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U-Bahnhof Bayerischer Platz im Bayerischen Viertel in Schöneberg nach dem Luftangriff auf Berlin vom 3. Februar 1945.

© BVG-Archiv

Zeitzeugen zum Luftangriff auf Berlin am 3. Februar 1945: „Die halbe Decke war wohl heruntergekommen“

Zeitzeugen des Bombeneinschlags in den U-Bahnhof Bayerischer Platz in Berlin am 3. Februar 1945 haben uns vor fünf Jahren ihre Geschichte erzählt.

Von Markus Hesselmann

Wir beim Tagesspiegel waren selbst skeptisch, zugegeben, als wir zum 70. Jahrestag vor fünf Jahren den Aufruf an Zeitzeugen des Luftangriffs vom 3. Februar 1945, sich bei uns zu melden, online und in der gedruckten Zeitung veröffentlichten. Würden sich wirklich, sieben Jahrzehnte danach, noch Menschen finden, die sich genau genug und aus eigenem Erleben an jenen Tag in Berlin erinnern können und die davon erzählen wollen?

Die Resonanz hat uns überrascht. Nicht nur, dass sich zahlreiche Menschen aus dem Bayerischen Viertel meldeten, die den Luftangriff, den schwersten des Zweiten Weltkriegs auf Berlin, in ihrem bereits weitgehend zerstörten Kiez miterlebt hatten. Es schrieben uns auch Zeitzeugen, die beim Angriff selbst im U-Bahnhof Bayerischer Platz waren, der bei einem direkten Treffer teils in sich zusammenfiel. 63 Menschen kamen dabei ums Leben, auch weil genau zum Zeitpunkt der Explosion zwei Züge im Bahnhof gehalten hatten.

Zeitzeuge Peter Hagen im U-Bahnhof Bayerischer Platz.
Zeitzeuge Peter Hagen im U-Bahnhof Bayerischer Platz.

© Hendrik Lehmann

Peter Hagen ist einer der Überlebenden aus dem Bahnhof. Seiner E-mail hängte er gleich einen beeindruckenden Augenzeugenbericht an, den er für sich als Erinnerung schon einige Zeit zuvor verfasst hatte: "Es dauerte nicht lange, da fielen die ersten Sprengbomben – wohl auf die Treppen, denn es wurde dunkel auf dem Bahnhof und das wohl nicht nur, weil der Strom ausgefallen war", schreibt Peter Hagen, der damals 14 Jahre alt war.

Dann sei die Decke des U-Bahnhofs direkt getroffen worden. "Ein beißender Rauch, der das Atmen erschwerte, zog über den Bahnhof, wir lagen auf dem Boden und rangen nach Luft. Die halbe Decke mit ihren Stahlträgern war wohl heruntergekommen und hatte die darunter Stehenden erschlagen. In dem Geschrei war überhaupt nichts mehr zu verstehen. Als sich der Lärm dann etwas gelegt hatte, wurde gerufen, dass wir den Bahnhof schnellstens verlassen sollten. Über die Toten und Verletzten und über die vom Tauwasser nasse Erde hinweg haben wir fluchtartig den Bahnhof verlassen." Nachzulesen ist der Augenzeugenbericht, wie ihn Peter Hagen selbst aufgeschrieben hat, hier über diesen Link.

Die Aufzeichnung von Peter Hagen haben wir mit Dokumenten, Fotos und weiteren Augenzeugenberichten sowie Hintergründen zum 3. Februar 1945 auf vier Seiten auch in der gedruckten Sonntagausgabe vom 1. Februar 2015 veröffentlicht, zum 70. Jahrestag des Angriffs, der vor allem der Stadtmitte und gar nicht Schöneberg galt.

