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Ein 30-jähriger FU-Student war am Wochenende mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gekommen. 

© dpa/Christoph Soeder

Update

Angriff auf jüdischen Studenten: Tatverdächtiger darf nicht exmatrikuliert werden – Wegner erwägt Gesetzesänderung

Nach der Attacke auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira wird über eine Exmatrikulation des Tatverdächtigen debattiert. Die Wissenschaftssenatorin ist skeptisch.

| Update:

Angesichts des Angriffs auf einen jüdischen Studenten der Freien Universität durch einen Kommilitonen erwägt Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) Exmatrikulationen in solchen Fällen rechtlich zu ermöglichen. „Wir müssen den Hochschulen Instrumente an die Hand geben, damit sie konsequent und schnell handeln können. Wenn dazu eine Änderung des Hochschulgesetzes erforderlich sein sollte, werden wir in der Koalition darüber sprechen“, sagte Wegner dem Tagesspiegel.

Die Hochschulen, in diesem Fall die Freie Universität und ihre Leitung, seien aufgefordert, zu handeln und antisemitische Vorfälle nicht länger zu dulden oder kleinzureden, erklärte der Regierende. „Die Hochschulleitung muss Konsequenzen ergreifen, damit jüdische Studentinnen und Studenten sich an der Freien Universität wieder sicher fühlen und ohne Angst studieren können.“

FU-Präsident will nach Attacke auf jüdischen Studenten über Verschärfung des Hochschulgesetzes beraten

Auch FU-Präsident Günter M. Ziegler möchte mit der Politik darüber beraten, ob in besonders extremen Fällen in Berlin Exmatrikulationen ermöglicht werden sollten. „Wenn wir über Straftäter reden, die eine Bedrohung für andere Studierende darstellen, ist es eine wünschenswerte und notwendige Maßnahme, die Personen am Studieren zu hindern“, sagte Ziegler dem Tagesspiegel. Eine Universität würde sonst nicht mehr als Gemeinschaft funktionieren.

Er wünsche sich, eine entsprechende Änderung des Berliner Hochschulgesetzes in Ruhe und sachlich zu diskutieren, seine Meinungsbildung dazu sei noch nicht abgeschlossen. Ziegler warnte vor „Gesinnungsprüfungen“: Es müsse sehr sorgfältig geprüft werden, in welchen Situationen Exmatrikulationen begründet seien. „Jemandem Antisemitismus zu unterstellen, kann zunächst kein Grund für eine Exmatrikulation sein.“ Er stehe dazu sowohl mit Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra als auch ihrem Staatssekretär Henry Marx (beide SPD) in Kontakt.

Die schwarz-rote Koalition findet bislang jedoch keine klare Linie, wie mit Fällen wie der Gewalttat gegen den jüdischen Studenten Lahav Shapira umgegangen werden soll. Ob die brutale Attacke zum Anlass genommen werden sollte, einen Rauswurf von Studierenden durch das Berliner Hochschulgesetz zu ermöglichen, blieb auch am Mittwoch umstritten.

Ina Czyborra (SPD), Berliner Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege.
Ina Czyborra (SPD), Berliner Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege.

© dpa/Sebastian Gollnow

Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) sieht Forderungen nach einer Exmatrikulation des Studenten, der einen jüdischen Kommilitonen angegriffen und verletzt haben soll, skeptisch. Einem Hausverbot wie auch einer Exmatrikulation stehe das Grundrecht auf freie Berufswahl entgegen.

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„Es müssen, bevor über schärfere Maßnahmen diskutiert wird, die bisherigen Mittel ausgeschöpft werden“, teilte die Senatorin am Mittwoch mit. Czyborra erneuerte ihre Forderung, dass die FU ein Hausverbot verhängen müsse, auch wenn dies am Ende gerichtlich verhandelt werden müsse. „Das ist dringend erforderlich, um Opfer vor Gewalttätern zu schützen und auf dem Universitätsgelände einen sicheren Raum für die Studierenden zu schaffen.“

 Exmatrikulationen aufgrund politischer Meinungen lehne ich weiterhin ab. Eine Demokratie muss innerhalb dieses Rahmens unterschiedliche politische Meinungen aushalten.

