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Julian Reichelt

© Gestaltung: TSP | imago-images, istockphoto

Julian Reichelt auf Youtube: Das Krawall-Imperium des geschassten „Bild“-Chefs

Julian Reichelt hat Großes vor. Seine Videos werden von Wutbürgern und Klimawandelleugnern gefeiert. Unser Kolumnist hat sich die volle Dröhnung gegeben.

Eine Kolumne von Sebastian Leber

Ecken, die einen erschaudern lassen, hat das Internet viele. Für manche muss man umständlich den Tor-Browser installieren oder von Eingeweihten in ein geschlossenes Forum eingeladen werden. Für andere reicht ein Klick auf Youtube.

Eine besonders unansehnliche Ecke heißt „Achtung, Reichelt“ und ist der Kanal des rausgeschmissenen Chefs der „Bild“-Zeitung. Vor neun Monaten lud er sein erstes Werk bei Youtube hoch, mittlerweile sind es mehr als 150. Julian Reichelt monologisiert dort minutenlang in die Kamera, befragt auch Gäste. Das Einschalten lohnt sich, wenn man sich für die Verbreitung von Falschinformationen, Beleidigungen, Leugnung des menschengemachten Klimawandels und DDR-Verharmlosung begeistern kann.

Die vielen, vielen Verstöße gegen den Pressekodex, die er in seinen Jahren als „Bild“-Chef verantwortete, sind Vergangenheit. Für sein Youtube-Format ist der deutsche Presserat nicht zuständig.

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Reichelts Sendung kann man sich als „Tagesschau“ für Grünen-Hasser, Wutbürger und Migrantenphobiker vorstellen. Sie hat schon 300.000 Abonnenten. Unter den Gästen sticht vor allem Gloria von Thurn und Taxis heraus. Die Frau verbreitet groteske Verschwörungslügen, nennt Homosexualität „Sünde“.

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Sie behauptet, die Bundesrepublik sei ein schlimmerer Überwachungsstaat als die DDR – damals habe man „zwar auch ein bisschen mitgehört, aber die waren wesentlich toleranter als heute”. Sie will den „Universitäten sofort das Geld wegnehmen“, damit die keine ungewünschten Inhalte mehr lehren. Zwischendurch doziert sie über Schröders „Agenda 2008“.

Ist Reichelt für den Quatsch seiner Gäste verantwortlich? Wenn Thurn und Taxis die Erderwärmung als „großen Schwindel“ bezeichnet, fragt Reichelt nicht etwa nach, sondern bedankt sich für ihre „brillanten Einschätzungen“.

Unklar ist, woher Reichelt das Geld für seine Firma hat

In den frühen Folgen, da hieß seine Sendung noch nicht „Achtung, Reichelt“, saß der geschasste „Bild“-Chef im offenen Hemd im Studio, die Brusthaare schauten raus. Mittlerweile trägt er Schlips, es gibt ein flottes Intro. Verantwortet wird die Sendung von der Rome Medien GmbH, die Reichelt selbst gegründet hat und deren alleiniger Geschäftsführer er ist.

Sein Mitarbeiterstab wächst. Die Firma sitzt in einem Bürogebäude in Berlin-Kreuzberg nahe dem Moritzplatz. Unklar ist, woher Reichelt das viele Geld hat. Es gibt Hinweise auf Kontakte zum Milliardär Frank Gotthardt, Hauptgesellschafter der „Kölner Haie“. Beide äußern sich dazu nicht.

Eine extrem rechte Influencerin als Dauergast

In Reichelts Sendung werden die Postfaschistin Giorgia Meloni bejubelt, eine Kampagne der rechtsextremen Identitären Bewegung gelobt, eine extrem rechte Influencerin als Dauergast engagiert. Letztere bezeichnet sich selbst als „stolze Verschwörungstheoretikerin“. Es wird behauptet, es sei kein Geld für deutsche Senioren da, weil in Deutschland alles Geld an Migranten verteilt werde. 

Klimaaktivisten unterstellt Reichelt eine „wahnsinnige Angststörung“, spricht von „grünem Terrorismus“. Auf einer ebenfalls von Reichelts Rome Medien GmbH betriebenen Webseite werden Transsexuelle verspottet. Als jüngst etwa eine Transgender-Eiskunstläuferin bei der WM-Eröffnungsshow in Finnland stürzte, hielt Reichelts Mitarbeiterin den Auftritt für eine „Verhöhnung aller Sportlerinnen“ beziehungsweise „blanken Hohn für echte Eiskunstläuferinnen“. Sie mokierte sich darüber, dass „unattraktive und unprofessionelle Männer“ bei Frauenwettbewerben antreten. 

Der offenkundige Widerspruch, der bei „Achtung, Reichelt“ immer wieder zu Momenten unfreiwilliger Komik führt: Einerseits scheint der Mann geradezu getrieben zu sein von seiner Wut auf alles Grüne und Linke oder was er dafür hält. Andererseits wirft er ständig anderen Menschen vor, nicht auf Argumente zu schauen, sondern bloß eine Ideologie zu vertreten.

Wir Weiße sollen uns offensichtlich nicht mehr fortpflanzen.

Gloria von Thurn und Taxis bei „Achtung, Reichelt“

Juristisch hat Reichelt eine bittere Niederlage kassiert. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg ist der „Spiegel“-Artikel „Vögeln, fördern, feuern“, der die Vorwürfe gegen Reichelt und seinen mutmaßlichen Umgang mit jungen Mitarbeiterinnen bei „Bild“ detailliert beschreibt, wieder online.

Lesenswert ist auch das „Zeit“-Interview, in dem Reichelt bestreitet, er habe Mitarbeiterinnen nach „Fuckability“ bewertet oder je eine belästigt. Auf die Frage „Warum, glauben Sie, haben diese Frauen mit Ihnen geschlafen? Weil Sie so attraktiv sind?“ antwortet Reichelt: „Darüber habe ich noch nie nachgedacht...“

Enormen Zuspruch erhält Reichelts Kanal aus der Blase der Verschwörungsideologen und Querdenker, was wohl an den inhaltlichen Schnittmengen liegt. In der Show fallen Sätze wie: „Wir Weiße sollen uns offensichtlich nicht mehr fortpflanzen“, gleichzeitig hole man aber „halb Afrika rein“.

Die Regierung wolle, dass es den Deutschen wirtschaftlich schlechter gehe. Dies alles nicht etwa auf dem Kanal eines anonymen Telegram-Hetzers, sondern auf der Plattform des Publizisten, der jahrelang die auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands leitete.

Im Grunde verhält es sich mit Reichelt wie mit dem Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen: Man wüsste gern, ob der Typ schon so drüber war, als er noch Macht und Verantwortung hatte, oder ob er sich erst nach seinem Rausschmiss blitzradikalisierte.

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