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Der Neue. Pascal Groß ist mit 32 Jahren erstmals für die Nationalmannschaft berufen worden.

© Matthias Koch/Sebastian Räppold/Matthias Koch

Bundestrainer Flick und sein personeller Zickzackkurs: Pascal Groß steht vor seinem Länderspieldebüt

Die Experimente sind vorbei, trotzdem nominiert Hansi Flick einen Neuen für die Länderspiele gegen Japan und Frankreich, die auch über seine Zukunft entscheiden.

Bei seinem ersten Auftritt im Kreis der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sah sich der Neuling aus England mit seltsamen Fragen konfrontiert. Wie er denn in London so lebe, wollte ein Journalist von dem angehenden Nationalspieler wissen. „Ich lebe in Birmingham“, antwortete Thomas Hitzlsperger, der Mittelfeldspieler von Aston Villa, „das ist nicht London.“

Fast 19 Jahre ist das jetzt her. Hitzlsperger war einer von mehreren No-Names von der Insel, die unter Jürgen Klinsmann erstmals in die Nationalmannschaft berufen worden waren. Weil es im eigenen Land an qualifizierten Kandidaten mangelte, hatte sich der neue Bundestrainer verstärkt auch jenseits der Landesgrenzen umgeschaut und dabei in England einige verheißungsvolle Fußballer entdeckt, die bereits im Teenager-Alter ihre Heimat verlassen hatten. Dem deutschen Publikum waren sie daher weitgehend unbekannt.

Von Pascal Groß lässt sich das nicht behaupten. Groß ist 32 Jahre alt, er kann für Brighton & Hove Albion auf fast 200 Spiele in der Premier League zurückblicken, der besten Liga der Welt. Zudem hat er vor seinem Wechsel nach England im Sommer 2017 immerhin 70 Bundesligaspiele für Hoffenheim und Ingolstadt bestritten.

196
Spiele hat Pascal Groß in der Premier League für Brighton & Hove Albion bestritten.

Doch als Groß am Dienstag in Wolfsburg bei der Pressekonferenz der deutschen Nationalmannschaft neben Robin Gosens auf dem Podium sitzt, ist es fast so wie im Herbst 2004 bei Thomas Hitzlsperger. Groß scheint genauso aus dem Nichts zu kommen.

Hansi Flick, der Bundestrainer, hat den Deutschen aus Brighton in der vergangenen Woche erstmals in den Kader der Nationalmannschaft berufen. Erwartet hat das niemand, gefordert auch nicht, selbst wenn an der Qualität des Neulings keine begründeten Zweifel bestehen.

Groß sei jemand, der „sehr intelligent Fußball spielt“, hat Flick über den Neuen gesagt. Dessen Vereinstrainer, der Italiener Roberto de Zerbi, habe ihm vom großen taktischen Geschick des Mittelfeldspieles berichtet. „Und klar: Er hat letzte Saison wieder beeindruckend für Brighton gespielt.“

Das Magazin „11 Freunde“ hat über Pascal Groß geschrieben, er sei „der beste deutsche Fußballer ohne Länderspiel“ – das ist inzwischen viereinhalb Jahre her. Dass er jetzt in fortgeschrittenem Alter doch noch in die Nationalmannschaft berufen worden ist, das war „auch für mich überraschend“, sagt Groß. In der U 20 hat er zuletzt das Trikot des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) getragen hat. Kontakt zu Flick oder zu dessen Vorgänger Joachim Löw hat es nach seiner Aussage nie gegeben.

Warum also jetzt? Die Frage ist durchaus berechtigt – zumal der Bundestrainer nach dem frühen WM-Aus im Winter und dem zähen Neuanfang im Frühjahr vor einer entscheidenden Woche steht. Am Samstag kommt es in Wolfsburg zur WM-Revanche gegen Japan, am Dienstag darauf trifft die Nationalmannschaft dann in Dortmund auf Vizeweltmeister Frankreich.

Gute Laune zur misslichen Lage. Bundestrainer Flick muss mit seiner Mannschaft einen Stimmungsumschwung hinbekommen.
Gute Laune zur misslichen Lage. Bundestrainer Flick muss mit seiner Mannschaft einen Stimmungsumschwung hinbekommen.

© imago/Matthias Koch/IMAGO/Sebastian Räppold/Matthias Koch

Leicht ist anders. Erst recht in der aktuellen Situation. „Wir sind mit einem richtigen Scheißgefühl in die Sommerpause gegangen“, sagt Robin Gosens, der Nationalspieler vom 1. FC Union Berlin. „Jedem ist der Ernst der Lage bewusst. Wir müssen liefern. Und das werden wir tun.“

Es geht nicht nur um einen Stimmungsumschwung mit Blick auf die EM im eigenen Land im kommenden Sommer. Inzwischen geht es auch um Hansi Flick und seinen Job. Sollte die Nationalmannschaft in den beiden anstehenden Spielen nämlich nicht liefern, wird der Druck auf den Bundestrainer, aber auch auf den DFB ins Unermessliche wachsen.

Gerüchte um Flicks Ablösung sind längst in der Welt, und mit Julian Nagelsmann scheint sogar schon ein Schatten-Bundestrainers bereitzustehen. Zumindest hoffen das alle, die den aktuellen Coach gern loswerden wollen.

Jedem ist der Ernst der Lage bewusst. Wir müssen liefern. Und das werden wir tun.

Robin Gosens, Nationalspieler des 1. FC Union Berlin

Flick ist durch die Misserfolge des vergangenen Jahres in eine Position geraten, in der er schon fast nichts mehr richtig machen kann. Die zunehmenden Zweifel an seiner Person hat er sich allerdings auch zu großen Teilen selbst zuzuschreiben. Wirklich stringent wirkten seine Entscheidungen zuletzt nicht.

Nach der letzten Länderspielreihe im Juni mit zwei Niederlagen aus drei Spielen hatte der Bundestrainer die Experimentierphase offiziell für beendet erklärt. Trotzdem nominierte er jetzt mit Pascal Groß einen Neuling, den niemand auf dem Schirm hatte.

Und auch die Ankündigung, die Spieler künftig streng nach dem Leistungsprinzip auszuwählen, hatte keine lange Halbwertszeit. Als Ersatz für den angeschlagenen Mittelstürmer Niclas Füllkrug beorderte er den zuletzt alles andere als formstarken Thomas Müller in die Nationalmannschaft zurück.

Pascal Groß, der Neuling aus England, hat bei seinem ersten Auftritt im Kreis der Nationalmannschaft gesagt, dass er versuchen werde, viel Energie und Positivität in die Mannschaft zu bringen. Was war, das interessiere ihn nicht, „es ist für mich irrelevant“. Hansi Flick würde das vermutlich auch gerne behaupten können.

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