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Waren zwischen China (hier links Präsident Xi Jinping) und dem Westen fließen weiter, inzwischen aber häufiger über Mittelländer wie Vietnam (hier rechts Premierminister Pham Minh Chinh).

© AFP/NHAC NGUYEN

Durch nationale Politik unter Druck: Die wirtschaftliche Globalisierung ist auf dem Rückzug

Der Anteil des internationalen Handels an der Weltwirtschaft ist 2023 zwar gleich geblieben. Doch wertvolle wissenschaftliche Kooperationen zerbrechen. Zudem sinken ausländische Direktinvestitionen.

Ein Gastbeitrag von Adam Posen

Globalisierung ist nicht alles oder nichts. Sie ist ein vielschichtiges Gefüge, das sich aus verschiedenen Formen wirtschaftlicher Verbindungen über Grenzen hinweg zusammensetzt. Der internationale Warenhandel steht im Mittelpunkt des Interesses, nicht zuletzt in einer Exportnation wie Deutschland.

Grund dafür ist politischer Druck und weil sich seine Daten zu so leicht darstellen lassen. Dabei sind andere Aspekte der grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Integration für das menschliche Wohlergehen mindestens ebenso wichtig.

2023 ist die Globalisierung zerstört, nicht beendet oder rückgängig gemacht worden. Es gibt Löcher im Gewebe, Stellen, an denen es ausfranst oder sich nicht mehr so gleichmäßig ausbreitet wie früher. Die Zunahme geopolitischer Konflikte und der anhaltende Rückzug der US-Regierung aus internationalen Regeln sind die Ursache für diese Unausgeglichenheit.

Es gibt jedoch nach wie vor Bereiche, in denen sich die Globalisierung auf mehreren Ebenen gleichzeitig ausbreitet, etwa in den Beziehungen der EU zu den Schwellenländern und in Asien (außer China). Der Nettoeffekt ist eine Schwächung der Globalisierung, aber nicht so katastrophal, wie manche es gerne hätten.

Waren aus China gelangen über Umwege immer noch in die USA und umgekehrt

Insbesondere der Handel mit Industriegütern hat sich bei allem Zähneknirschen über die Lieferketten als sehr widerstandsfähig erwiesen. Dies zeigt sich darin, dass der Anteil des gesamten internationalen Handels an der Weltwirtschaft unverändert geblieben ist. Selbst in den äußerst umstrittenen Handelsbeziehungen zwischen China und den USA – die durch Zollschranken, Sanktionen und Ausfuhrkontrollen eingeschränkt werden – hat sich der Handel eher verlagert als verringert. Verfolgt man die Lieferketten bis zu den Ursprüngen von Design, Komponenten und Eigentum zurück, so gehen chinesische Waren nach wie vor in die USA und umgekehrt – sie machen auf ihrem Weg nur in Vietnam, Indonesien oder Mexiko Halt.

Die positiven Auswirkungen auf diese kleineren Volkswirtschaften können erheblich sein, da Gewinne und Arbeitsplätze dorthin verlagert werden. Die Folgen für die privaten und gewerblichen Endverbraucher sowie für die ursprünglichen Produzenten sind jedoch negativ. Durch den Umweg sinken die Größenvorteile, was zusammen mit zusätzlichen Transportkosten und Gewinnaufschlägen dafür sorgt, dass die Preise steigen. Da diese Standortverlagerung (per Definition) mit der Schaffung überflüssiger Produktionslinien verbunden ist und (in der Praxis) nicht auf Effizienz, sondern auf die Vermeidung politischer Risiken ausgerichtet ist, bedeutet sie eine ziemlich teure Versicherung gegen Lieferkettenunterbrechungen.

Zwei Aspekte der Globalisierung, die sich als anfälliger erwiesen haben, werden indes weniger beachtet: Die Aufkündigung wissenschaftlicher Zusammenarbeit im pazifischen Raum und weniger stark auch zwischen der EU und China hat sich beschleunigt. In westlichen Laboren sorgen die Ängste der Regierungen um die nationale Sicherheit für einen Mangel an qualifizierten MINT-Studierenden – samt den von ihnen geleisteten Arbeits- und Studiengebühren – und zu einem geringeren Rückfluss von Humankapital nach China.

Dies wird das Innovationstempo in vielen Wissenschaftsbereichen verringern. Wenn dies so weitergeht und durch nationale Sicherheitsbarrieren und Autarkiebestrebungen noch verstärkt wird, wird das zu unterschiedlichen technologischen Standards führen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die eine oder andere Seite der Weltwirtschaft technologisch weniger dominiert.

Ausländische Direktinvestitionen sind drastisch gesunken

Die ausländischen Direktinvestitionen, also der Kauf von Unternehmen oder der Bau von Anlagen durch ein multinationales Unternehmen jenseits seines Heimatlandes, sind drastisch gesunken, vor allem in China. Dieser Einbruch spiegelt zum Teil den „Economic Long COVID“ wider, unter dem der chinesische Privatsektor aufgrund der eher autokratischen Herrschaft von Präsident Xi leidet.

Zusammen mit den Hürden für chinesische Übernahmen deutscher und amerikanischer Unternehmen führt dies jedoch dazu, dass äußerst produktive und profitable Beziehungen enden und unternehmerische Netzwerke zerbrechen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Gefühl der Zugehörigkeit, die mit grenzüberschreitenden Investitionen einhergehen, gehen verloren und damit auch das Verständnis füreinander.

2023 hat sich der internationale Handel als widerstandsfähig erwiesen, genau wie die deutsche Wirtschaft, die ihn fördert. Grenzüberschreitende wissenschaftliche und direkte Geschäftsbeziehungen sind jedoch durch die nationale Sicherheitspolitik stärker unter Druck geraten, und es ist eher eine zunehmende Abwicklungsdynamik im Gange. Es gibt auch keinen klaren Ersatz für den wissenschaftlichen Austausch zwischen China und den G7-Staaten, so wie es ihn für die Verlagerung der Industrieproduktion in Zwischenländer gibt. Die Globalisierung zerfällt an einigen Schlüsselstellen, auch wenn sie an einigen anderen weiter steigt.

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