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DHB-Präsident Andreas Michelmann glaubt an die Olympiaqualifikation.

© dpa/ Marius Becker

Präsident des Deutschen Handball-Bundes im Interview: „Wir müssen Handball zum Outdoor-Sport machen“

DHB-Präsident Andreas Michelmann über das Olympia-Qualifikationsturnier, Nachwuchsprobleme und neue Ziele bei den Frauen.

Andreas Michelmann, 61, ist seit 2015 Präsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB) und leitet über diese Funktion hinaus auch die Initiative „Teamsport Deutschland“. Seit 1994 ist Michelmann außerdem Oberbürgermeister in Aschersleben, Sachsen-Anhalt.

Herr Michelmann, am Freitag startet das Olympia-Qualifikationsturnier der Handballer in Berlin. Wie überzeugt sind Sie, dass die Spiele im Sommer stattfinden werden?

Das haben wir nicht zu entscheiden. Uns geht es darum, die Qualifikation erfolgreich zu bestreiten. Das ist gegen Schweden, Slowenien und Algerien schwer genug. Mit dem Kapitel Olympische Spiele beschäftigen wir uns danach.

Im Januar fand die Weltmeisterschaft in Ägypten statt. Was kann man von diesem Turnier mitnehmen?

Wertvoll war in jedem Fall der deutlich erkennbare Wille des Gastgebers und der Internationalen Handball Föderation, dass eine sportliche Großveranstaltung in Pandemie-Zeiten durchgeführt werden kann, wenn alle sich konsequent an die Regeln zu halten. Das Entscheidende ist allerdings, dass wenn eine sogenannte Bubble aufgebaut werden soll, die Teilnehmer sich vorher in Quarantäne begeben müssen, damit Fälle, wie sie bei den Teams aus Tschechien und den USA aufgetreten waren, vermieden werden können.

Der Chef des Internationalen Olympischen Komitees Thomas Bach hat das bevorzugte Impfen der Teilnehmer angeregt. Wie stehen Sie zu dieser Frage?

Impfen ist der effektivste Weg, um aus dieser verrückten Zeit herauszukommen, aber in diesem Zusammenhang bin ich strikt dagegen. Nach unseren Informationen gab es bei 3000 in Deutschland betroffenen Leistungssportlern nur einen schweren Verlauf. Von daher wäre eine Bevorzugung unverantwortlich. Da gibt es ganz andere Risikogruppen.

Bei all den Problemen, die derartige Großveranstaltungen aktuell mit sich bringen, bietet sich für den Sport gleichzeitig die Chance, für Sichtbarkeit zu sorgen. Wie wichtig ist das für den Handball, auch bezüglich der Mitgliederwerbung?

Die WM 2019 hat uns zum Beispiel nach einer Delle einen großen Aufschwung beschert. Zudem konnten wir jetzt feststellen, dass es eine große Vereinstreue gibt. Die Rückgänge liegen zwischen einem und fünf Prozent. Das ist nicht dramatisch. Eine andere Situation ergibt sich bei den jüngsten Jahrgängen. Der Nachwuchs hat zurzeit keine Möglichkeit, Sport auszuüben und eine Bindung aufzubauen. Das ist unser Problem.

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Wie wollen Sie gegen dieses Problem vorgehen?

Wichtig ist, eine verantwortungsvolle Rückkehr in den Trainings- und Wettkampfbetrieb zu ermöglichen. Wir müssen in dieser Zeit daran arbeiten, dass wir insbesondere für Kinder und Jugendliche Handball wieder zum Outdoorsport machen. Da ist, wenn momentan nur Außensport ohne Kontakt erlaubt ist, Kreativität gefragt. Und ich setze dabei auf die Solidarität unter den Sportarten, sodass wir uns die Freiflächen, die in den seltensten Fällen den Vereinen gehören, sondern den Gemeinden, teilen können.

Eine große Herausforderung für den Verband sind sicherlich die regionalen politischen Unterschiede.

Es ist gut, dass wir als Untergliederung die Landesverbände haben, die genau wissen, was in dem jeweiligen Bundesland möglich ist. Als Deutscher Handballbund haben wir in der Frühphase der ersten Welle zusammen mit den Verbänden ein Return-to-play-Konzept entworfen, welches individuell angepasst werden kann. Und wir haben für alle Öffnungsstufen einen Instrumentenkoffer.

Eigentlich hatten Sie nach der Heim-WM 2019 ein „Haus des Handballs“ und damit zusammenhängend eine Strukturreform geplant. Wurde die jetzt ausgebremst?