Der Zwiespalt des jungen Peter Guggenheimer

Zum Beispiel haben wir aufgeschrieben, was Peter Gregg meinem Kollegen Thomas Loy am Telefon aus dem US-Bundesstaat Oregon erzählt hat. Tagesspiegel-Leser Paul Nunheim hatte uns freundlicherweise auf den Zeitzeugen Peter Gregg aufmerksam gemacht. Er denke, so schrieb Nunheim in seiner Email, ein alter Freund von ihm könne uns „sehr viel dazu erzählen, denn er war zu dieser Zeit im Bahnhof, als die Bombe einschlug“. Er sei über Trümmerteile aus dem Schacht geklettert „und hat davon immer noch einen Metallsplitter im Körper“.

Früher habe Peter Gregg in Lankwitz gelebt und Peter Guggenheimer geheißen. „Er war von den Nazis als ‘Halbjude’ eingestuft worden, weil sein Vater jüdisch war, seine Mutter nicht. Seine Mutter war in der Rosenstraße mit dabei. Ende März wird er 90 Jahre alt.“

Im Gespräch mit Peter Gregg, der während des Kriegs Zwangsarbeit leisten musste, wird der Zwiespalt deutlich, dass die Bomber am Himmel für ihn einerseits lebensbedrohend waren, aber andererseits gleichbedeutend mit der Hoffnung auf Befreiung. Ein Zwiespalt, den Untergetauchte, Zwangsarbeiter oder Widerständler seinerzeit in Berlin durchlebten. Peter Greggs Bericht können Sie hier lesen.

Peter Gregg aus Oregon war bis 1945 Peter Guggenheimer aus Lankwitz. Bei einem Berlinbesuch schaute er sich auch den U-Bahnhof Bayerischer Platz noch einmal an.
Peter Gregg aus Oregon war bis 1945 Peter Guggenheimer aus Lankwitz. Bei einem Berlinbesuch schaute er sich auch den U-Bahnhof Bayerischer Platz noch einmal an.

© privat

Eine weitere Erinnerung („Totensuche in den Trümmern“) über die Zeit im Bayerischen Viertel nach dem Luftangriff, erzählt vom Zeitzeugen Rolf Mährholz, der an jenem 3. Februar 1945 elf Jahre alt wurde, können Sie hier nachlesen.

Leider konnten wir nicht auf alle Gesprächsangebote eingehen, das tut uns sehr leid. Einsender, die uns über Erlebnisse jenes Tages in anderen Berliner Kiezen und Bezirken berichten wollten, erhielten von uns eine Antwort mit herzlichen Grüßen und liebem Dank. Aber wir würden Ihre Zeitzeugenberichte in diesem Fall leider nicht verwenden können, weil wir uns diesmal vor allem auf den schweren Bombentreffer auf dem Bayerischen Platz konzentrieren und dessen Geschichte genauer erzählen wollen.

Bestärkt wurden wir darin durch eine E-Mail von Wieland Giebel, Lektor des Berlin-Story-Verlags und Herausgeber des Buchs „Bomben auf Berlin. Zeitzeugen berichten vom Luftkrieg“. Der 3. Februar 1945 allgemein sei in dem Buch ganz gut dokumentiert, die Geschehnisse jenes Tages am Bayerischen Platz jedoch nicht, schrieb Giebel.

Ruth Andreas-Friedrich und Ursula von Kardorff

Zwei prominente Zeitzeuginnen hinterließen kurze Aufzeichnungen zu dem Luftangriff: Ruth Andreas-Friedrich, Widerstandskämpferin und Helferin jüdischer Mitmenschen, schrieb nach dem Luftangriff in ihr Tagebuch: "Als ich an der Schadensstelle vorübergehe, halte ich befremdet inne. Was für ein sonderbarer Volksauflauf? Männer, Frauen, Kinder dicht aneinandergedrängt. Sie senken die Köpfe und schweigen. Sie schweigen lange. Sie rühren sich nicht vom Fleck. Ernst, stumm und feierlich warten sie darauf, dass man ihre Toten ausgräbt. Ihre Schwestern, ihre Brüder oder Mütter. Aus dem zehn Meter tiefen Krater, den heute morgen um elf eine Luftmine in den U-Bahn-Schacht gerissen hat."

