierten Suizid begehen wollen, sind das oft Menschen, die Angst vor dem Sterben haben, Leiden, Würdeverlust. Mit den heutigen Möglichkeiten ist da eine gute Linderung möglich. Mir fehlt es da an einer differenzierten Diskussion.“

Immer wieder höre sie, dass alte Menschen sterben wollen, weil sie ihren Kindern nicht auf der Tasche liegen, kein Ballast sein wollten. „Ich kann das schwer aushalten. Wir grenzen aus, Gebrechen sind uns unangenehm. Ketzerisch gesagt sind assistierte Suizide günstiger, als Heime so auszustatten, dass man dort in Würde leben und sterben kann.“

Am ehesten anfreunden kann sie sich mit dem Gesetzesentwurf von Lars Castellucci, was sie aber vor allem fordert: Ein Suizidpräventionsgesetz.

„Was wir brauchen, ist eine gute ergebnisoffene Beratung, die sich Zeit nimmt. Ich habe immer wieder Patient:innen, die einen Suizidversuch überlebt haben und froh darüber sind. Dass wir Menschen eine Methode an die Hand geben zu sterben, statt ihnen zu helfen, es zu verhindern, bereitet mir Sorgen.“

Patientenschützer äußern Kritik

Auch Patientenschützer warnen vor einer gesetzlichen Regelung für eine organisierte Sterbehilfe. Die Selbstbestimmung der Sterbewilligen und ihr Schutz vor Fremdbestimmung seien viel zu komplex, um sie in Paragrafen zu pressen, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, dem Tagesspiegel.

„Darüber hinaus besteht dann die Gefahr, dass zu den 10.000 sogenannten harten Suiziden mindestens 20.000 organisierte jährlich hinzukommen.“ Brysch hält es für einen Irrglauben, dass autonome Entscheidungen durch Pflichtberatungen allgemeingültig überprüfbar seien. Im Jahr 2021 hatten 350 Menschen begleitete Sterbehilfe in Anspruch genommen.

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