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Die Schuldenuhr tickt.

© Imago/dts Nachrichtenagentur

Eine Bremse gegen wachsende Zinslasten: Warum die Einhaltung der Schuldenbremse sinnvoll ist

Coronakrise, Energiekrise, Klimakrise, Haushaltskrise – und demnächst die Polykrise? Wer die Schuldenregel so untergraben will, landet am Ende in der Zinskrise.

Ein Essay von Albert Funk

Das Karlsruher Schuldenbremsen-Urteil mag ein Schock für die Ampelkoalition und einige Landesregierungen sein, die nun das Problem haben, ihren Verfassungsbruch – und darum geht es – zu bereinigen.

Aber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist kein giftiger Pfeil gewesen, der unvorbereitete Politiker hinterrücks getroffen hat.  

Die Richter haben nur in ihr Urteil geschrieben, was viele Rechnungshöfe in Bund und Ländern schon länger sagen zum Wirtschaften mit Sondervermögen (also Nebenhaushalten) und deren Finanzierung über Notlagenkredite.

Im Grunde hat die eine Kontrollinstanz in Karlsruhe also nur betont, was die andere Kontrolleinrichtung – eben die Haushaltsprüfer – immer wieder vorgebracht hat: Dass die Spieler in der Politik nicht die Regeln missachten dürfen, welche die Verfassung vorgibt.

Die Haushaltsgrundsätze gelten, und zwar immer. Nicht zuletzt die Prämisse, dass Etats stets nur für ein Jahr gelten sollen. Diese Regel hat immer schon dazu gedient, die Macht der Exekutiven einzuhegen und den Parlamenten ihre Haushaltshoheit zu erhalten. Die Schuldenbremse im Grundgesetz ist nun vom Verfassungsgericht eng an diese Grundsätze gebunden worden.

Nach dem Regelverstoß die Regeln ändern?

Für Politiker, die im Regelverstoß kein größeres Problem sehen, ist das unangenehm. Und die finden sich in allen Parteien. Was fordern sie also? Die Änderung der Regeln, gegen die man nicht verstoßen soll. Nichts anderes versteckt sich hinter der Debatte um eine Abschaffung oder zumindest Reform der Schuldenbremse.

Natürlich ist dieses Instrument nicht sakrosankt. Es hat keine Ewigkeitsgarantie. Aber eine Schuldenregel sollte schon sein. Deutschland ist da auch nicht allein. In mehr als hundert Staaten weltweit gibt es Regelungen zur Begrenzung der Verschuldung. Die Europäische Union hat eine, die allerdings von mehreren Mitgliedstaaten ignoriert wird. Aber es gibt sie, und zwar zu Recht.

Unabhängig von der Konstruktion ist das Vorhandensein von festen Schuldenbegrenzungsregeln allein schon ein Stabilitätssignal, das zu einer berechenbaren Haushaltspolitik beiträgt und einer ja stets für begrenzte Zeit gewählten Regierung nicht erlaubt, durch eine exzessive Verschuldung Spielräume einzuengen.

Man kann anpassen

Man kann natürlich darüber streiten, wie die Grundgesetzregel verändert werden kann. Eine erhöhte Regelverschuldung für den Bund, die derzeit bei 0,35 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts liegt, ist im Gespräch. Vorstellbar wäre auch eine entsprechende Regelverschuldung für die Länder, die das bei der Einführung der Schuldenbremse für sich abgelehnt haben.

Im System lässt sich da einiges anpassen, um Wünschen in der Politik nach einer dauerhaft höheren Nettokreditaufnahme zu entsprechen. Es muss dafür aber eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag geben. Union und FDP tun vorerst so, als ob da gar nichts ginge. Warten wir ab. Aber sicher ist, dass mit ihnen nur moderate Schritte möglich sein werden.

„Multiple Krise“

Um die Aushöhlung der Schuldenbremse, deren Komplettrevision, ja um Abschaffung sollte es ohnehin nicht gehen. Auch nicht um die nächsten Umgehungsmöglichkeiten. In diese Kategorie gehört zum Beispiel die Äußerung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen, der nun von einer „Polykrise“ spricht, in der wir angeblich stecken. Ähnlich klingt es bei SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, und die „multiple Krise“ von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) geht auch in diese Richtung.

Was hier konstruiert werden soll, ist offenkundig: die Dauerkrise als permanente Notlage, welche die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse zur Normalfallregel machen soll. Was die Rechtfertigung liefern soll, sich generell von Schuldengrenzen lösen zu dürfen, hinein in die dauerhafte Kreditfinanzierung von allen möglichen Anliegen.

Da wird nicht zuletzt der Klimaschutz angeführt (das bequemste Argument für eine Dauerkrise), aber auch die Dringlichkeit von Industriepolitik im internationalen Wettbewerb, die Konjunkturankurbelung oder die Tatsache, dass manche konkreten Notlagen zweifellos auf Jahre hinaus Mittel binden.

Was sind Notlagen?

