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Teilnehmer:innen des Gläsernen Seminars in der Arabistik der FU Berlin am 10.2.2023, die ihre Texte und Szenen zur Frage, was Arabisch-Sein in Deutschland bedeutet, vorgestellt haben. Ganz rechts: Seminarleiterin Susana AbdulMajid und Seminarleiter Ruben Schenzle. Foto: Eva Murasov/Tagesspiegel

© Eva Murasov/Tagesspiegel

Studierende über das Arabisch-Sein: Hummus, Apfelmus, Rassismus

Arabistik-Studierende der FU Berlin haben kreativ erforscht, was es heißt in Deutschland arabisch zu sein. Ihre Antworten stellten sie in einer berührenden Performance vor.

„Hummus, Mus, Muse, Muss, Muskat, Museum, Mustopf, Pampelmuse, Pflaumenmus“ – immer lauter schwillt der Sprechchor der Studierenden an: arabisch-deutsche Assoziationen rund um die Silben „mus“ und „muss“. Die Wortreihe endet bald auf „Ismen“: „Rassismus, Faschismus, Antisemitismus. Welcome to Germany!“ ruft der Chor und klatscht sich selbst Applaus, der nach diesen Worten wenig fröhlich oder bestätigend klingt.

Der plötzliche Stimmungswechsel zu Beginn der Vorstellung eines Arabistik-Seminar an der Freien Universität Berlin nimmt schon vorweg, was in den folgenden eineinhalb stunden zum Ausdruck kommt. Denn die Frage, was es heißt in Deutschland auch seine arabische Identität zu leben, beantworten die Studierenden mit ambivalenten Erfahrungen und Haltungen: von warmen Erinnerungen und lustigen Begegnungen bis hin zu zynischer Distanz und Enttäuschung darüber, immer wieder als fremd in Deutschland markiert zu werden.

Wo man sich zuhause fühlt

Wo liegt also Heimat, wenn man etwa mit tunesischen Wurzeln hier lebt? „Dort, wo die Hitze frisch gebackenes Brot gleich wieder trocken macht“, wo „Gelächter, Trauer und Wut keine Dämmung erfahren“ und „Regen und der Boden verstritten sind“, „wo der Wind Wüstensand in die Häuser treibt“, lautet die Antwort einer Studentin. Und: „Wo meine Sprache Berechtigung erfährt.“ Ihre Überlegungen stellen die Studierenden in eigenen Texten, Gedichten und Szenen dar.

Heimat ist, wo Gelächter, Trauer und Wut keine Dämmung erfahren.

Studentin des Arabistik-Seminars an der FU Berlin

Eine andere Antwort verbindet das Arabische mit dem „Grün der Oliven aus Palästina“ und dem „Weiß des Yasminblüte aus Syrien“. Eine junge Frau verweist in ihrem Beitrag auf die modernen Liebesgedichte des Syrers Nizar Qabbani, die auch viele Popsongs inspirierten.

In den Vorträgen mischt sich Deutsch, das im Kurs Verkehrssprache war, mit arabischen Dialekten. Die meisten Teilnehmenden würden den syrischen, den palästinensischen und den libanesischen Dialekt sprechen, erklärt die Kursleiterin Susana AbdulMajid nach der Veranstaltung. AbdulMajid, die den irakischen Dialekt spricht und selbst im Master an der FU studiert, hat das Seminar zusammen mit Ruben Schenzle, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Arabistik, geleitet.