Für dasselbe Datum notiert die Journalistin Ursula von Kardorff in ihren - im Rückblick verfassten - "Berliner Aufzeichnungen": "Warum stellt sich niemand auf die Straße und schreit 'genug, genug', warum wird niemand irrsinnig? Warum gibt es keine Revolution? Durchhalten, blödsinnigste aller Vokabeln. Also werden sie durchhalten, bis sie alle tot sind, eine andere Erlösung gibt es nicht."

Die Frage der Bestattung der Todesopfer

Götz Simon ist selbst kein Zeitzeuge, sondern Nachfahre eines der Todesopfer. "Mit Betroffenheit las ich Ihren Artikel im Tagesspiegel vom 16.1.2015", schreibt uns Götz Simon. "Das erinnerte mich an die Todesnachricht meines Onkels - August Simon - der offensichtlich zu den 63 Toten dieses Angriffes gehört, siehe Sterbeurkunde in der Anlage. Mein Onkel war Diplom-Ingenieur beim Dampf-Kessel-Überwachungsverein und nicht im Kriegsdienst. Seine Angehörigen sind mittlerweile verstorben."

Mit Hilfe dieser Sterbeurkunde suchte Götz Simon das bislang unbekannte Grab seines Onkels August.
Mit Hilfe dieser Sterbeurkunde suchte Götz Simon das bislang unbekannte Grab seines Onkels August.

© privat

Da er das Familienarchiv besitze und aktiv Familienforschung betreibe, interessiere ihn besonders, "wo mein Onkel und die anderen Opfer begraben wurden; denn das ist mir bisher nicht bekannt". Er hoffe, dass auf den Artikel hin "viele Menschen, die irgendwie davon betroffen waren, jetzt nach langer Zeit sich melden und an der Diskussion zu diesem Ereignis sich beteiligen". Vielleicht sei es "auf diesem Wege möglich, zu erfahren bzw. Hinweise zu bekommen, wo die Opfer, somit auch mein Onkel, ihre letzte Ruhe gefunden haben". Die Sterbeurkunde stelle er uns gern als Dokument zur Verfügung.

Umgehendes Feedback

Kurz nachdem dieser Artikel hier in einer ersten Version online gegangen war, meldete sich ein Leser und schrieb: "Den Angaben des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge e. V. auf deren Webseite "Gräbersuche Online" zufolge ist August Simon auf der Kriegsgräberstätte in Stahnsdorf begraben, Endgrablage: Block M3 Reihe 27 Grab 21."

Genauso prompt antwortete darauf Götz Simon: "Guten Tag, das ist eine unglaubliche Überraschung! Vielen Dank für diesen Hinweis. Noch morgen werde ich nach Stahnsdorf fahren, um mir das Grab meines Onkels anzusehen. So wird sich dank Ihrer Hilfe eine Lücke in unserer Familiengeschichte schließen."

Wer hat Informationen und Bilder zur Chamisso-Schule?

Tagesspiegel-Leser Hansjürgen Meyer-Brehm schrieb auf unseren Zeitzeugen-Aufruf hin, dass es ihn freuen würde, "wenn ich zu Ihrem Thema ein paar Mosaiksteinchen beisteuern könnte". Ihm schwebe vor, dass "ich mich weniger als Zeitzeuge im Sinne von Augenzeuge/Handelnder denn als Zeitgenosse, zeitgleich Anwesender einbringe". Er könne "wie Helmut Kohl von der 'Gnade der späten Geburt' sprechen. Ein, zwei, Jahre älter hätte mir wohl ein Schicksal als Flakhelfer oder beim Volkssturm geblüht".

