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Eine Hummel lässt es sich schmecken.

© Alice Kracht

Langer Tag der Stadtnatur: „Auf ungemähten Wiesen brummt es mehr“

Parks, Gärten, Balkone: Alice Kracht und Felix Riedel von der Stiftung Naturschutz erklären, wie Berlin insektenfreundlicher werden kann.

Frau Kracht, Herr Riedel, Sie bieten beim Langen Tag der Stadtnatur eine Führung durch den Gleisdreieckpark an mit dem Titel „Warum wird hier nicht gemäht?“ Ja, warum denn nicht?

Kracht: Wenn früh im Jahr und häufig gemäht wird, finden Insekten wie Schmetterlinge oder Wildbienen und Spinnen auf den Wiesen keinen Lebensraum mehr – und ohne diese Tiere gibt es auch weniger Nahrung zum Beispiel für Vögel und Fledermäuse. Ungemähte Wiesen tragen so zum Erhalt der Artenvielfalt bei. Wenn Sie mit uns auf die ungemähten Wiesen gehen, merken Sie gleich: Da summt und brummt es viel mehr.

Sollte also am besten der ganze Park nicht mehr oder selten gemäht werden?

Kracht: Nein, der Park dient ja auch der Erholung der Menschen, deswegen braucht es auch Flächen mit kurzem Rasen. Beides ist möglich: Bereiche, in denen gepicknickt und Ball gespielt wird, und Bereiche, die nur ein- oder zweimal im Jahr gemäht werden. Im Gleisdreieckpark ist das gut gelöst, dort gibt es auch kleine Wäldchen, die nicht betreten werden sollen. Es ist eine Mosaikstruktur, in die immer wieder wilde Flächen eingestreut sind. Das ist von der Konzeption hier vorbildlich.

Felix Riedel und Alice Kracht, Mitarbeiter der Stiftung Naturschutz Berlin.

© Susanne Jeran / Stiftung Naturschutz Berlin.

Und in anderen Parks?

Riedel: Da gibt es teilweise noch viel Potenzial – große Rasenflächen, von denen ein Teil für Insekten und Co. abgeknapst und seltener gemäht werden könnte. Das bietet sich zum Beispiel im Übergang zu Baumgruppen und Gebüschen an.

Warum wird das nicht gemacht? Eigentlich müsste es doch für die Grünflächenämter viel einfacher und kostengünstiger sein, weniger zu mähen.

Riedel: Das täuscht. Es ist in mancher Hinsicht sogar aufwändiger, wenig und bewusst zu mähen. Man muss den ausführenden Firmen genau zeigen, wo sie mähen sollen und wo nicht; man sollte nicht zu festgelegten Zeitpunkten mähen, sondern sollte sich bestenfalls auf die Vegetationsperiode und das Wetter einstellen. Außerdem sollte man die gemähten Pflanzen nicht gleich abtransportieren, sondern ein paar Tage liegen lassen, damit die Insekten darin sich neu orientieren können. Das alles erhöht den Planungsaufwand, erfordert Zeit und mitunter auch neue Technik, also schonendere Mähmaschinen. Eine Wiese wachsen zu lassen, ist aber immer besser als sie tot zu mähen.

Sperren sich die Grünflächenämter gegen diesen Ansatz?

Riedel: Sie können ihn aus den genannten Gründen nicht immer umsetzen. Wir haben aber den Eindruck, dass das Thema in den Ämtern angekommen ist, und mit dem „Handbuch Gute Pflege“ entwickelt die Senatsverwaltung derzeit auch ihren Leitfaden für die Grünflächenpflege weiter.

Insekten lieben Wildblumenwiesen.

© Alice Kracht

Was zeigen Sie Ihren Gästen, wenn Sie mit Ihnen auf ungemähten Wiesen unterwegs sind?

Kracht: Wir zeigen ihnen, was gerade blüht: Wiesensalbei zum Beispiel oder Natternkopf, Schafgarbe und Rotklee. Wir erklären ihnen, welche Insekten welche Blüten bestäuben, wo wir Spinnentiere und Heuschrecken finden – und wie wichtig ökologisch gepflegte Wiesen für die Stadtnatur und die Artenvielfalt sind. Wir hoffen, dass dadurch deutlich wird, welche Faszination darin liegt, einfach zu beobachten, was in der Natur geschieht – das ist eine echte Bereicherung in all der Hektik, in der wir leben.

Bei Ihren Teilnehmenden springt der Funke sicher über. Aber gibt es auch Bürger, die sich über ungemähte Flächen beschweren, weil das ihrer Ansicht nach ungepflegt aussieht?

Riedel: Von den Grünflächenämtern hören wir: Inzwischen gibt es auch Beschwerden, wenn viel und oft gemäht wird. Da ist langsam ein echter Bewusstseinswandel festzustellen.

Ungemähte Mittelstreifen sehen oft trist aus – da blüht offenbar von alleine wenig. Geht es auch ansehnlicher? 

Riedel: Mittelstreifen bieten sich eigentlich für blütenreiche Wiesen an. Je nach Standort und den Erfordernissen der Verkehrssicherheit müsste man entscheiden, ob man da eine Initialpflanzung vornimmt oder einsät.

Die meisten Berliner können höchstens über ihre Balkons Einfluss auf die Pflanzen- und Insektenwelt nehmen. Aber in Blumenläden und Baumärkten ist oft nicht zu erkennen, welche Balkonpflanzen insektenfreundlich sind.

Riedel: Wir würden uns wünschen, dass das klar gekennzeichnet würde, aber noch gibt es leider kein einheitliches Siegel dafür. Verbraucher:innen, die nicht vor dem Pflanzenkauf googeln möchten, können wir ein paar einfache Regeln empfehlen: Alle Gewürzpflanzen, wenn sie zum Blühen kommen dürfen, sind super für Insekten, also Dill, Rosmarin, Petersilie undsoweiter. Auch Gemüse wie Fenchel zieht Insekten an. Grundsätzlich sollten Balkonbesitzer einheimische Arten und Pflanzen mit ungefüllten Blüten vorziehen, etwa Akelei, Glockenblume oder scharfen Mauerpfeffer. Die typischen Balkonpflanzen wie Geranien und Petunien werden leider kaum von Insekten genutzt.

Und was empfehlen Sie Gartenbesitzern?

Kracht: Genau dasselbe wie den Parkgestaltern: Mäht einen Teil eurer Wiese, aber lasst auch wilde Ecken. Es ist spannend zu beobachten, welche Pflanzen dann dort wachsen und blühen. Nutzt am besten regionales Saatgut von Pflanzen, die hier angebaut, geerntet und verwendet werden – die Stiftung Naturschutz gibt auf ihrer Webseite dazu Empfehlungen. Und eins ist klar: Bloß kein Schottergarten!

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