Ina Czyborra (SPD), Wissenschaftssenatorin

Die Wissenschaftssenatorin verwies zugleich darauf, dass unterschieden werden müsse zwischen Gewalttaten, Antisemitismus und Volksverhetzung auf der einen Seite – und politischen Meinungsäußerungen auf der anderen Seite. „Exmatrikulationen aufgrund politischer Meinungen lehne ich weiterhin ab. Eine Demokratie muss innerhalb dieses Rahmens unterschiedliche politische Meinungen aushalten“, sagte sie.

Zuvor hatte Czyborra bereits mehr Nüchternheit in der Debatte angemahnt. „Wir wollen die Hochschulen nicht zu Gated Communities machen“, hatte Czyborra am Dienstag in der RBB-„Abendschau“ gesagt. Dies seien offene Räume der Kommunikation und der Debatte. „Die Wissenschaft lebt von Austausch, lebt von Internationalität, lebt von internationalen Studierenden. Und natürlich gibt’s auch dann mal Konflikte auf dem Campus. Und die müssen wir eindämmen.“

CDU will Exmatrikulationen wegen Ordnungsverstößen wieder ermöglichen

Franziska Giffey, SPD-Landeschefin und Wirtschaftssenatorin, widersprach ihrer Parteikollegin zumindest implizit. Jüdinnen und Juden müssten an Hochschulen geschützt werden. „Wenn uns dort für die Durchsetzung dieses Schutzes die rechtlichen Mittel fehlen, müssen wir diese nachschärfen, damit solche Taten auch an Hochschulen Konsequenzen haben“, schrieb Giffey am Mittwochabend auf der Plattform „X“.

Auch innerhalb der CDU sorgt Czyborras Haltung nach Tagesspiegel-Informationen für großes Kopfschütteln. Dort können sich einige in solchen Fällen einen härteren Kurs gegen Studierende vorstellen. Adrian Grasse, wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, will Exmatrikulationen wegen Ordnungsverstößen wieder ermöglichen und dafür das Hochschulgesetz ändern.

„Wir haben in den vergangenen Wochen eine zunehmend besorgniserregende Entwicklung an den Berliner Hochschulen erlebt. Ich halte es vor diesem Hintergrund für geboten, die Handlungsspielräume der Hochschulleitungen zu erweitern“, sagte Grasse. Neben Hausverboten brauche es eine rechtliche Grundlage, um in Fällen wie dem nun vorliegenden die Möglichkeit zur Exmatrikulation zu haben. „Allein die Verfügbarkeit dieses Instruments würde sicherlich eine disziplinarische und damit auch präventive Wirkung entfalten“, sagte Grasse.

Die Abschaffung des Ordnungsrechts sei bei der Hochschulgesetz-Novelle 2021 Teil einer Reihe von Maßnahmen zur Einschränkung der Hochschulautonomie gewesen, sagte Grasse. Angesichts der jüngsten Ereignisse werde er das Thema erneut in der Koalition aufrufen und sich für eine Wiedereinsetzung starkmachen, kündigte der CDU-Politiker an.

Vorbehalte gegen den Vorstoß hat hingegen der wissenschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Marcel Hopp. Die Möglichkeit der Exmatrikulation in solchen Fällen sei „verfassungsrechtlich gar nicht ohne“, sagte er. „Wir reden von der Freiheit der Berufswahl und der Freiheit der Forschung und Lehre. Ich bin aktuell noch skeptisch, ob eine solche Gesetzesänderung rechtlich haltbar und praktikabel ist.“

Zugleich forderte auch Hopp, den bestehenden Rechtsrahmen auszunutzen. „Es ist notwendig, dass es ein konsequentes Durchgreifen der FU mit dem Hausverbot gibt.“ Es sei die Verantwortung einer Hochschule, dass dort keine antisemitischen Straftaten begangen würden.

Die FU setze bereits zahlreiche Maßnahmen um, damit sich Studierende auf dem Campus sicherer fühlen können, sagte Universitätspräsident Ziegler. So habe unter anderem ein neuer Beauftragter für von Antisemitismus Betroffene die Arbeit aufgenommen, weitere Ansprechpartner seien benannt und „Support Points“ auf dem Campus eingerichtet worden. In Workshops sollen Studierende und Dozenten für den Umgang mit Antisemitismus geschult werden, Dozenten das zum Thema in ihren Seminaren machen. Aktuell laufen „Aktionswochen gegen Antisemitismus“ an der Uni.

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