zum Hauptinhalt
Eine moderne strategische russische Atomrakete vom Typ Topol-M (Nato-Code: SS-27 Sickle B) fährt im Mai 2011 bei der Militärparade zum Tag des Sieges über den Roten Platz in Moskau. 

© picture alliance / dpa | Yuri Kochetkov

Russische Strategie der „Eskalation zur Deeskalation“: Mutmaßliche Geheimdokumente zum Atomwaffen-Einsatz geleakt

Öffentlich gewordene Dokumente konkretisieren die Schwelle für den Einsatz russischer taktischer Nuklearwaffen. Demnach würden sie bereits beim Verlust von drei Kreuzern zum Einsatz kommen.

In seiner Rede zur Lage der Nation am Donnerstag sprach Putin davon, dass sich die nuklearen militärischen Möglichkeiten Russlands „um ein Vielfaches“ erhöht hätten. Die Nuklearstreitkräfte befänden sich in einem „Zustand völliger Bereitschaft“. Die „Financial Times“ hat nun Zugriff auf russische Geheimdokumente aus den Jahren 2008 bis 2014 erhalten, in denen offenbar die Bedingungen für einen Atomschlag definiert werden.

„Dies ist das erste Mal, dass wir solche Dokumente veröffentlicht sehen. Sie zeigen, dass die operative Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen ziemlich niedrig ist“, wird Alexander Gabuev, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin, zum Inhalt der Dokumente zitiert.

In welchen Fällen Russland Atomwaffen einsetzen würde

Dass Russland, wie auch jede andere Atommacht, bei einer drohenden konventionellen Niederlage Nuklearwaffen einsetzen würde, ist Teil der offiziellen Militärdoktrin des Landes. Doch in den nun ausgewerteten Dokumenten wird die Schwelle für einen Einsatz taktischer Nuklearwaffen laut Financial Times definiert als ein militärischer Rückschlag, der „unwiderruflich dazu führen würde, dass es der russischen Armee nicht gelingt, eine größere feindliche Aggression zu stoppen“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Russlands taktische Atomwaffen sind im Vergleich zu den strategischen Atomwaffen weniger weitreichend und verheerend und für einen begrenzten Einsatz in Europa und Asien konzipiert. Die strategischen Atomwaffen dagegen sind für eine völlige Zerstörung der Vereinigten Staaten konzipiert.

Dem Bericht zufolge würde die russische Armee ihre taktischen Waffen bei einer feindlichen Landung auf russischem Hoheitsgebiet, einer Niederlage von Einheiten, die für die Sicherung der Grenze zuständig sind, oder einem unmittelbar bevorstehenden feindlichen Angriff mit konventionellen Waffen einsetzen.

„Die Geheimpapiere definieren eine Schwelle, die niedriger ist, als Russland öffentlich zugegeben hat“

Als konkrete Situationen nennt das Papier laut Financial Times weiter den Verlust von 20 Prozent der strategischen U-Boote mit ballistischen Raketen, drei oder mehr Kreuzern, drei militärischen Flugplätzen oder einen gleichzeitigen Treffer auf die Haupt- und Reserve-Kommandozentralen der Marine.

„Die von der ‘Financial Times’ eingesehenen Geheimpapiere definieren eine Schwelle für den Einsatz taktischer Nuklearwaffen, die niedriger ist, als Russland öffentlich zugegeben hat“, heißt es in dem Bericht.

Zwar seien die im Geheimpapier definierten konkreten Grenzen neu, doch die grundsätzliche Doktrin einer niedrigschwelligen nuklearen Eskalation ist es nicht. Manche westliche Beobachter bezeichnen sie als „Eskalation zur Deeskalation“.

Im Rahmen dieser Strategie könne Moskau taktische Nuklearwaffen in einem begrenzten Bereich einsetzen, um die potenziellen Gegner davon abzuschrecken, in einen Krieg einzugreifen. Ein solcher begrenzter und frühzeitiger Einsatz der eigenen Atomstreitkräfte könnte demnach den Gegner „schockieren“ und den Krieg vorzeitig in Russlands Interesse beenden.

Doch es dürfte in Russland Interesse liegen, seine Gegner glauben zu lassen, dass man zu einem solchen niedrigschwelligen Nuklearschlag bereit wäre. Die Ukraine und viele westliche Unterstützer argumentieren, dass Russland allein durch diese im Raum stehende Drohung den Westen davon abhalte, das angegriffene Land entschieden zu unterstützen.

Auch ein nuklearer Konflikt mit China wird diskutiert

In dem Papier wird zugleich auch ein potenzieller Konflikt mit China diskutiert. „Wir sehen, dass Russland weiterhin seine nuklearen Raketen im Fernen Osten nahe seiner Grenze zu China verstärkt“, sagte William Alberque, Direktor für Strategie, Technologie und Rüstungskontrolle am Internationalen Institut für Strategische Studien, der Zeitung.

Diese Grenzsicherung sei aber schon immer Teil der russischen Doktrin und ein grundsätzliches Umdenken sehe er nicht. Doch Russland sei besorgt, dass China versuchen könnte, die Ablenkung durch den Konflikt in der Ukraine auszunutzen, „um die Russen aus Zentralasien zu vertreiben“.

Putins Sprecher sagte am Mittwoch zu dem Bericht: „Die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen haben wir immer transparent gemacht. Was die erwähnten Dokumente betrifft, so bezweifeln wir deren Echtheit stark.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false