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Vorstellung eines intelligenten Roboterhunds während einer internationalen Digitalkonferenz in China. Die Entwicklung künstlicher Intelligenz macht rasante Fortschritte.

© IMAGO/ZYJ/VCG

Ausverkauf von Schlüsseltechnologien: Der Westen war zu lange blauäugig

Die großen Tech-Konzerne pflegen intensive politische und geschäftliche Beziehungen zu China. Damit muss Schluss sein, fordert Cybersicherheitsexperte Dennis-Kenji Kipker.

Ein Gastbeitrag von Dennis-Kenji Kipker

Spätestens seit das Bundeskabinett in diesem Sommer seine neue China-Strategie beschlossen hat, ist klar: Deutschland wird seine Rolle gegenüber der Volksrepublik nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und technologisch überdenken müssen.

Mit der Technologiefrage eng verbunden ist zwangsläufig auch die Rolle der wissenschaftlichen Forschung: Hieß es in der Vergangenheit vor allem, die verfassungsrechtlich verankerte Wissenschaftsfreiheit genieße Vorrang vor allem, ist man auch hierzulande zurückhaltender geworden.

Nüchtern stellte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger seinerzeit fest, dass man sich zukünftig sorgsam von „Interessen und Werten“ leiten lassen müsse, um „Vorsorge zur Vermeidung von Abhängigkeiten in Kooperationen voranzutreiben“ und für die „Diversifizierung von Wertepartnern“ zu sorgen. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Und viel wichtiger noch: Warum ist es überhaupt so weit gekommen?

China ist längst mehr als die „Werkbank der Welt“

Lange Jahre haben sich westliche Industrienationen auf ihrer vorhandenen technischen Überlegenheit ausgeruht – Outsourcing nach Fernost schien nicht nur der Politik, sondern vor allem auch westlichen Konzernen nur als willkommenes Mittel, um die betriebswirtschaftliche Kalkulation aufzubessern.

Doch die technologiepolitische Situation hat sich gravierend geändert und die entsprechenden Vorzeichen haben sich schon seit Jahren angebahnt: China ist schon lange nicht mehr nur die „Werkbank der Welt“, sondern selbst Hochtechnologienation, die mehr und mehr nach globalpolitischer Wahrnehmung und Anerkennung strebt.

Nicht ohne Grund spricht die Bundesregierung in ihrer neuen Strategie von „Wettbewerb und systemischer Rivalität“ einerseits, andererseits aber auch über die Gefährdung unserer freiheitlich-demokratischen Lebensweise und unseres Wohlstandes, der in den Jahrzehnten des Technologieexports für selbstverständlich gehalten wurde.

Dass dem jedoch nicht so ist, dürfte mittlerweile den allermeisten bewusst sein. Der entsprechende Weckruf kam allerspätestens vor einem Jahr, als die Künstliche Intelligenz von einem Mal auf das andere salonfähig wurde und uns allen vor Augen geführt hat, dass Innovationen in kritischen Sektoren immer schneller sein werden als das Verständnis für ihre langfristigen Auswirkungen.

Während Politiker:innen hierzulande und in der EU, aber auch in den USA, noch darüber diskutieren, wie man mit den neuen Entwicklungen Schritt halten kann, werden andernorts längst Tatsachen geschaffen und es wird Geschichte geschrieben: KI wird missbraucht zu autonomer Kriegsführung, Desinformationskampagnen in nie gekanntem Ausmaß, Cyberangriffen und zu tiefgreifenden Massenüberwachungsmaßnahmen, die unsere Bürgerrechte verletzen.

Die Welt befindet sich nicht nur geopolitisch, sondern auch technologisch im Umbruch und immer mehr fühlen wir uns ohnmächtig im Angesicht der neuen Hiobsbotschaften, die täglich über uns hereinprasseln.

Und dennoch scheinen die negativen Folgen des KI-Missbrauchs noch nicht massiv genug zu sein: Denn nach wie vor unterhalten internationale Konzerne – allen voran Microsoft einerseits über seine Cloud-Plattform Azure China mit über 900 Millionen Abonnenten, andererseits über die strategischen Partnerschaften des Konzerns mit Unternehmen wie Lockheed Martin und dem öffentlichen Sektor in den Bereichen nationale Sicherheit, Verteidigung und Nachrichtendienstwesen umfassende KI-Geschäftsbeziehungen zum Reich der Mitte.

Die großen Tech-Konzerne dieser Welt müssen sich mehr denn je ihrer enormen Verantwortung bewusst werden.

Dennis-Kenji Kipker, Cybersicherheitsexperte

Doch nicht nur Microsoft ist hiervon betroffen, sondern ebenso Unternehmen wie Amazon Web Services und Meta, die in der Entwicklung und Anwendung der künstlichen Intelligenz intensive Beziehungen unter anderem zu chinesischen Forschungsinstitutionen und staatlichen Einrichtungen pflegen. Selbst CEO Mark Zuckerberg stellte bei einer US-Kongressanhörung im Juli 2020 deutlich die Kritikalität der Zusammenarbeit von Big Tech mit chinesischen Regierungseinrichtungen im Hochtechnologiebereich heraus.

Tech-Konzerne müssen verantwortungsbewusst handeln

Klar ist somit: Selbst Tech-Riesen wie Amazon, Meta oder Microsoft, die allein schon aufgrund ihrer nahezu unkontrollierbaren Marktmacht eigentlich eine Vorbildfunktion in der wissenschaftlichen Entwicklung und Nutzung von disruptiven Schlüsseltechnologien haben sollten, unterhalten intensive politische und geschäftliche Beziehungen zu Staaten, von denen bekannt ist, dass sie die künstliche Intelligenz nicht nur zum Wohl der Menschen, sondern auch zu ihrem Nachteil, ihrer Unterdrückung und Diskriminierung einsetzen – und dazu gehört gerade auch die Volksrepublik China.

So hat sich die Kommunistische Partei bereits seit mehreren Jahren das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 die globale Vorherrschaft in der KI zu erreichen. Diese Bestrebung wird nicht nur durch den politischen Apparat unterstützt, sondern durch nachrichtendienstliche Aktivitäten, strategische Interventionen, wirtschafts-, wissenschafts- und technologiepolitische Maßnahmen sowie militärische Entwicklungen weiter vorangetrieben.

Was ist im Angesicht dieses Dilemmas also zu fordern? Wir müssen endlich aufhören, blauäugig kritische Schlüsseltechnologien in Staaten zu exportieren, von denen wir wissen und sicher behaupten können, dass sie grundlegende menschenrechtliche Werte und Freiheiten missachten – und die keineswegs selbstverständlich sind, auch wenn es nach Jahrzehnten des scheinbar unlimitierten Wohlstands so scheinen mag.

Die großen Tech-Konzerne dieser Welt müssen sich mehr denn je ihrer enormen Verantwortung bewusst werden, denn schon lange geht es nicht mehr um die bloße Verschönerung betriebswirtschaftlicher Bilanzen durch das Eingehen von Forschungs- und Technologiekooperationen zur Befriedigung von Aktionären und Anteilseignern. Und erst recht kann die Unkenntnis über das zukünftige Risiko neuer Technologien keine Ausrede dafür sein, um eine Eindämmung jener eminenten Risiken zu verzögern, die sich bereits jetzt realisieren.

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