In seinen Erinnerungen, die er für die Familie auch in Buchform niedergelegt hat, schreibt Hansjürgen Meyer-Brehm, dass er als elfjähriger Gymnasiast mit seiner Mutter und den Geschwistern im Haus Apostel-Paulus-Straße 18 Ecke Salzburger Straße zur Miete gewohnt habe. "Der Vater tat Dienst im Stab der 2. Luftwaffendivision im Flakturm im Zoologischen Garten." Die besondere "und für alle Bewohner Berlins immens belastende Situation Anfang 1945" habe darin bestanden, "dass schon lange nicht mehr nur von Bombennächten die Rede war." Die alliierten Bomberverbände flogen auch tagsüber ihre Angriffe, so auch am 3 Februar.1945.

In seinen Erinnerungen erwähnte Hansjürgen Meyer-Brehm auch die Chamisso-Schule am Barbarossaplatz, die wegen der Bombardierungen damals evakuiert worden sei. Die Schüler habe man nach St. Peter-Ording an die Nordsee verschickt. Hierdurch ergibt sich nun ein Anknüpfungspunkt für eine frühere Anfrage. Eine fast 100-jährige Dame, Lili Couvée-Jampoller, hatte sich wegen eines Tagesspiegel-Beitrags aus Amsterdam gemeldet, mit folgenden Zeilen: "Ein Freund war so aufmerksam mir einen Artikel über die Wiederbelebung des Bayerischen Platzes zu schicken. Es interessiert mich besonders, weil ich als Kind in den Jahren 1925/26 dort gewohnt habe. Und ich bin dort auch zur Schule gegangen. Die Schule hieß damals Chamisso-Schule, ich nehme an, dass diese Schule schon lange nicht mehr existiert. Wissen Sie was mit ihr geschehen ist? Gibt es noch Bilder vom Platz und der Schule aus der Zeit? Übrigens: was bedeutet Kiez?"

Die letzte Frage konnte wir leicht beantworten. Bei den anderen wurde es schon schwieriger. Umso schöner, dass dies nun Hansjürgen Meyer-Brehm übernommen hat:

Sehr geehrte Frau Couvée-Jampoller,

durch Herrn Hesselmann vom Berliner Tagesspiegel erfuhr ich von Ihrem Wunsch, etwas über die Chamisso-Schule zu erfahren. Durch Kriegsumstände bedingt bin ich im vorletzten und letzten Kriegsjahr 1944/1945 mit einer Sondergenehmigung mit in diese Schule meiner älteren Schwester gegangen, als einziger Junge.

Die Schule gibt es nicht mehr, wohl aber das Gebäude als solches, sehr stattlich anzusehen, am Barbarossaplatz. Darin befindet sich jetzt die Volkshochschule Tempelhof-Schöneberg. Es ist im Internet ein wenn auch kleines Foto vorhanden. Ich versuche, es als Anhang beizufügen. Meine Schwester und ich werden versuchen, Ihnen zusätzlich etwas an Unterlagen zugänglich zu machen, ich bekomme etwas per Post zugeschickt.

Wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen etwas über die dramatische Flucht Anfang 1945 dieser Schulklasse aus dem Evakuierungsort Zielenzig/Neumark. Es wurden zwei Doppeldeckerbusse der Berliner Verkehrs-Gesellschaft (BVG) dorthin geschickt, um die Kinder, Lehrerinnen und Familienangehörigen heim nach Berlin zu bringen. Nach zermürbendem Warten in Berlin und immer stärker werdenden Luftangriffen, auch tagsüber, wurde die Schule dann nach St. Peter-Ording an der deutschen Nordseeküste weiterverfrachtet, wo wir alle das Kriegsende erlebten.

Wir als Familie lebten mehrere Jahre in der Apostel-Paulus-Straße direkt am sogenannten Maikäferplatz. Ich fühle mich der ganzen Gegend bis heute sehr verbunden, kenne weit und breit viele Straßen und gehe zum Beispiel gerne zur Akazienstraße, wenn dort ein Fest ist.

Ich grüße Sie unbekannterweise recht herzlich und werde auch Herrn Hesselmann von meinen Bemühungen um ein Schulfoto unterrichten. Hansjürgen Meyer-Brehm

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