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„Architektur ist viel politischer, als wir denken“, sagt Elisabeth Broermann.

© Christian Kielmann

„Wir bauen, als gäbe es kein Morgen“: Warum die Ökobilanz im Bausektor so verheerend ist

Die Architektin und Gastprofessorin Elisabeth Broermann spricht im Interview über gesundes und soziales Bauen.

Von Barbara Halstenberg

Wie sieht ein gesunder Bausektor aus?
Das lässt sich auf mehrere Ebenen beziehen. Unmittelbar persönlich betrachtet verbringen wir 90 Prozent unserer Lebenszeit in Innenräumen, da macht es schon einen Unterschied, ob die Materialien und Farben um uns herum natürlichen Ursprung sind, atmungsaktiv, feuchteausgleichend und schadstofffrei. Mit nachwachsenden, biobasierten Baustoffen liegt man da schon mal richtig. Doch global gesehen verbraucht der Bausektor 90 Prozent aller nicht nachwachsenden, mineralischen Rohstoffe. Gleichzeitig verursacht er mehr als die Hälfte des Müllaufkommens in Deutschland sowie 40 Prozent der CO2-Emissionen.

Wir bauen, als gäbe es kein Morgen und wirtschaften über unsere Kapazitäten hinaus. Diese mehr als ungesunde Ökobilanz führt dazu, dass wir unsere eigene Existenzgrundlage und die Zukunft unserer Kinder zerstören. Hinzu kommt, dass viele konventionelle Baustoffe im Ausland unter zweifelhaften Bedingungen abgebaut werden. Stattdessen könnten wir auf regionale, nach wachsende Baustoffe mit fairen Arbeitsbedingungen setzen.

Und wie ist die Lage beim sozialen Wohnungsbau?
Auch da krankt das System. Während zum Beispiel wenige auf sehr großem Fuß leben, durch Spekulationen oder Mehrfachwohnsitze die Preise nach oben treiben, suchen viele andere verzweifelt nach bezahlbarem Wohnraum. Die Politik meint, dass Neubau der Schlüssel zur Heilung ist.

Tatsächlich täten es eine faire Bodenpolitik, mehr Bestandsschutz und eine soziale Wohnungsgemeinnützigkeit, in der die Preisbindungen nicht auslaufen. Aufstockung, die Nutzung von Leerstand – das geht schnell, ist gut angebunden und ökologisch sinnvoll, weil keine neue Fläche versiegelt wird. Daneben bleibt die Graue Energie der Bestandsgebäude, die für Bau, Herstellung und Transport aufgewendet wurde, erhalten. Auch brauchen wir mehr Bewegung im Wohnungsmarkt entsprechend der Lebensphasen, zum Beispiel mehr Angebote zum Wohnungstausch bei gleichbleibenden Mieten und Umzugsunterstützung.

Im aktuellen Semester beschäftigen sich Ihre Studierenden mit dem Konzept „Housing First“, das Obdachlosen als erste Maßnahme eine Wohnung verschafft. Welche Rolle spielt da die Architektur?
Architektur ist viel politischer, als wir denken. Sie prägt unsere Städte, unsere Gesellschaft und die Art, wie wir zusammenleben wollen. Architektur kann dabei ausgrenzend oder inklusiv gestaltet werden. Baupolitik kennt viele Hebel, um über Architektur und Baugesetze soziale Gleichberechtigung zu erzielen oder eben auch nicht.

Beim Thema „Housing First“ geht es darum, dass eine Meldeanschrift in Deutschland entscheidend ist, um Arbeit zu finden, kranken- und sozialversichert zu sein. Aktuell entwerfen die Studierenden klimaverträgliche Umbau- und Sanierungsvorschläge für das ehemalige Schwesternwohnheim der Charité in der Habersaathstraße, in dem viele Obdachlose leben. Die Eigentümerin will es abreißen, um mehr Wohnfläche zu schaffen. Wir lassen uns von Betroffenen ihre Situation zeigen, schauen uns bereits umgesetzte Projekte zum Thema an, diskutieren mit Politiker:innen sowie Aktivist:innen und erarbeiten dann Lösungen und Forderungen an Politik und Öffentlichkeit.

Studierende haben mit Ihnen im letzten Semester Entwürfe für eine neue Berliner Bauakademie erarbeitet, die nachhaltiges und zukunftsfähiges Bauen repräsentiert. Hat bei den Studierenden möglicherweise schon ein Umdenken stattgefunden?
Die Studierenden sind da viel weiter als der Rest der Branche. Das ist ja das Fatale. Sie rennen uns die Bude ein, sie spüren den Druck zur Veränderung und haben auch den Willen dazu, schließlich geht es um ihre Zukunft. Sie verstehen, dass die Bauwende notwendig ist und kommen wird, aber sie vermissen die zukunftsgerichtete Ausbildung. Sie finden einfach noch zu wenig Angebote dazu an den Hochschulen und treffen auf mangelndes Wissen in den Büros, wo die ältere Generation an den Entscheidungshebeln sitzt.

Hier sehen wir am Institut für Architektur eine Bewegung in die richtige Richtung. Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Bauen im Bestand spielen eine immer größere Rolle. Es braucht aber mehr Geschwindigkeit. Besonders die Baubranche hat die Warnungen der Wissenschaft jahrzehntelang ignoriert. Jetzt ist es höchste Zeit zu handeln. Die Studierenden wissen das. 

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