Aber der erste dieser Gründe, also der Klimaschutz, war und ist eine Daueraufgabe der Politik (so wie soziale Sicherheit, militärischer Schutz, Datenschutz oder Verbraucherschutz). Der nächste ist eine Ermessenssache, keine dauerhafte Notlage, der dritte ist in guten Wirtschaftslagen obsolet und der vierte lässt sich mit der Schuldenbremse in der aktuellen Form leicht handhaben, wie die Ampel im Nachtragsetat für 2023 mit Blick auf die Ahrtalflut nun gezeigt hat. Nach dem Karlsruher Urteil gelten für die Begründung einer Notlage nun höhere Anforderungen – Polykrise dürfte schwierig werden.

Von einigen Ökonomen, Jens Südekum zum Beispiel oder Marcel Fratzscher, wird nun gefordert, man müsse die Schuldenregel anders gestalten, weil sie schlecht konstruiert sei. Sie sei blind für die Zwecke, die über Kredite finanziert werden sollen. Vorgeschlagen wird die Rückkehr zur alten Schuldenbremse, auch als „goldene Regel“ bekannt. Die band die Höhe der Nettokreditaufnahme an die Investitionen in einem Etat. Jetzt soll sie als „grün-goldene Regel“ reanimiert werden.

Ungebunden, aber auch blind?

Die Schuldenbremse im Grundgesetz ist tatsächlich ungebunden. Sie schreibt der Politik nicht vor, wofür sie Kredite aufnehmen darf, sondern nur wie viele. Und genau deswegen wurde sie auch eingeführt. Denn als sie 2009 beschlossen wurde, hatte sich viel Kritik an der „goldenen Regel“ aufgebaut.

Denn was sind Investitionen? Vor allem Baumaßnahmen, Straße, Bahn, Hochbau, wie man klassischerweise annahm? Oder auch Bildungsausgaben? Dieses Argument wurde modern, als man mehr Kreditmöglichkeiten schaffen wollte. Der Streit um die Definition des Investitionsbegriffs war lähmend. Die dafür blinde Schuldenbremse zu schaffen, war somit eine nachvollziehbare Entscheidung. Wer zur alten Regel zurückkehren möchte, macht nur den alten Streit wieder auf.

Schuldenbremse als „Steuersenkungsbremse“

Im Übrigen galt die Schuldenbremse bei ihrer Einführung – nicht zuletzt bei SPD und Grünen – als eine Steuersenkungsbremse. Wer „Steuern runter“ ruft, um das Loch dann einfach mit Krediten zu stopfen, hat es seit 2009 noch schwerer als zuvor.

Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass der arbeitgebernahe Ökonom Michael Hüther unter anderem deshalb gegen die Schuldenbremse anschreibt, weil auch er sie als Steuersenkungsbremse sieht. Neuerdings laden ihn die Grünen als Sachverständigen in den Bundestag.

2,5
Billionen Euro hoch sind die deutschen Staatsschulden etwa.

Steuererhöhungen dagegen verhindert die Schuldenbremse nicht. Und sie ist auch eine Bremse gegen wachsende Zinslasten. Denn eine nicht gedeckelte Verschuldung erhöht diesen Haushaltsposten zwangsläufig.

Der Staat tilgt üblicherweise seine Kredite nicht, sondern löst sie bei Laufzeitende ab über die Ausgaben neuer Anleihen. Die Ausnahme: Nach der Schuldenbremse im Grundgesetz müssen Notlagenkredite getilgt werden, aber weder sofort noch auf einen Schlag. Das soll den Eifer zügeln, über Notlagenschulden auch andere Zwecke zu finanzieren.

Zinslasten wachsen

Doch ob nun mit oder ohne Tilgung – jeder neue Kredit erhöht die Zinsausgaben in künftigen Etats. Das mag in der Niedrig- und Nullzinsphase kein größeres Problem gewesen sein, aber die ist nun erst einmal vorbei. Wie hoch der durchschnittliche Zins sein wird, den der deutsche Staat in den kommenden Jahren bieten muss, ist unklar. Aber er dürfte zunächst einmal wieder höher sein als im Jahrzehnt vor 2022.

Die Staatsschulden der Bundesrepublik liegen derzeit bei etwa 2,5 Billionen Euro. Bei dem aktuellen Zinsniveau ist das eine dauerhafte Zinslast in Höhe von etwa 70 Milliarden Euro jährlich. Den Großteil hat der Bund zu finanzieren. Über die Schuldentragfähigkeit der globalen Staatenwelt diskutieren die Ökonomen seit Jahren.

Deutschland steht da mit einer Schuldenhöhe von mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sicher besser da als etwa Frankreich, Italien oder die USA, wo diese Quote bei deutlich mehr als 100 Prozent liegt.

Oder von Japan. Wo es fast 250 Prozent sind. Dort wird die Zinslast irgendwann zu einem massiven Problem werden. Neue Kredite könnten dann mehr allein zum Finanzieren von Projekten und Investitionen dienen, sondern auch zum Finanzieren von Zinszahlungen. Ob die Schuldenbremse, um es etwas spitz zu formulieren, eine Zinsnotlage zuließe, ist bisher nicht diskutiert worden.

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