zum Hauptinhalt
Sitz der Wirecard AG in Aschheim (Archivbild)

© Imago/Sven Simon | Bearbeitung: Tagesspiegel

Prozess um Millionenbetrug : Haben wir etwas aus dem Wirecard-Skandal gelernt?

Der Prozess gegen die früheren Wirecard-Manager Markus Braun und Co wird nach einer Unterbrechung nun fortgesetzt. Sind Lehren gezogen worden aus der Affäre? Drei Fachleute geben ihre Einschätzung.

Bald drei Jahre sind seit dem Beginn des Wirecard-Skandals vergangen. Der Prozess gegen die verantwortlichen Akteure nimmt seinen Lauf. Im Rahmen unserer Serie „3 auf 1“ fragen wir drei Expert:innen, ob wir etwas aus dem Betrugskomplex um Wirecard gelernt haben? (Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.)


Die Bafin ist eine mutigere Behörde geworden

Definitiv. In verschiedenen Bereichen wurden oder werden Lehren aus dem Wirecard-Fall gezogen – von den Wirtschaftsprüfern über die Struktur der deutschen Geldwäscheaufsicht bis hin zur Regulierung von Konzernstrukturen und Auslagerungen.

Die Bafin hatte in der Vergangenheit nicht alle Erwartungen erfüllt. Es war Zeit für eine Reform. Ende 2021 haben wir das größte Modernisierungsprojekt in der zwanzigjährigen Geschichte der BaFin abgeschlossen und befinden uns seitdem in der Transformationsphase. Wir haben die Bafin umgestaltet, haben klare Ziele formuliert; wir setzen Prioritäten risikoorientiert und arbeiten zeitgemäßer. Dazu gehört auch, dass wir im Haus sehr viel enger miteinander vernetzt sind.

Wir arbeiten außerdem deutlich transparenter als früher. Ein Beispiel ist die Bilanzkontrolle. Die liegt jetzt komplett bei uns, und wir haben sie nicht nur stärker auf die größten Risiken getrimmt.

Wir können jetzt auch früher und umfangreicher öffentlich machen, was wir tun. Die Bilanzkontrolle ist ein risikoorientiertes Instrument, mit dem wir für einen sauberen Kapitalmarkt sorgen wollen, um Anlegerinnen und Anleger besser schützen zu können. Dabei geht es längerfristig vor allem um Prävention.

Markus Braun, der frühere Chef von Wirecard, vor Gericht.

© dpa/Frank Hoermann/Sven Simon

Das gilt im Übrigen für die gesamte Aufsicht: Wir möchten eine seriöse, fehlerfreie Finanzberichterstattung. Wir wollen, dass die Unternehmen, die wir beaufsichtigen, ihre Geschäftsorganisation, ihre Risiken und ihre Geldwäscheprävention im Griff haben. Und wir verfolgen das Ziel unseriöse und betrügerische Akteure abzuschrecken. Das ist der Grund dafür, dass wir heute öfter und schneller Maßnahmen und Prüfungsergebnisse veröffentlichen. Wir sind eine ‚mutigere‘ Behörde geworden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Unterm Strich bedeutet das: Wir sind heute deutlich besser aufgestellt. Wir haben mehr Befugnisse, die wir konsequent nutzen. Können wir an dem Punkt stehenbleiben? Sind wir nach ein paar Jahren am Ziel? Sicher nicht. Unser Change-Prozess hört im Grunde nie auf, und wir haben durchaus ambitionierte Ziele, um die deutsche Finanzaufsicht noch schlagkräftiger und moderner zu machen.


Der Skandal hat grundlegende Reformen angestoßen

“Never let a good crisis go to waste” soll Winston Churchill gesagt haben. Der deutsche Gesetzgeber hat das nach Wirecard beherzigt. Der Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft muss ein Kontroll- und Risikomanagementsystem einführen, der Aufsichtsrat bestimmter Unternehmen einen Prüfungsausschuss einrichten. Der Wirtschaftsprüfer muss häufiger rotieren, die Haftung ist verschärft.

Grundlegend reformiert wurden die Befugnisse der Bafin. Sie ist enger mit Börsenaufsichtsbehörden vernetzt, erhält neue Kompetenzen bei der Bilanzkontrolle und kann die Öffentlichkeit früher informieren. Ins Stocken geraten ist hingegen das Hinweisgeberschutzgesetz, der Bundesrat hat Anfang Februar die Zustimmung verweigert.

Gerade Unternehmensskandale wie Wirecard zeigen aber die Bedeutung von Whistleblowern. Sie sind mitunter freier von verhaltenspsychologischen Effekten, etwa Gruppendenken innerhalb der Unternehmensführung, und können deshalb wertvolle Hinweise zur Aufdeckung von Betrug liefern.


Zu früh für Entwarnung auf der ganzen Linie

Es wäre vermessen zu behaupten, Politik und Behörden hätten gar nichts aus dem Wirecard-Skandal gelernt. Dank Reformen und Personalwechseln scheint sich etwa die Lage bei der Finanzaufsicht Bafin gebessert zu haben. Bei der Aufdeckung von Wirecard demonstrierte die Behörde noch eine Inkompetenz, die sprachlos machte. Diese Zeiten scheinen vorbei, für Entwarnung auf ganzer Linie ist es jedoch deutlich zu früh. Immerhin: Es hat sich wirklich etwas getan.

An anderen Stellen lässt sich das nicht sagen. Bei den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gibt es weiter unzählige Interessenskonflikte. Aus dem zu großen Einfluss der Wirecard-Lobby wurden zu wenig Konsequenzen gezogen. Die Probleme bei der Anti-Geldwäscheeinheit FIU sind keineswegs behoben: Rund 100.000 Geldwäsche-Verdachtsmeldungen liegen dort unbearbeitet herum. Weitere 189.000 haben einen unklaren Status. An viel zu vielen Stellen wurden die Hausaufgaben also schlampig oder gar nicht gemacht. Dadurch ist ein Wirecard 2.0 leider möglich.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false