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Um 41 Cent soll der Mindestlohn in der ersten Stufe steigen. In einer zweiten, späteren, ebenfalls.

© Tagesspiegel/Michael Hübner

Kommission beschließt neuen Mindestlohn: Wie angemessen ist die Erhöhung um 41 Cent?

Nach über 13 Stunden Sitzung stand der Beschluss über die Anpassung des Mindestlohns. Ist die Entscheidung in der Höhe angemessen? Drei Meinungen.

Die Mindestlohnkommission hat trotz Rekordinflation eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1.1.2024 von 12 Euro pro Stunde auf 12,41 Euro und zum 1.1.2025 auf 12,82 Euro vorgeschlagen. Gewerkschaften hatten eine Erhöhung auf 13,50 Euro gefordert. Ist die Erhöhung um 41 Cent angemessen? Alle Folgen unseres Formates „3 auf 1“ finden Sie hier.


Die Mindestlohnerhöhung hat positive wie negative Effekte  

Bis zu der Entscheidung der Bundesregierung, den Mindestlohn in einem einmaligen Schritt im Oktober 2022 von 10,45 auf zwölf Euro zu erhöhen, hatte man in der Mindestlohnkommission den Arbeitsmarkt im Blick. Dazu orientierte sich das Gremium an der vorausgegangenen Entwicklung der Tarifeinkommen. Die Bundesregierung hat dann eingegriffen, was sie nicht hätte tun sollen. Wir hoffen schon, dass das eine einmalige Sache war.

Eine Erhöhung des Mindestlohns hat positive und negative Effekte, denn eine zu starke Anhebung kann zu Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führen, indem Beschäftigungsverhältnisse unrentabel werden und Arbeitsplätze verschwinden. Bislang hat der gesetzliche Mindestlohn aber keine großen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Alles in allem sollte man die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befähigen, produktiver zu werden, dann kann man auch höhere Löhne und Gehälter zahlen.


Die erneute Lohnsteigerung ist eine Herausforderung für Unternehmen 

Der Dehoga hatte in der Anhörung angeregt, die nächste Mindestlohnerhöhung erst zum 1. Oktober 2024 in Kraft zu setzen – also zwei Jahre nach der außerplanmäßigen Erhöhung auf zwölf Euro und damit im ursprünglich vorgesehenen Rhythmus. Das hätte den Betrieben, die in den letzten Monaten laut Dehoga-Umfrage von Anfang April bereits Personalkostensteigerungen von durchschnittlich 21,5 Prozent zu verkraften hatten, etwas Luft verschafft.

Dem ist die Kommission nicht gefolgt, sie hat aber zumindest die richtige Entscheidung getroffen, die Entwicklung des Tarifindex auf die letzte Kommissionsentscheidung, also auf 10,45 Euro, zu beziehen und nicht auf den rein politischen Wert von zwölf Euro. Nur zwei Dehoga-Tarifverträge sind unmittelbar betroffen und werden durch die erste Erhöhungsstufe ab Januar 2024 auf 12,41 Euro überholt. Dennoch bleibt es eine Herausforderung für die Unternehmen, die erneuten Lohnsteigerungen zu erwirtschaften – schließlich trifft die Inflation nicht nur die Beschäftigten, sondern ebenso Betriebe und Gäste.


Die Diskrepanz zwischen Rekordinflation und geringer Lohnerhöhung verschärft die bereits unsoziale Krise

Die Arbeitgeber zeigen sich weitestgehend zufrieden. Die Gewerkschaften sind enttäuscht. Doch tatsächlich trifft die Entscheidung der Mindestlohnkommission letzten Endes arbeitende Menschen vor allem aus dem Niedriglohnsektor.

Um 41 Cent oder 3,4 Prozent soll der Mindestlohn zum Jahreswechsel steigen. Dagegen steht eine Rekordinflation von sieben Prozent im Jahr 2022 und voraussichtlich sechs Prozent 2023. Wie das zusammenpasst? Gar nicht.

Dazu zeigt beispielsweise der Inflationsmonitor der Hans-Böckler-Stiftung, dass Preiserhöhungen Mindestlohnempfänger, also Menschen mit geringem Einkommen, deutlich stärker treffen als Durchschnittsverdienende. Sie geben ihr Geld nämlich vor allem für Lebensmittel aus. Doch genau diese Preise sind in den vergangenen Monaten am meisten gestiegen. Die Folge? Der Gürtel bekommt ein weiteres Loch und wird nochmal enger geschnallt. Der Gang zur Tafel wird wahrscheinlicher und der Schuldenberg wächst.

Der Abstand zum Medianlohn droht nun also doch wieder größer zu werden. Das widerspricht dem Auftrag der Mindestlohnkommission und verschärft die bereits unsoziale Krise noch weiter.

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