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Verheerendes Erdbeben: Seit Freitag sind offiziellen Zahlen zufolge fast 2500 Todesopfer geborgen worden.

© Reuters/Hannah Mckay

Marokko, das Erdbeben und die fehlende Hilfe: Die Wut des Volkes auf den König

Über 2600 Todesopfer und Tausende Verletzte. Doch Rabats Herrscher lehnt internationale Hilfe nach dem Erdbeben weitestgehend ab. Kümmert sich der König zu wenig um die Opfer?

Schutt, Trümmer, Asche. In vielen Dörfern fehlt Strom und Wasser. Drei Tage nach dem verheerenden Erdbeben werden Hunderte Menschen weiterhin vermisst. Die Überlebenden berichten der Deutschen Presse-Agentur zufolge von einem zunehmenden Leichengeruch, der aus den Häuserruinen ströme.

Damit wächst auch die Kritik an Marokkos König Mohammed VI. Er lehnt – mit einigen Ausnahmen – internationale Hilfe ab. Dabei sind die nationalen Rettungskräfte mit der Suche nach Überlebenden völlig überfordert.

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Erst späten Sonntagabend – fast 48 Stunden nach dem Beben der Stärke 6,8 am Freitag – akzeptierte Rabat die Hilfsangebote aus vier Ländern: Spanien, Großbritannien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. Dabei haben mehr als 60 Länder Unterstützung angeboten. Auch die Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) waren in Deutschland seit Sonnabend abflugbereit, wurden am Sonntagnachmittag aber wieder zurück nach Hause geschickt.

Signal an die internationale Gemeinschaft

„In diesem Moment“ sei massive ausländische Hilfe nicht sinnvoll, ließ Mohammed über sein Innenministerium verlauten. Warum? „Weil ein Mangel an Koordination kontraproduktiv sein könnte“, heißt es in dem Kommuniqué weiter. Dabei sind laut internationalen Helfern die ersten 72 Stunden entscheidend, um noch Überlebende zu finden.

„Dass Marokko noch nicht in größerem Umfang um Hilfe gebeten hat, hat vor allem politisch-strategische Gründe“, sagt Isabelle Werenfels von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „Die eigentliche Botschaft ist, dass die vier Länder, die Marokko jetzt ausgewählt hat, sogenannte privilegierte Partner des Landes sind.“

Für die Bevölkerung ist diese geringe internationale Hilfe zu wenig, sagt Steffen Krüger. Er ist bei der Konrad-Adenauer-Stiftung Landesbeauftragter für Marokko und sagt: „Die Länder, die jetzt kommen dürfen, sind befreundete Staaten, mit denen Rabat enge Beziehungen pflegt.“ Die Anerkennung der Westsahara – und damit der Souveränität Marokkos – sei dafür entscheidend.

So war zum Beispiel das Verhältnis zwischen Rabat und Madrid lange angespannt, erst Anfang des Jahres haben sich die Beziehungen normalisiert.

Auch, weil Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez zuvor Marokkos Anspruch auf die umstrittene Westsahara bekräftigt hatte – eine Kehrtwende in der spanischen Politik.

Die eigentliche Botschaft ist, dass die vier Länder, die Marokko jetzt ausgewählt hat, sogenannte privilegierte Partner des Landes sind.

Isabelle Werenfels, Nordafrika-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik

„In Rabat hat man nicht vergessen, dass Madrid im Westsahara-Konflikt klar Position bezogen und sich auf die Seite Marokkos gestellt hat“, sagt Isabelle Werenfels, die unter anderem zur Politik in den Maghreb-Staaten forscht. „Zugleich ist es ein Signal an die künftige spanische Regierung, nicht von der Linie der vorherigen abzuweichen.“

Spannungen zwischen Marokko und Frankreich?

Auch Frankreich hat Hilfe angeboten, bisher ist Marokko darauf aber nicht eingegangen. Ein Zeichen, dass das Land sich von der ehemaligen Kolonialmacht distanzieren will? Frankreichs Außenministerin, Catherine Colonna, hat Spekulationen über diplomatische Spannungen mit Blick auf die Erdbebenhilfe am Montag zurückgewiesen. „Marokko hat keine Hilfsangebote ausgeschlagen“, sagte Colonna dem Sender BFMTV.

Das Land habe sich zunächst für Hilfe aus anderen Ländern entschieden. Zugleich kündigte die Außenministerin Finanzhilfen in Höhe von fünf Millionen Euro an.

Deutschland wurde nach Tagesspiegel-Informationen ebenfalls nicht um Hilfe gebeten. Politische Gründe schließt das Auswärtige Amt aus. Die diplomatischen Beziehungen zu Marokko seien gut, sagt ein Sprecher am Montag in Berlin.

Der Streit über die Westsahara stürzte die deutsch-marokkanischen Beziehungen 2021 in eine tiefe Krise, erst im vergangenen Jahr näherten sich beide Länder nach einem Besuch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wieder an.

Ein weitaus angenehmerer Partner scheint dagegen das Vereinigte Königreich zu sein. „Ohne offiziell auf die marokkanische Linie eingeschwenkt zu haben, geht Großbritannien mit möglichen Projekten auch in der Westsahara recht pragmatisch um“, analysiert Nordafrika-Expertin Werenfels.

2681
Todesopfer sind bis Montagnachmittag zu beklagen.

Marokko scheint dies zu schätzen. 60 britische Such- und Rettungstrupps sowie vier Spürhunde sind seit Sonntagabend im Erdbebengebiet, um die Einsätze des marokkanischen Militärs zu unterstützen.

Marokko bittet Israel nicht um Hilfe

Spannend sei aber auch, wen Marokko nicht gefragt hat. Israel zum Beispiel. „Die Beziehungen zwischen beiden Ländern haben sich in den vergangenen Jahren normalisiert, im Juli hat Israel die marokkanische Souveränität über die Westsahara anerkannt“, sagt Isabelle Werenfels.

Die Katastrophenhilfe aus Israel gilt als sehr gut, unterstütze Anfang des Jahres bereits massiv in der Türkei und in Syrien. „Aber die Israelis sind im Land nicht sonderlich beliebt, ich nehme an, darum hat Marokko bisher nicht um Hilfe gebeten.“

60
britische Such- und Rettungstrupps sowie vier Spürhunde sind seit Sonntagabend im Erdbebengebiet.

Inzwischen wächst in den am schlimmsten betroffenen Bergdörfern im Süden und Westen der Touristenhochburg Marrakesch die Verzweiflung und die Wut der Menschen, die sich von König Mohammed und seiner ihm unterstehenden Regierung im Stich gelassen fühlen.

Nach neusten Angaben des marokkanischen Innenministeriums wurden bis zum Montag 2681 Tote geborgen. Zudem gebe es mehrere Tausend Verletzte. Die Opferzahlen dürften in den nächsten Tagen steigen. 

Doch König Mohammed scheint all dies kaum zu berühren. Er zeigt bisher wenig Anzeichen von Anteilnahme am Schicksal seiner 37 Millionen Untertanen. Viele Marokkaner werfen ihrem allmächtigen Herrscher – wenn auch aus Angst vor Repressalien nur hinter vorgehaltener Hand – schon lange vor, besonders durch Abwesenheit und Desinteresse zu glänzen.

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