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Hinter der Fassade der Demokratie hat EU-Skeptiker Viktor Orban seine illiberale, autokratische Herrschaft zementiert.

© Imago/ Bart Maat

20 Jahre nach dem Referendum: Was hat die EU-Mitgliedschaft Ungarns gebracht?

Das Verhältnis Ungarns zur EU ist seit Jahren von Streit geprägt. Doch ein Austritt kommt für Ministerpräsident Orban nicht infrage – er hätte zu viel zu verlieren.

1 Skeptischer Start

Vor 20 Jahren, am 12. April 2003, entschieden sich die Ungarn in einem Referendum für den Beitritt zur Europäischen Union. 83,8 Prozent stimmten dafür. Doch diese Zahl spiegelt nicht die tatsächliche Stimmung damals wider. Nicht einmal die Hälfte aller Wahlberechtigten hatte sich beteiligt.

Kurz zuvor hatte das Parlament die Bedingungen für den Erfolg von Referenden herabgesetzt: Mussten zuvor 50 Prozent aller Wahlberechtigen den Beitritt unterstützen, waren es jetzt nur noch 25 Prozent. Tatsächlich votierten dann 38 Prozent der Ungarn für den EU-Beitritt. Das reichte.

Die damalige Oppositionspartei von Viktor Orban fuhr einen EU-skeptischen Kurs und warnte vor hohen Arbeitslosenzahlen und dem Wegbrechen ganzer Industriezweige wegen des Wettbewerbs. Orban hatte seine Karriere 1989 als mutiger, nonkonformistischer Liberaler begonnen. Doch nur wenig später brach er mit dieser Haltung und wandelte sich zu einem Rechtskonservativen.

Manche legten ihm das als Opportunismus aus, weil rechts die meisten Stimmen zu holen waren. Doch offenbar ging es Orban auch um den Kampf gegen die post-kommunistischen Eliten, die nach dem Ende des realen Sozialismus Schlüsselpositionen behielten, weil sie sich besonders rasch und erfolgreich zu Neo-Liberalen gewandelt hatten.

2 Illiberale Verwandlung

Seit Viktor Orban 2010 erneut zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, verschärften sich Schritt für Schritt die Differenzen mit der EU. Dabei ging Orban sehr geschickt vor. Kritisierte Brüssel die ungarische Regierung wegen des illiberalen Charakters ihrer Reformen, war seine Regierung schnell mit dem Nachweis zur Hand, dass jede Reform, jedes Gesetzesvorhaben, jeder Umbau der Institutionen eine Entsprechung im Rechtssystem eines der Mitgliedsstaaten hatte.

Indem er dabei nur die am meisten restriktiven Regelungen auswählte und übernahm, gelang es Orban, hinter der Fassade der Demokratie seine illiberale, autokratische Herrschaft zu zementieren. Es half dabei auch, dass er dafür sorgte, dass vor allem seine Freunde und Verbündeten von den Milliarden-Zuwendungen aus den EU-Fonds profitierten und deshalb loyal zu ihm hielten.

Da die von ihm mitgegründete Partei Fidesz eine bequeme Mehrheit im Parlament besitzt und Orban das Justizsystem mit ihm gewogenen Richtern besetzte, kann er inzwischen behaupten, dass Recht und Gesetz in Ungarn auf seiner Seite sind.

3 In der Sackgasse

Viktor Orbans 13 Jahre an der Macht sind 13 Jahre ständigen Streits mit der EU. Brüssel hat derzeit finanzielle Zuschüsse in Milliardenhöhe eingefroren, um Budapest zu drängen, sich an europäische Normen zu halten. Mit seiner pro-russischen Haltung im Ukraine-Krieg hat sich Ungarn von seinen früheren Partnern Polen, Tschechien und der Slowakei – den Visegrad-Staaten – entfremdet. Russisches Öl und Gas, auf dessen günstigen Bezug sich Orban glaubte verlassen zu können, sind inzwischen wieder teurer als an den freien Märkten.

All das hat die Realitäten für Ungarn dramatisch verändert. Doch Orban scheint nicht bereit, seine Rhetorik zu ändern. Kürzlich nannte er in einer Radiosendung die Probleme, die er mit der EU hat: Ungarn fordert geschlossene Grenzen für Flüchtende, die EU-Sanktionen gegen Russland müssten aufgehoben und die Waffenlieferungen an die Ukraine eingestellt werden – und es geht ihm um „die Geschlechterfrage“. „Aktivisten aller Art“ wollten die traditionelle Familie zerstören, behauptet der ungarische Regierungschef. Es sei seine Aufgabe, die Kinder davor zu schützen.

Die Kluft sei unüberbrückbar. „Da wir nicht nachgeben, wird Brüssel es tun müssen“, sagte er. Ein Austritt aus der EU, ein Huxit, kommt für Orban dennoch nicht infrage, denn der würde den Bankrott bedeuten – den Ungarns, aber vor allem seinen eigenen.

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