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 Licht der Hoffnung? Eine Frau auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew. 

© Getty/Jeff J. Mitchell

Exklusiv

Auch bei russischem Nuklearschlag: 89 Prozent der Ukrainer wollen unter allen Umständen weiterkämpfen

Die große Mehrheit schließt eine Kapitulation gegenüber Russland aus – und betrachtet die Krim als unverzichtbar. Das zeigt eine Umfrage der Münchner Sicherheitskonferenz.

Mit der Entscheidung der Bundesregierung, Kampfpanzer in die Ukraine zu liefern, hat auch in Deutschland die Debatte über die genauen Ziele und möglichen Risiken dieser Politik an Fahrt aufgenommen. Dabei wird erstaunlich wenig danach gefragt, wie die Ukrainerinnen und Ukrainer selbst darüber denken.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat erst jüngst betont, man werde „nicht der Ukraine mitteilen, was ihre Zielsetzungen zu sein haben. Wir werden nicht über den Kopf der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg handeln.“

Aber selbst einige, die meinen, im ukrainischen Interesse zu handeln, wissen kaum, wie die Bevölkerung in der Ukraine auf mögliche Eskalationsgefahren, Bedingungen für einen Waffenstillstand oder auch langfristige Sicherheitsgarantien blickt.

Für ihren jährlichen „Munich Security Report“ hat die Münchner Sicherheitskonferenz aus diesem Grund erstmals eine repräsentative Umfrage in der Ukraine in Auftrag gegeben. Sie wurde von der Kommunikationsagentur Kekst CNC mit lokalen Partnern über mehrere Wochen im November 2022 durchgeführt, um auch unter Kriegsbedingungen zu belastbaren Ergebnissen zu kommen.

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Eine andere Sichtweise als die deutsche

Die erstaunlichen Ergebnisse zeichnen das Bild einer Gesellschaft, die dem russischen Angriff sowohl mutig als auch geeint trotzt und zuversichtlich in die Zukunft schaut. Ihre Sichtweise auf den Krieg unterscheidet sich aber teils sehr deutlich von der deutschen.

Besonders eindrücklich wird dies bei der Beurteilung des Risikos eines russischen Atomschlags, das in der deutschen Debatte – und wohl auch in der Entscheidungsfindung des Bundeskanzlers – eine zentrale Rolle spielt.

Konfrontiert mit mehreren hypothetischen Szenarien, zeigen sich die Befragten in der Ukraine erstaunlich unbeeindruckt von Moskaus Drohungen, obwohl die Menschen dort die ersten Opfer eines russischen Nuklearschlags wären.

Ein russischer Einsatz taktischer Atomwaffen ist für die überwältigende Mehrheit kein Grund, den Widerstand einzustellen. 89 Prozent der Befragten geben an, selbst im Falle eines nuklearen Angriffs auf eine ukrainische Stadt weiterkämpfen zu wollen. Offenbar gewichten sie das Risiko, das mit einem Nachgeben verbunden wäre, deutlich höher als eine mögliche nukleare Eskalation.

Auch die Frage nach akzeptablen Bedingungen für einen Waffenstillstand mit Russland führt zu klaren Antworten: Für 85 Prozent der Befragten wäre ein Rückzug Russlands auf die Demarkationslinie zu Beginn des Angriffskrieges keine akzeptable Grundlage für einen Waffenstillstand.

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Acht von zehn Befragten würde auch ein über diese Linie hinausgehender Rückzug russischer Truppen nicht ausreichen, sofern die Krim weiterhin von Russland besetzt bliebe. Für die große Mehrheit ist damit die Wiederherstellung der Souveränität über das gesamte ukrainische Territorium Voraussetzung für einen Waffenstillstand und Verhandlungen.

Obwohl sich die Bundesregierung für die Anerkennung der Ukraine als EU-Beitrittskandidat stark gemacht hat, hat sie bisher vermieden, detailliert zu langfristigen Sicherheitsgarantien für die Ukraine oder einer Nato-Mitgliedschaft Stellung zu beziehen. 75 Prozent der für den „Munich Security Report“ Befragten glauben, dass die Ukraine ohne westliche Sicherheitsgarantien niemals vor Russland sicher sein wird.

72
Prozent der Befragten wünschen sich langfristige Waffenlieferungen.

Für 72 Prozent bedarf es langfristiger Waffenlieferungen des Westens. Etwa zwei Drittel der Befragten sind davon überzeugt, dass ihr Land außerhalb der Nato nie sicher sein wird. Eine klare Mehrheit vertraut den USA und der Nato eher, ihr Land zu verteidigen, als der EU.

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Neben der moralischen Verpflichtung, die Perspektive der Opfer des russischen Angriffskriegs zu berücksichtigen, sprechen auch strategische Gründe dafür, der Haltung der ukrainischen Bevölkerung mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Natürlich darf sich Deutschlands Strategie nicht ausschließlich an der öffentlichen Meinung in der Ukraine orientieren – so wie auch eine unkritische Ausrichtung an Meinungsumfragen in Deutschland unangemessen wäre. Zudem hegt die ukrainische Öffentlichkeit möglicherweise unrealistische Vorstellungen davon, was militärisch und politisch möglich ist.

Kaum Friedenslösungen

Aber die Haltung der ukrainischen Bevölkerung beeinflusst nicht nur den Kriegsverlauf, sondern beschränkt auch das Menü belastbarer Friedenslösungen. Zum einen ist der Zusammenhalt der ukrainischen Bevölkerung, vereint im Willen, die eigene Demokratie gegen den autokratischen Revisionismus Russlands zu verteidigen, ein wesentlicher Grund für die erstaunliche Widerstandskraft der Ukraine.

Der Ausgang des Krieges wird daher wohl auch davon abhängen, ob diese Entschlossenheit gewahrt werden kann, wenn eigene Ziele möglicherweise nicht erreicht werden können. Zum anderen hängt auch der Handlungsspielraum der ukrainischen Regierung von der öffentlichen Meinung ab.

Im kommenden Jahr sollen sowohl in Russland als auch in der Ukraine Präsidentschaftswahlen stattfinden. Wenn Wolodymyr Selenskyj Präsident bleiben möchte, ist er in der Definition seiner Verhandlungsziele weit weniger frei als sein autokratischer Gegenspieler im Kreml.

Wer es mit dem Mantra ernst meint, dass nichts über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer entschieden werden darf, tut gut daran, genau zuzuhören und die öffentliche Meinung in politischen Entscheidungen mitzudenken.

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