Zugang zu einer „inneren Welt“ schaffen

Die beiden lernten sich in einem Übersetzungskurs kennen, so sei die Idee für das Format entstanden: „Ruben übernimmt den Theorieteil, ich mache den kreativen Anteil und das Coaching für den Auftritt“, erzählt AbdulMajid, die als ausgebildete Schauspielerin bereits Engagements an der Schaubühne und dem Berliner Ensemble hatte. Zu dem sehr persönlichen Thema der Identität mit Körper und Stimme zu arbeiten, hätte den Studierenden einen besonderen Zugang ermöglicht, betont sie: „Dadurch ist bei vielen eine Tür aufgegangen zu einer inneren Welt, mit der sie sich so genau vielleicht noch gar nicht befasst haben.“

Zu der gehören auch Frust. Dem macht eine Berlinerin in ihrem Vortrag Luft: „Ich musste immer wieder beweisen, dass ich deutsch bin, das kostete Zeit, Nerven und Kraft. Irgendwann hab ich aufgegeben.“ Mit Stolz auf nationale Herkunft könne sie, die auch Palästinenserin ist, wenig anfangen, das suche man sich schließlich nicht aus. Bewusst entschieden habe sie sich dagegen für den Islam: „Das ist meine Entscheidung. Ich bin Mensch.“

Ein Land, in dem ein rassistischer Angriff zum Dönermord erklärt wird.

Studentin des Arabistik-Seminars in ihrer Reflektion zu Deutschland

Dass für einige der jungen Menschen im Kurs die Religion den Zugang zur arabischen Kultur schafft und einen so hohen Stellenwert hat, habe ihn tatsächlich ein wenig überrascht, sagt Ruben Schenzle. Gleichzeitig deutet sich in vielen Szenen auch eine mögliche Erklärung, dafür an: Weil der Glaube hilft, sich weniger fremd zu fühlen. Und das in einem Land, das – wie manche Texte anklagen – lediglich „von Ausländerfeindlichkeit spricht, wenn Menschen in Hanau sterben“, in dem ein rassistischer Angriff zunächst zum „Dönermord“ erklärt wird, in dem in der Drogerie Müller nicht arbeiten darf, wer ein Kopftuch trägt. „Hier bleiben wir Passdeutsche, also bleibe ich lieber Muslim“, lautet das Fazit einer Sprecherin.

Felsen bei Kebili in Tunesien: Auch in diesem Land haben manche Teilnehmenden des Seminars Wurzeln – die sie in teils sehr poetischen Texten verarbeitet haben.

© akg-images / Gerard Degeorge

Andere fassen die vielen Seiten ihrer mehrsprachigen Identität in ganz weltliche Bilder und Erinnerungen: den Geruch von frischem Fladenbrot, mit dem türkischen Onkel 70er-Jahre-Komödien auf der Couch gucken, die Sängerin Fairouz hören, die Großeltern in Tunesien besuchen, sich als Kind auf Fasching freuen, um mal jemand ganz anderes zu sein.

Autobiographie und Verfremdungsmittel

Der Ansatz des Seminars sei eigentlich nicht autobiographisch gewesen, betont AbdulMajid. Sie hätte vielmehr zum Verfremden ermutigt, um zu abstrahieren und neue Gedankengänge anzustoßen. Auch mit Themen, die in der arabischen Kulturen oft tabuisiert werden, hätten sie sich befasst, etwa über die Lektüre von „Sex und die Zitadelle“ von Shereen El Feki. Dies zur Aufführung zu bringen, so weit seien sie aber nicht gekommen. „Für Manche war es das erste Mal, bestimmte Fragen so offen zu stellen“.

Ganz persönlich wiederum ist der Beitrag eines Studenten, der als Palästinenser zuvor in Syrien lebte und erst vor einigen Jahren nach Deutschland kam. Von Salafisten würde er hier als „Bruder“ begrüßt, erzählt er, empört wie belustigt. Und stellt klar: „Ich bin säkular, und in einem anderen Kontext würdest du gern mit meinem Kopf Fußball spielen!“ Ebenso wenig lässt einen kalt, wie er das Ankommen in Deutschland reflektiert. Er wundert sich über das Wort „Asylbewerber“ und bemerkt, bei einen Job oder um einem Stipendium mache das „Bewerben“ ja durchaus Sinn. Wenn es um die Existenz gehe, verstehe er das aber nicht: „Worum bewerbe ich mich? Um eine ,Lebensstelle’, um einen Platz auf der Welt.“

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