Das Thema „Haus des Handballs“ wurde erst einmal zurückgestellt. Wir haben in der Pandemie auf die geplante Beitragserhöhung verzichtet und der Handball-Bundesliga die Beiträge bis zum Sommer gestundet. Gleichzeitig sind wir in Vorleistung gegangen und haben den zehn gebildeten Förderregionen 500.000 Euro zur Verfügung gestellt, um gezielt Mitarbeiter für die Mitgliederentwicklung einzustellen.

Ein Vorschlag, den Sie jüngst unterbreitet haben, ist ein Gesundheitsamt für Sport. Was hat es damit auf sich?

Da denke ich vielleicht etwas aus meiner Position als Oberbürgermeister. Es wäre sicher eine Entlastung für die kommunalen Gesundheitsämter, die durch Corona genug zu tun haben. Sind wir mit der Nationalmannschaft unterwegs, sind gerne bis zu 20 Gesundheitsämter beteiligt, wenn es darum geht, wo Spiele wie ausgetragen werden, und unter welchen Bedingungen die Sportler wieder in ihre unterschiedlichen Heimatstädte zurückreisen. Gerade für Teamsportarten würde eine einheitliche Behandlung da einiges vereinfachen. Zumal in einem solchen Amt auch Routine und Erfahrung eine Rolle spielen, die mit der Zeit aufgebaut werden könnten.

Sie sprechen es an, Sie sind zusätzlich zu Ihrer Funktion als DHB-Präsident Oberbürgermeister in Aschersleben, Sachsen-Anhalt. Was kann denn der Sportfunktionär vom Politiker lernen?

Mehrheiten zu organisieren und Geduld zu haben, ganz dicke Bretter zu bohren.

Zum Auftakt des Olympiaqualifikationsturnieres trifft die deutsche Mannschaft um Kapitän Uwe Gensheimer heute auf Schweden (15.15 Uhr/ARD).

© imago images/Andreas Gora

Und umgekehrt, welche Eigenschaft aus dem Sport hilft in der Politik?

Als jemand, der früher als Kreisläufer gespielt hat und in der Abwehr im Mittelblock stand, kann ich sagen: Einstecken lernen, aber auch Austeilen. Und das alles unter Einhaltung von Regeln. Wir sind es im Sport gewohnt, mit weniger Regeln auszukommen. Doch die werden dann durchgesetzt.

Als Sie 2015 zum DHB-Präsidenten gewählt wurden, war eines Ihrer Ziele, den Frauenhandball zu fördern. Welche Entwicklung kann man diesbezüglich beobachten?

Wir können seit einiger Zeit mit der Frauennationalmannschaft an der Weltspitze kratzen und haben zweimal knapp den Sprung ins Halbfinale verpasst. Wir wollen aber nicht mehr nur Ansprüche formulieren, sondern genauso strukturelle Veränderungen schaffen, weswegen wir die nächsten vier Jahre zu Jahren des Frauenhandballs machen. Da geht es dann um die A-Nationalmannschaft, die Nachwuchsförderung und einige Modifikationen in den Spielbetrieben der Ligen.

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Haben Sie das Gefühl, der Frauenhandball wird bei den Vereinen manchmal etwas vernachlässigt?

In bin noch in einer Gesellschaft sozialisiert wurden, in der ich nicht den Eindruck hatte, dass es so ist. Inzwischen glaube ich, dass der Frauenhandball oft Sorge hat, in den Schatten der Männer zu geraten. Insgesamt braucht der Frauenhandball mehr Aufmerksamkeit und öffentliche Wahrnehmung, wobei wir wissen, dass das nur über bessere Leistungen geht.

Begeistern durch Leistung – da sind wir auch wieder bei den Männern, für die schon vor sieben Jahren als Ziel der Olympischen Spiele in Tokyo die Goldmedaille ausgeschrieben wurde. Ist dieser Anspruch nach dem Abschneiden bei der letzten WM haltbar?

Wir haben die Ziele ja damals nicht ohne Grund formuliert, und es wäre nicht förderlich, wenn wir jetzt davon zurücktreten. Es mag sein, dass dadurch zusätzlich Druck geschaffen wird, doch den kennen die Leistungssportler. Der ist immer da. Klar ist jedoch, dass die Qualifikation jetzt erst einmal im Vordergrund steht.

Wie ist denn die deutsche Mannschaft – auch hinsichtlich der Qualifikation – momentan im internationalen Vergleich zu bewerten?

Wenn wir uns die letzten Jahre anschauen, war es eine Achterbahnfahrt. Dann kam der Bundestrainer Alfred Gislason in der Corona-Zeit in sein Amt, konnte kaum mit der Mannschaft arbeiten und hat jetzt ein anderes Team zur Verfügung als noch im Januar. Vom Papier her ist der Kader sicher stärker als das WM-Aufgebot, aber es wird schwer genug.

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