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Erste Kiezblock-Maßnahme in Weißensee: Die am häufigsten als Schleichweg benutzte Bizetstraße ist jetzt eine Fahrradstraße.

© Christian Kielmann

Tempolimit, Fahrradstraßen, viel Grün: Wie Kiezblocks vor Verkehrslärm schützen sollen

Für die Anwohner des Komponistenviertels in Weißensee war die Situation untragbar geworden. Der Grund: zu viel Durchgangsverkehr. Das soll sich jetzt ändern.

Von Sybille Nitsche

Mehr als 6000 Kraftfahrzeuge an einem Tag auf einer Nebenstraße. Autos, die sich blockieren, weil die Straßen zu eng sind. Bis zu 50 Prozent des Autoverkehrs durch Menschen, die gar nicht im Viertel wohnen. In zwei Jahren mehr als 1000 Verkehrsunfälle mit Sachschäden und Verletzten, davon 14 schwer. Und besonders für Kinder schlechte Sichtverhältnisse beim Überqueren der Straßen wegen zugeparkter Straßen. Kurz: Blech, Lärm, Stress. Und das alles, weil Autofahrer:innen keine Lust haben, auf den umliegenden Hauptverkehrsstraßen im Stau zu stehen.

2020 war die Situation für die Anwohner:innen im Komponistenviertel in Weißensee wegen des Durchgangsverkehrs untragbar geworden. Eine Lösung musste her. Die fand sich im Mobilitätsbericht und hieß Kiezblock .„Kiezblocks sind städtische Wohnquartiere ohne Durchgangsverkehr, mit Tempolimit, Fahrrad- und Spielstraßen sowie einladend gestalteten Straßenräumen mit viel Grün“, sagt die Professorin für Integrierte Verkehrsplanung Christine Ahrend. An ihrem Fachgebiet wurde der Mobilitätsbericht unter Leitung von Oliver Schwedes zusammen mit der TU Dresden und dem Bezirksamt Pankow erarbeitet.

Im Sommer dieses Jahres wurden die ersten Maßnahmen, die den Durchgangsverkehr aus dem Komponistenviertel verbannen sollen, umgesetzt: Die am häufigsten als Schleichweg benutzte Bizetstraße wurde als Fahrradstraße ausgewiesen und acht zusätzliche Einbahnstraßen wurden angelegt.

All das geschah nicht über die Köpfe der Anwohner:innen hinweg, sondern wurde in einem intensiven Diskussionsprozess mit ihnen ausgehandelt. Die Einbindung der Bevölkerung von Beginn an ist auf die wissenschaftliche Begleitung durch die TU Berlin und die TU Dresden zurückzuführen. „Um nicht an den Bedürfnissen der Menschen vorbeizuplanen und höchstmögliche Akzeptanz zu schaffen – die Betonung liegt auf höchstmöglich, denn eine hundertprozentige Zustimmung zu erhalten ist eine Illusion, die letztendlich zum Nichtstun führt –, wurde auf unseren Vorschlag hin ein Projektbeirat aus 14 Leuten eingerichtet“, sagt Christine Ahrend. „Dieser repräsentiert die extrem unterschiedlichen Ansprüche an Mobilität im Viertel – die von Handwerkern, Gewerbetreibenden, Jugendlichen, Senior:innen, Menschen mit Migrationsbiografie und Behinderungen, von enthusiastischen Radfahrer:innen genauso wie von bekennenden Autofahrer:innen“, erläutert Christine Ahrend.

Der Stopp von fünf geplanten und angeordneten Radwegen durch die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt war aus fachlicher verkehrswissenschaftlicher Perspektive nicht begründbar.

Christine Ahrend

Neben dem Kiezblock finden sich im Mobilitätsbericht viele weitere praktische Handlungsvorschläge, um Verkehr umwelt- und ressourcenschonend, gesund und sicher, vielseitig und sozial gerecht zu gestalten. Die Vorschläge reichen von der Einführung eines betrieblichen Mobilitätsmanagements, der Priorisierung von Rad- und Fußverkehr in Um- und Neubaugebieten sowie deren gute Erschließung durch den ÖPNV bereits bei Beginn der Planung, über geschützte Radwege auf allen Hauptstraßen bis hin zur unpopulären, aber notwendigen Umwidmung von Parkplätzen.

„In unserem datenbasierten Mobilitätsbericht werden nicht mehr nur die fünf unterschiedlichen Verkehrsträger PKW, Bahn, Bus, Rad und Fußgänger:innen integrierend betrachtet, sondern Verkehrsplanung wird als ein Querschnittsthema verstanden, das die Stadt- und Umweltplanung genauso tangiert wie die Gesundheits- und Sozialplanung“, sagt Ahrend. „Wissenschaftlich fundiert geht der Mobilitätsbericht somit über herkömmliches integrierendes verkehrsplanerisches Denken hinaus. Er denkt die Auswirkungen von Verkehr auf Klima, Natur, Gesundheit und soziale Teilhabe mit. Und ambitioniert anwendungsorientiert gibt er den betreffenden Akteur:innen in der Verwaltung Instrumente wie die Kiezblock-Idee an die Hand“, sagt Ahrend und ergänzt: „Dass das Bezirksamt Pankow sich auf diesen ganzheitlichen Ansatz eingelassen hat und daran arbeitet, ihn umzusetzen, ist weitsichtig und mutig und für unsere wissenschaftliche Arbeit wichtig. Wir benötigen die Erfahrungen aus der Praxis.“

Andernorts in Berlin vermisst Christine Ahrend diesen Mut auf politischer Ebene. „Der Stopp von fünf geplanten und angeordneten Radwegen durch die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt war aus fachlicher verkehrswissenschaftlicher Perspektive nicht begründbar“, sagt Ahrend. Der Stopp kurz nach Amtsantritt der neuen Regierung sei eine Geringschätzung all des Fachwissens und Engagements von Bürger:innen, die an diesen Plänen über Jahre mitgearbeitet hätten, und beschädige partizipative Verfahren. Man könne den Eindruck bekommen, dass dem neuen Senat partizipative Verfahren egal seien. Auch werde die Berliner Politik nicht umhinkommen, den Autofahrer:innen zu sagen: „Die Zeiten, dass der städtische Raum vorrangig von Autos okkupiert wurde, sind vorbei. Ihr müsst teilen.“

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